Bild der Mahnwache Lützerath

Mahnwache Lützerath

Ein Interview mit Andreas

Das Landeswirtschaftsministerium in NRW hat zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium ein Eckpunktepapier verfasst, das eine Vereinbarung mit RWE über den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung 2030 darstellt. Während die Politik diese Vereinbarung als großen Erfolg für den Klimaschutz darstellt, sehen weite Teile der Klimaschutzbewegung dies weitaus kritischer [hier mein Kommentar dazu]. Unter anderem sieht das Papier vor, dass RWE Lützerath abreißen darf, um an die Braunkohle darunter zu gelangen.

Viele Gruppen setzen sich dieser Tage gegen den Abriss Lützeraths ein. Dazu gehört auch die Mahnwache Lützerath, die seit über zwei Jahren aktiv gegen den Abriss und für ein Ende der Braunkohletagebaus kämpft. Seit rund anderthalb Jahren ist Andreas für die Mahnwache aktiv. Mit ihm habe ich ein kruzes Interview über die Mahnwache und sein Engagement dort geführt.

Jens: Andreas, du bist seit einiger Zeit bei der Mahnwache Lützerath aktiv. Lass uns damit anfangen, was diese Mahnwache überhaupt ist. Was macht die Mahnwache Lützerath also?

Andreas: Die Mahnwache Lützerath mahnt über ein Unrecht an der Gesellschaft und der Natur. Sie wurde mittlerweile zum Internationalen Symbol der Klimagerechtigkeitsbewegung.

RWE hat einen Wall aufgeschüttet –  vom Tagebau gesehen, vor der ehemaligen L277 – vor Lützerath. Dieser Wall symbolisiert die 1,5-Grad-Grenze, die laut Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten werden MUSS, um unser Klima nicht weiter aufzuheizen. Sollte Lützerath abgebaggert werden, kann dieses Ziel nicht eingehalten werden.

Am 22.07.2020 wurde die Mahnwache an der L277 an der Grundstücksgrenze des letzten Landwirtes von Lützerath errichtet. Die Mahnwache ist Anlaufstelle für Interessierte und beantwortet Fragen rund um den Tagebau und die Aktivitäten in und um Lützerath. Sie lädt zu Gesprächen und Diskussionen ein. Hier bekommt man Kontakt zu internationalen Klimaaktivisten, Prominenten, Politikern und Bewohnern des Dorfes.

Jens: Wie bist du zur Mahnwache Lützerath gekommen und was bewegt dich dort aktiv zu sein?

Andreas: Als das Klimacamp ENDE GELÄNDE 2019 in Viersen am Hohen Busch seine Zelte aufgeschlagen hat, war für mich nach einem Reinschnuppern klar: Ich will mich engagieren. Ich wurde als Busbegleiter und Vermittler zwischen Aktivisten und der Polizei eingesetzt. Die Touren gingen ins Rheinische Braunkohlerevier.

Das war ein spezielles Erlebnis, das keine andere Möglichkeit für mich offenließ, als mich weiter für den Klimaschutz und die Klimagerechtigkeit einzusetzen. Meine Betroffenheit hat mich immer wieder zu den Aussichtspunkten des Tagebaus geführt. Letztendlich hat meine Teilnahme an einer Menschenkette von Keyenberg nach Lützerath – zur Mawa Lützerath – gebracht.

Jens: Gab es bei der Mahnwache Lützerath ein spezielles Erlebnis, – egal ob positiv oder negativ -, das dir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Andreas:

Mein eindrucksvollstes Erlebnis fand während einer Demo von Immerath nach Lützerath statt. Der Anführer der Demo machte an einer Stelle, an der der Wall von RWE durchbrochen war, mehrfach darauf aufmerksam, dass der Weg der Demo auf gar keinen Fall in Richtung Kante gehe, doch nach und nach liefen fast alle Demonstranten zur Kante.

Jahrelang wurde der Wall vom Werkschutz von RWE bewacht, nun konnten wir trotz Polizeianwesenheit an die Kante. Das war ein surreales Erlebnis.

Jens: Du sagst, dass es ein surreales Erlebnis war, als du bei einer Demo trotz Polizeianwesenheit an die Kante des Tagebaus konntest. Was war daran so surreal für dich?

Andreas: Vorher wurde das Areal vor der Kante bis zum Erdwall von der RWE-Security engmaschig bewacht, ich bin den Menschen die den Weg zur Kante gewählt haben gefolgt und habe die RWE-Grenze überschritten – was kann jetzt alles passieren? – die Polizei ist sichtbar in der Nähe das wirkte sehr unreal und dann stand ich an der Kante – diese Weite, Tiefe, dieses Summen der Bagger, dieser Gigantismus – was machen wir da?,  wofür? – das kam mir in diesem Moment sehr unrealistisch vor. Es brauchte eine Zeit eben das zu realisieren.

Jens: Das große Thema rund um Lützerath ist die drohende Räumung, wie blickst du der drohenden Räumung entgegen.

Andreas: In der Hoffnung, dass sich die Politik noch besinnt, habe ich ein Konvolut an Weihnachtstassen an die Mawa Lützerath gespendet.

Sorgenvoll beobachte ich in den Medien, wie Klimaaktivisten kriminalisiert werden und wünsche mir, dass es zu keiner Eskalation kommt, weiß aber, dass dies ein frommer Wunsch ist. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe ist, dass sich sehr, sehr viele Menschen daran beteiligen, Lützerath zu verteidigen.

Die Rheinische Post und die Tunnel

‚Der harte Kern hat das Sagen‘

In der Rheinischen Post, aber auch in anderen Medien, gab es einen Artikel mit dem Titel „In Lützerath hat längst der harte Kern das Sagen“ (veröffentlicht am 26.10.2022). Grundlegend geht es in dem Artikel um die wohlmögliche Räumung Lützeraths. Der Artikel ist ein Interview zwischen Maximilian Plück – Leiter Redaktion Landespolitik – und Michael Mertens, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei.

Die Fehler aus dem Hambacher Forst dürfen nicht wiederholt werden

Grundtenor der Aussagen Mertens ist: aus den Fehlern, die im Hambacher Forst gemacht wurden, müssen wir lernen. Statt alles auf einmal zu räumen und dann aufwändig zu bewachen, lieber in kleineren Etappen räumen und direkt roden. Interessant, dass dies die wesentliche Erkenntnis Mertens von der Räumung des Hambacher Forsts ist. Andere Menschen denken eher daran, dass die Räumung von Baumhäusern im Jahr 2018 nachträglich als rechtswidrig eingestuft wurde (z.B. hier in der ZEIT nachzulesen). Statt an Polizeitaktik denken viele Menschen auch eher an den Tod von Steffen Meyn (etwa hier in der TAZ nachzulesen).

Lützerath: Tunnel, Festung und harter Kern

In dem Interview geht es unter anderem um die Frage, was die Polizei bei einer Räumung zu erwarten habe. Mertens spricht von Tunneln und dem Ausbau Lützeraths als Festung. Er spricht davon, dass dort der ‚harte Kern‘ tonangebend sei und es zu einer Verbarrikadierung kommen dürfte.

Unklar ist, wer mit ‚harter Kern‘ genau gemeint sein soll? Sind damit Menschen gemeint, die sich seit Jahren für den Erhalt Lützeraths und einen Ausstieg aus dem Braunkohletagebau einsetzen? Mertens bleibt vage. Er verwendet jedoch das Wort ‚Besatzer‘, das momentan auch häufiger im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg verwendet wird. Dieser Begriff hat eine deutlich militärische Konnotation. Über diese ‚Besatzer‘ sagt Mertens, dass er nicht verstehen kann, warum von ihnen das Eckpunktepapier zum Kohleausstieg „so klein gemacht wird“. Eine Erklärung warum dieses Eckpunktepapier nicht nur klein gemacht wird, sondern abgelehnt wird, habe ich hier anzubieten. Mertens Meinung nach fehlen also weitere Gründe für den Protest, denn er gäbe ja einen guten Ausstiegskompromiss.

Interessant sind aber vor allem die Tunnel, die es in Lützerath geben könnte. Denn solche Tunnel werden nicht zum ersten Mal erwähnt.

Schon wieder diese Tunnel

Die Rheinische Post schrieb 2018 schon einmal über Tunnel schrieb. Damals soll es Tunnel im Hambacher Forst gegeben haben, die „an Anlagen aus dem Vietnamrieg“ erinnern sollten. Der Spiegel hat darüber berichtet, aber auch über die verantwortliche Polizeibehörde in Aachen. Diese twitterte, dass sie den Bericht nicht bestätigen könne und von der Existenz solcher Tunnel nichts wisse. Die RP besteht jedoch darauf, dass es diese Tunnel – zumindest laut internen Polizeidokumenten – gegeben haben soll. Beispielsweise N-TV berichtet zwar von Gruben, in denen sich Klimaaktivisten ‚verschanzt‘ hatten. Die angeblichen „Schmuggelrouten, um Waffen und Krawallmacher in den Forst zu bringen“ – so die RP – waren das aber nicht.

Nun wird also wieder vor Tunnel in der RP gewarnt. Diesmal muss sich die RP nicht auf interne Polizeidokumente beziehen, sondern hat Michael Mertens, der diese Aussage nun vornimmt. Wörtlich sagt er: „Es steht zu befürchten, dass auch in Lützerath wieder Tunnel gegraben worden sind“. Der Vergleich mit dem Vietnamkrieg fehlt diesmal, aber Belege für eine solche Aussage werden auch diesmal nicht vorgebracht.

Verbale Vorbereitung eines harten Polizeieinsatzes

Es ist kritisch zu sehen, wenn ein jemand in der Position von Herrn Mertens die Klimaaktivisten in Lützerath pauschal als ‚harten Kern‘ – gemeint ist wohl radikal und gewaltbereit – bezeichnet und ohne Belege vor erneuten Tunneln warnt, obwohl es diese Tunnel schon im Hambacher Forst nicht gab. Sogar die Dieser Beitrag wurde am von in Framing, Rheinischer Braunkohletagebau veröffentlicht. Schlagworte: , , .

Viel Kohle mit der Kohle

Mit Braunkohle wird viel Geld verdient, nicht nur bei RWE

Es wurde seitens des Bundes- und des Landeswirtschaftsministeriums entschieden, dass RWE Lützerath abbaggern darf. Dies wurde in dem neuen Eckpunktepapier, das von den drei Beteiligten stand, so vereinbart. Bis 2030 wird RWE ganz regulär Braunkohle abbauen, Kohle verstromen – dies sogar mehr als bislang vorgesehen, da einige Kraftwerksblöcke, die Ende 2022 vom Netz sollten, weiterlaufen dürfen. Ab 2030 wird es eine Kohlereserve geben, im Rahmen dieser Reserve darf RWE weiter Kohle verstromen und gegebenenfalls abbauen.

RWE wird trotz des vorgezogenen Kohleausstiegs noch gut an der Braunkohle verdienen. Ein Artikel des Handelsblatts legte im September 2021 dar, dass die ökonomisch sinnvollste Lösung für RWE eine Kohleausstieg 2030 ist. In dem Artikel werden RWE-Insider und (ehemalige) RWE-Manager zitiert, die RWE satte Gewinne mit der Braunkohle attestieren.   

Sollte durch die CO2-Zertifikate dies nicht eigentlich anders sein? Die Idee hinter den CO2-Zertifikaten ist, dass CO2-Emittenten Zertifikate kaufen, im Gegenzug dürfen sie eine bestimmte Menge CO2 ausstoßen. Klimaschädliche Produkte – zum Beispiel Kohlestrom – sollten damit teurer werden. Wie das Handelsblatt berichtet hat RWE aber eine große Menge an CO2-Zertifikaten zu günstigen Preisen gekauft und profitiert nun insbesondere von Teuerungen im Strompreis. Zwar wird die Stromproduktion durch die Zertifikate teurer, die steigenden Strompreise gleichen dies aber mehr als aus.

In dem Eckpunktepapier heißt es sehr großzügig, dass RWE für die nötigen Zertifikate aufkommen muss, im Gegenzug aber die Gewinne, die durch die Braunkohleverstromung entstehen, auch behalten darf. RWE hat sich laut des genannten Artikels aus dem Handelsblatt bis 2030 mit ausreichenden CO2-Zertifikaten eingedeckt und, so heißt es, könne über diesen Zeitraum die Kohlekraftwerke wohl gewinnbringend betreiben. Aber ab 2030 sieht es so aus als ob die Kohlekraftwerke ein Verlustgeschäft werden können, gibt das Handelsblatt Analysten von JP Morgan wider. Was JP Morgan über RWE weiß, wird RWE erst recht über sich selbst wissen, oder?

Der auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg mag RWE gar nicht so ungelegen kommen. Die Kraftwerke werden zu einem Zeitpunkt eingestellt, ab dem sie nicht mehr rentabel wären. Die neueren Kraftwerksblöcke werden für eine Zeit in eine Reserve übergehen, für die RWE Geld bekommt. Um es deutlich zu sagen: Ab dem Zeitpunkt, ab dem die Kraftwerke zu einem Verlustgeschäft werden, sollen sie durch Steuergelder finanziert werden. Zugleich kann sich RWE aber ein positives Image erkaufen, denn der Konzern hat zugestimmt, dass er zu einem vorgezogenen Kohleausstieg kommt. Was für ein aufopferungsvolles Unternehmen!

RWE ist keinen Kompromiss eingegangen, sondern wird durch die Eckpunktevereinbarung grün gewaschen, obwohl das Unternehmen nur das tut, was (höchstwahrscheinlich) in seinem eigenen ökonomischen Interesse ist. Zufällig fallen das Interesse RWEs und der Politik – Ausstieg aus der Braunkohle 2030 – zusammen.  RWE wird mit der Verstromung der Kohle, die unter anderem unter Lützerath liegt, so lange es geht neue Gewinne machen. Aber nicht nur RWE verdient an diesem Kompromiss mit der Bundes- und Landespolitik.

Kein Abriss ohne Abrissunternehmen

Das Motto des Viersener Unternehmens Lücker lautet: „Wo eine Lücke ist, ist auch ein Lücker“. In der größten Lücke im Rheinland – die Tagebaue im rheinischen Revier – war Lücker in der Vergangenheit bereits zu finden und hat dort verschiedene Arbeiten unter anderem beim Abbruch in Lützerath und im Hambacher Forst aufgeführt. Lücker war unmittelbar für RWE tätig und hat damit finanziell vom Tagebau profitiert. Bei Youtube gibt es viele Videos, die Abbauarbeiten im Tagebaugebiet durch Lücker zeigen, auch auf anderen sozialen Netzwerken wurde darüber ausgiebig informiert. Unter anderem gibt es ein Video auf Facebook, das ‚Alle Dörfer teilen‘ geteilt hat und welches zeigt, dass die Baggerfahrer nicht sehr rücksichtsvoll gegenüber Demonstranten sind.

Im Leitbild des Unternehmens heißt es: „Mit unserem Einsatz möchten wir den Ansprüchen von Mensch und Natur gerecht werden“. Wenn Lücker den Menschen und der Natur gerecht werden will, dann darf das Unternehmen nicht nur an seine Profite denken, sondern vor allem auch an die Verantwortung, die es in der Klimakrise übernehmen muss.

2020 gab es bereits Proteste gegen Lücker wegen des Abrisses der Landstraße L277. Diese Straße führte von Keyenberg nach Lützerath; nun befindet sich dort die Tagebaugrube. Die Rheinische Post titelte etwas übertreibend „Klimaaktivisten belagern Viersener Baufirma“.

Mehr als nur RWE

Klar, RWE ist der treibende Motor im Braunkohletagebau im rheinischen Revier. Aber nicht nur RWE verdient, andere Unternehmen – in der Vergangenheit Lücker – leisten wichtige Arbeiten, die vorbereitend für die Tagebauarbeiten sind. In Lützerath werden wieder Abrissarbeiten nötig sein. RWE wird wieder Aufträge vergeben und es werden wieder Bagger anrollen, die Gebäude abreißen sollen. Also wird es auch wieder mindestens ein Unternehmen geben, dass durch den Braunkohletagebau Gewinne einfährt.

Wir sollten nicht vergessen, dass es neben RWE weiter Player in dem Spiel gibt, die einen aktiven Beitrag dazu leisten, dass die Braunkohle unter und um Lützerath herum abgebaggert werden kann.

Ist Lützerath ein Symbol?

In letzter Zeit wird viel darüber diskutiert, ob Lützerath ein Symbol ist. Kritisch heißt es dazu in der Presse, beispielsweise in der Rheinischen Post am 6. Oktober 2022, dass „Lützerath […] das falsche Symbol für die Klimapolitik“ sei. Ein Symbol ist ein Zeichen. Ein bekanntes Symbol ist die Abbildung eines Herzens, das für ‚Liebe‘ oder etwa in sozialen Medien (z.B. Twitter) für ‚Gefallen‘ steht.

Wenn Lützerath ein Symbol ist – wenn auch nach Meinung einiger ein ‚falsches‘ – , wofür steht Lützerath denn dann? Der Autor des RP-Meinungsartikels spricht davon, dass Lützerath ein (falsches) Symbol für die Klimapolitik sei. Warum? Der Kompromiss zwischen Bundes- und Landesregierung auf der einen Seite – genauer den Wirtschaftsministerien im Bund und im Land NRW – und RWE sieht einen vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung vor: 2030 statt 2038. Dadurch wird weniger Braunkohle abgebaut und 280 Millionen Tonnen CO2 werden eingespart. Zudem werden unter anderem die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts gerettet. Lediglich, so der Autor, Lützerath werde abgebaggert.

Die Situation ist aber doch komplexer. Es werden Dörfer nicht abgebaggert, die eigentlich abgebaggert werden sollen. Aber das heißt nicht, dass die Dörfer gerettet sind. Gerettet ist Grund und Boden, nicht aber das dörfliche Leben. Das ist durch die vorhergehenden Umsiedlungsmaßnahmen deutlich gestört worden, dörfliche Infrastruktur ging verloren. Dass die Dörfer als lebendige Ortschaften gerettet sind, kann man also nicht sagen. [Das Thema habe ich auch in einem anderen Beitrag angerissen.]

Genauso wenig kann man sagen, dass nur Lützerath abgebaggert wird. Abgebaggert wird mehr Fläche und es geht nicht nur um die Fläche, sondern um die Intention hinter dem Abbaggern. Das Abbaggern erfolgt um Braunkohle zu gewinnen. Die Braunkohle soll verstromt werden. Richtig, es wird weniger Braunkohle verstromt als bei einem späterem Kohleausstieg, aber die genauere Menge ist noch unklar. Denn über 2030 hinaus wird es einen Reservebetrieb bei der Braunkohleverstromung geben. Wie viele Kraftwerksblöcke in die Reserve gehen werden, ist noch unklar. Aber das kann bedeuten, dass über 2030 hinaus Braunkohleverstromung möglich sein wird. Die dafür benötigten Kohlemengen dürfen auch nach 2030 abgebaut werden. [Siehe dazu auch meinen Beitrag zum Eckpunktepapier.]

Werden also wirklich 280 Millionen Tonnen CO2 eingespart? Unklar, denn es sollen Gaskraftwerke errichtet werden, die Mitte der 2030er Jahre vollständig auf Wasserstoff umgestellt sein sollen. Durch die Gasverstromung werden weitere Emissionen erzeugt. Und der Wasserstoff? Wenn er nicht ‚grün‘ produziert wird, sind mit seiner Produktion ebenfalls weitere Emissionen verbunden. Dass er ‚grün‘ produziert werden wird, ist im Eckpunktepapier nicht deutlich festgelegt. Es ist also vollkommen unklar, wie hoch die Einsparungen, die durch das Eckpunktepapier zustande kommen könnten, wirklich sein werden.

Für die Klimabewegung geht es weniger darum, was eingespart wird, als darum, was nicht eingespart wird. Ungefähr so viele Tonnen Kohle wie eingespart werden sollen, sollen auch noch verstromt werden. Ein Teil dieser Kohle – aber eben nur ein Teil – liegt unter Lützerath. Zentral ist, dass das Eckpunktepapier die Intention hat, dass Deutschland das 1,5 Grad-Ziel nicht verfehlt. Das Ziel kann (hypothetisch) nur erreicht werden, wenn die CO2-Emissionen deutlich verringert werden. Statt 280 Millionen Tonnen Kohle dürfen maximal 70 Millionen Tonnen Braunkohle verstromt werden.

„Der Verlust Lützeraths mag schmerzlich sein, ist aber zu verkraften“, heißt es in dem RP-Artikel. Schmerzlich ist nicht der Verlust von Lützerath, sondern die zu große Kohlemenge, die abgebaggert und verstromt werden darf. Verkraften kann das Klima dies nicht.

„An der Erreichung des 1,5-Grad-Zieles – selbst heruntergebrochen auf das Land NRW – ändert die Rettung des Weilers so gut wie nichts“, wird weiter in dem Artikel gesagt. Für die Klimaschutzbewegung ist Lützerath aber der Ort, an dem die 1,5 Grad-Grenze symbolisch verteidigt wird. Natürlich liegt diese nicht physisch in Lützerath und natürlich ist es egal, ob Lützerath abgebaggert wird oder nicht. Die 1,5 Grad-Grenze könnte auch noch gehalten werden, wenn Lützerath abgebaggert wird. Aber nur, wenn die Kohlemengen, die RWE abbaggern und verstromen darf, noch weitergehend beschränkt werden.          

Das Wirtschaftsministerium NRW schreibt ergänzend zu dem Eckpunktepapier , dass der frühere Kohleausstieg alleine nicht für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels ausreicht, eben auch weil erst einmal höhere Emissionen erfolgen werden. Folgendes interessante Zitat findet sich dort auf Seite 3:

„Diese zusätzlichen Emissionen bedeuten, dass auch in den anderen Sektoren kurzfristig substanzielle Emissionsminderungen erfolgen müssen, um das Ziel zu erreichen, NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion zu machen. Der Kohleausstieg alleine reicht hierfür nicht aus. Das 1,5 Grad Ziel bleibt global ein wichtiges Ziel.“

(Fragen und Antworten zum Eckpunktepapier)

Um die eigenen Klimaziele zu erreichen, müssen andere Bereiche nun mehr Einsparungen bringen. Konkret wird aber nicht genannt, wie das erfolgen soll. Klar sollte sein: wer keine Ziele definiert, kann sie auch nicht erreichen. Nur zu sagen, woanders müssen Einsparungen erfolgen, kompensiert noch keine Mehremissionen. Es müssen klare Einsparziele – und am besten auch die Wege zu ihrer Erreichung – benannt werden, damit die Mehremissionen der Braunkohleverstromung, die in den nächsten Jahren anstehen, kompensiert werden können.

Ist Lützerath also, wie es in dem RP-Artikel heißt, das falsche Symbol für die Klimapolitik? Taugt das ‚leergeräumte Dorf‘, wie es im Artikel formuliert ist, überhaupt als Symbol? ‚Leergeräumt‘ ist Lützerath nicht wirklich, vielmehr ist Lützerath voll Kreativität, Leben und Bereitschaft die 1,5 Grad-Grenze zu verteidigen. Denn Lützerath ist ein Symbol für den Versuch die 1,5 Grad-Grenze einzuhalten. Das Abbaggern von Lützerath wird aber unweigerlich auch zum Symbol werden, zu einem Symbol dafür, dass die Politik einen Weg eingeschlagen ist, der die Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze – egal ob dies überhaupt noch realistisch ist – unmöglich macht. Lützerath steht also nicht nur für den kleinen Ort, der nun abgebaggert werden soll, sondern symbolisch für eine Klimapolitik, die entweder konsequent dem 1,5 Grad-Ziel verpflichtet ist oder eben nicht.

Symbole haben ihre Bedeutung aufgrund einer Konvention, sie werden symbolisch von Menschen für etwas verwendet. Es ist zu spät Lützerath nicht zum Symbol zu machen, denn zumindest für Klimaaktivisten ist Lützerath bereits ein Symbol. Die Symbolik wird dem Ort aber auch durch die Presse zugeschrieben, wenn es beispielsweise im Spiegel heißt, dass Lützerath der Ort sei, „den Greta Thunberg heiliggesprochen hat“. Greta Thunberg wird hier metaphorisch als Kirchenoberhaupt dargestellt, denn nur solche können ‚heilig sprechen‘. Die Klimabewegung wird durch diese Metapherals religiöse Bewegung (Sekte?) angesehen. Charakteristisch an Religion ist aber, dass es ein Glaubenssystem ist, welches nicht an die Wissenschaft gebunden ist. Fridays for Future, die von Greta Thunbergs Schulstreikts inspiriert sind, haben aber kein Oberhaupt und stehen fest auf dem Boden der modernen Wissenschaft. Einer der zentralen Sätze Thunbergs ist es immer wieder, dass die politischen Entscheider der Wissenschaft zuhören sollen! Die Bezeichnung ‚Klimasekte‘ findet sich in rechten Kreisen öfter einmal, wenn über Klimaaktivisten gesprochen wird. Beispielsweise in einem Beitrag der Tagespost. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff ist auf www.volksverpetzer.de zu finden.

In einem anderen Spiegelbeitrag wird sogar ein Abkommen, nämlich der vorgezogene Klimaausstieg, von Gerald Traufetter als Symbol bewertet. Aufgrund dieses Symbols, so schreibt er in seinem Meinungsartikel, können „[d]ie Klimaaktivisten […] deshalb ruhig von den Bäumen kommen“. Man könnte glatt den Eindruck gewinnen, dass der Autor implizit Klimaaktivisten als Affen, die den ganzen Tag auf Bäumen ‚rumsitzen‘, bezeichnen möchte. Aber das ist eine andere Frage.

Rund um das Thema ‚Lützerath‘ mangelt es nicht an Symbolbildung und Symbolen. Zum Schluss aber noch einmal zurück zum RP-Artikel, dieser spricht Lützerath eine symbolische Bedeutung ab: Lützerath muss weg, andernfalls ist die Energiesicherheit in Gefahr. Egal ob das stimmt oder nicht, es hat nichts mit dem Anliegen der Klimaaktivisten zu tun. Der Klimaschutzbewegung geht es darum, dass die Emissionen drastisch gesenkt werden müssen, was nicht geht, wenn Lützerath abgebaggert wird. Energiesicherheit wird verbal gegen die Klimakrise ausgespielt.

Die Kritik an Lützerath als ‚falschen Symbol‘ ist stark verkürzt, da die eigentliche Problematik – zu geringere Reduktion der Kohlemengen und zu hohe Emissionen – in dem Artikel (wie auch in vielen anderen) gar nicht angesprochen wird. Sicherlich ist der frühere Kohleausstieg ein Erfolg, da es zu Einsparungen in den CO2-Emissionen kommt. Aber es ist nur ein kleiner Schritt in Zeiten, in denen riesige Schritte notwendig wären.

Reden wir über Symbole, reden wir auch über Bedeutung. Welche Bedeutung Lützerath für Klimaaktivisten hat, habe ich oben geschildert. Wenn aber nun jemand davon spricht, dass Lützerath ein ‚falsches Symbol‘ sei, dann ist im Fall des genannten RP-Artikels gemeint, dass die Maßnahmen, die im Eckpunktepapier skizziert sind, ausreichen. Sprachlich wird weiteren Protesten zum Erhalt Lützeraths – und damit zur weiteren Eindämmung der Abbaumengen – delegitimisiert und als nicht notwendig dargestellt. Wer dem glaubt, der wird nicht nur den Abriss, sondern auch die Räumung Lützeraths befürworten und der Meinung sein, dass ein Kompromiss mit RWE ein großer Erfolg für den Klimaschutz sei. Weil Klimaaktivisten aber anderer Meinung sind, ist Lützerath genau das richtige Symbol!

CDU, die Grünen & RWE

Ein Blick auf das Eckpunktepapier zum vorgezogenen Kohleausstieg in NRW

Die schwarz-grüne Landesregierung hat es geschafft: es gibt einen Konsens mit RWE bezüglich der Weiterführung des rheinischen Braunkohletagebaus. RWE will den Ausstieg aus den Braunkohletagebau 2030. Acht Jahre früher als bislang geplant. Die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts sollen nicht mehr in Anspruch genommen – also abgebaggert –  werden. Soweit, so gut. Lützerath soll jedoch abgebaggert werden können.   

Diskussionen über die Interpretationen des Konsens setzen ein, sobald dieser auch nur bekannt war. Die zentrale Frage dabei ist: wie hältst du es mit Lützerath? Dass RWE Lützerath abbaggern darf – und wohl wird –, haben einige Klimaaktivisten als Bruch für den Grünen und der Klimaschutzbewegung gesehen. Ander sagen dagegen, dass die Grünen (als kleiner Koalitionspartner im Bund und in NRW) einen riesigen Erfolg erreicht haben, denn der vorgezogene Braunkohleausstieg sei ein großer Gewinn.

Es lohnt sich einmal einen Blick in das Eckpunktepapier mit dem sperrigen Titel „Politische Verständigung zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dem Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen und der RWE AG zum vorgezogenen Kohleausstieg 2030 im Rheinischen Revier“ zu werfen. Hier der Link zum Dokument: https://t.co/SulG3MtfAY.

Die Präambel

In der Präambel wird sich dazu bekannt, dass der menschengemachte Klimawandel eine der größten Herausforderungen unserer Zeit sei (Seite 1). Dadurch, dass der Klimawandel als eine der größten Herausforderungen dargestellt wird, ist Platz für weitere große Herausforderungen. Je nach Blickwinkel ist dies eine Ab- oder Aufwertung der Klimaproblematik. Man kann sagen, dass die Bedeutung der Klimakrise relativiert wird, da sie das alles dominierende Problem darstellt. Dies wäre die Sichtweise der Klimaaktivisten. Im Gegenzug kann man sagen, dass eine Anerkennung der Klimakrise als eine der größten Herausforderungen vorgenommen wird. Aus dieser Perspektive könnte man sagen, dass CDU und RWE einen Schritt in Richtung Akzeptanz der Bedeutung des Problems gemacht haben.

Sprachlich geht es sogar noch einen Schritt weiter, denn im zweiten Satz wird das Wort Klimakrise verwendet. Diese, so heißt es da, können wir nur gemeinsam bewältigen. Das Wort Klimakrise hat die CDU in ihrem Wahlprogramm noch gekonnt umschifft, die Grünen konnten es aber in den Koalitionsvertrag einbringen. [Dazu etwa mein Beitrag zu diesem Thema hier.] Sicherlich liegt es auch wieder an ihnen, dass das Wort in dem Eckpunktepapier auftaucht. Aber wer ist das wir, das die Klimakrise gemeinsam bewältigen muss? Einerseits soll es wohl für die Gemeinschaft stehen, anderseits steht es hier aber gerade auch für die Grünen, die CDU und RWE.

Als Ziel gibt die Präambel die Einhaltung des 1,5 Grad Zieles an. An diesem Ziel muss dann auch das Eckpunktepapier inhaltlich gemessen werden. Bieten die Vereinbarungen, die das Eckpunktepapier enthält, die Möglichkeit das genannte Ziel zu erreichen? Oder sorgen die Vereinbarungen dazu, dass das Ziel verfehlt wird?

Später sparen

Angenommen ich habe hohe Schulden und mir droht der Verlust meiner Wohnung. Mir ist klar, dass ich unnötige Ausgaben einsparen muss, damit ich mich nicht mehr verschulde und möglichst Schulden abzahlen kann. Nun frage ich zwei Freunde, wie ich mit meinen Schulden weitermachen soll. Der erste Freund rät mir, dass ich sofort so viele Ausgaben wie möglichst einsparen sollte und nicht mehr über meine Verhältnisse leben darf. Der zweite Freund rät mir, dass ich sparen sollte und dazu zwei Optionen habe. Erstens: in 16 Jahren könnte ich drastisch sparen oder – Option 2 – ich spare schon in acht Jahren drastisch, aber das soll ich damit kompensieren, dass ich die nächsten acht Jahre noch einmal über meine Verhältnisse lebe.

Klar, dass der erste Freund den besseren Vorschlag gemacht hat, oder? Die Autoren des Eckpunktepapier wurden jedoch von Freund 2 beraten. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat als eine Konsequenz, dass Deutschland versucht russisches Erdgas einzusparen. Als Folge sollen Braunkohlekraftwerke von RWE nicht abgeschaltet werden. Dazu heißt es auf Seite 1: „Um die Klimaschutzziele für 2030 trotz temporär steigender CO2-Emissionen einhalten zu können, kommt der weiteren Beschleunigung des Kohleausstiegs auf 2030 eine ungleich größere Bedeutung zu“. Konkret: erst einmal haben wir höhere Emissionen, dafür steigen wir aber auch acht Jahre früher aus. Hier wird aber verkannt, dass wir uns höhere Emissionen nicht erlauben können, sondern sofort eine Reduktion der Emissionen notwendig ist. Wir können uns keine kurzfristigen höheren Emissionen durch Einsparungen in der Zukunft erkaufen: die Klimakrise ist jetzt, nicht erst 2030.

Konkret

Die Kraftwerksblöcke Neurath D & E sollten eigentlich 2022 vom Netz gehen, werden aber voraussichtlich bis 31.03.2024 weiterlaufen dürfen. Dabei wird die Möglichkeit eingeräumt, dass die Kraftwerksblöcke bei Bedarf auch bis zum 31.03.2025 weiterlaufen könnten. Es ist somit unklar, wie hoch die tatsächlichen Emissionen, die der Weiterbeitrieb mit sich bringen wird, am Ende sein werden.

Die Vereinbarung rechnet aber vor, welche Kohlemengen im Boden bleiben und somit nicht verstromt werden sollen. Eigentlich sollte RWE bis 2038 noh bis zu 560 Millionen Tinne Kohle abbauen dürfen, nun ist die Menge auf 280 Millionen Tonnen halbiert worden. Für einige weitere Kraftwerksblöcke (Neurath F & G, Niederaußem K) soll damit die Abschaltung auf 2030 vorgezogen werden.

Aber der Weiterbetrieb der eigentlich Ende 2022 abgeschalteten Kraftwerkblöcke hat Folgen: es muss genügend Kohle bereitgestellt werden. Unter anderem muss deshalb Lützerath abgebaggert werden. Es wird auf Seite 2 wörtlich gesagt, dass „die notwendige Kohlebereitstellung insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Gasmangellage, […] eine kurzfristige Inanspruchnahme der von den ursprünglichen Bewohnern verlassenen und vollständig im Eigentum bzw. im Besitz von RWE stehenden Siedlung erforderlich macht“.

Lützerath muss gehen, damit die anderen Dörfer bleiben können

Lützerath muss aber nicht nur wegen der Kohle abgebaggert werden. Es wird Abraum zur Verfüllung des östlichen Restlochs gebraucht. Dieser muss aus dem laufenden Betrieb gewonnen werden. Das heißt: es liegt nicht noch genügend Abraum woanders herum und er kann auch nicht woanders her bezogen werden. „Die vereinbarten Abstandsflächen von rund 400 Metern zu Keyenberg und den weiteren Dörfern des 3. Umsiedlungsabschnitts und die 500 Meter zu Holzweiler sowie das Stehenlassen der Feldhöfe (Eggeratherhof, Roitzerhof, Weyerhof) führen dazu, dass wegen der benötigten Abraummengen keine Möglichkeit mehr besteht, um – entgegen der gerichtlichen Entscheidung – mit der Nichtinanspruchnahme von Lützerath praktisch eine Insellage für die Siedlung im Tagebau Garzweiler II herzustellen“ (Seite 2). Für mich liest sich dies folgendermaßen: weil die anderen Dörfer bleiben, muss der Boden unter Lützerath genutzt werden.

Was soll aus den Dörfern werden?

Wenn nun die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts erhalten bleiben sollen, was bedeutet das dann konkret? Die Dörfer haben Teile ihrer Infrastruktur verloren, viele Menschen haben bereits ihre Heimat verkauft und sich ein neues Zuhause aufgebaut. [Dazu auch mein Beitrag hier.] Die Vereinbarung sieht vor, dass RWE das Land „zu angemessenen Konditionen“ zur Verfügung stellen wird (Seite 4), damit jemand die Entwicklung und Revitalisierung übernimmt. Eine Möglichkeit des Rückkaufs ehemaliger Eigentümer wird ebenfalls angeführt.

Es bleibt abzuwarten, wie dieser Prozess am Ende ablaufen wird ob die Dörferdamit wieder belebt werden können.

Der für die Klimabewegung wichtige Hambacher Forst soll aus dem Besitz von RWE an das Land oder eine Stiftung übergehen. Im Text heißt es nur, dass der Besitz „übertragen““werden soll (Seite 4), es findet sich aber kein Hinweis darauf, ob dies gegen eine Bezahlung erfolgen soll.  

Kompensation der fehlenden Kraftwerke

Wenn ab 2030 Kraftwerke abgeschaltet werden sollen, wo kommt dann der Strom her? Es sollen neue Kraftwerke gebaut werden, die auf Wasserstoffbasis tätig sind. Das große ABER kommt noch, denn die Kraftwerke sollen erst spätestens 2035 100% mit Wasserstoff laufen, ab 2030 immerhin zu 50%. Zunächst sollen die Kraftwerke mit Erdgas laufen und ab 2030 dann mind. 50% Wasserstoff, der Rest wohl weiterhin Erdgas. Erdgas? Sollen nicht die Braunkohlekraftwerke weiterlaufen, damit Erdgas eingespart wird? Ja, aber hier auch wieder zu verschiedenen Zeiten. Wir sparen jetzt (also bis 2024?) Erdgas ein, dafür nutzen wir mehr Kohle. Dafür wird es neue Kraftwerke geben, die erst einmal mit Erdgas laufen, aber wohl erst nach 2024.

Wichtig ist, dass der Wasserstoff CO2-frei sein soll. Wobei es nur heißt: „Die Umstellung auf CO2-freien Wasserstoff/Ammoniak soll so schnell wie möglich realisiert werden“ (S. 5). Wasserstoff ist CO2-frei, die Wasserstoffgewinnung aber nicht unbedingt. Die Formulierung ist daher zu unpräzise, denn wenn der Wasserstoff nicht ohne CO2-Emissionen gewonnen wird, dann ist es kein ‚grüner‘ Wasserstoff. Jedenfalls liest sich diese Passage nicht wie eine Verpflichtung zu ‚grünem‘ Wasserstoff.

Weitere Vagheiten finden sich bezüglich des Ausbaus ‚erneuerbarer‘ Energien. RWE „wird jedes Projekt in Deutschland realisieren, das machbar ist“ (Seite 5). Was bedeutet denn ‚machbar‘? Wer bewertet die Machbarkeit? Und wer ist für die Machbarkeit verantwortlich? Wird dies ’nur‘ eine Frage von Genehmigungsverfahren sein?

Immerhin gibt es ein Mindestziel an ‚erneuerbarer‘ Energie seitens RWE, das in der Vereinbarung genannt wird: 1 Gigawatt bis 2030 in NRW. [Zu meiner Kritik an dem Begriff ‚erneuerbare Energie‘ hier.] Die geplanten Gas-/Wasserstoffwerke sollen eine Kapazität von 3 Gigawatt haben. So richtig ist RWE also nicht auf Linie der ‚erneuerbaren‘ Energien eingeschwenkt. Auf einer Webseite von RWE liest man sogar, dass RWE in Deutschland im Bereich Solar- und Windenergie von gegenwärtig 600 Megawatt auf 5 Gigawatt bis 2030 wachsen will. Gehören die 1 Gigawatt in NRW in die Planung, die RWE sowieso hatte oder sind dies zusätzliche 1 Gigawatt ‚erneuerbare‘ Energien? Möglich das RWE dieses Ziel sowieso erfüllt hätte.

Ist 2030 denn wirklich Schluss?

Nicht unbedingt. Es wird eine Überprüfung geben, ob die modernsten der Kohlekraftwerke nach 2030 für ein paar Jahre in eine Reserve übergeben werden. Für einen Kraftwerkblock ist eine solche Reserve sowieso vorgesehen, 2026 wird entschieden, ob weitere in die kostenbasierte Reserve gehen müssen. RWE wird wohl über 2030 hinaus mit Kohlestrom – zumindest einer Kohlestromreserve – im rheinischen Revier Geld verdienen. Und die Kohle? „Die gegebenenfalls erforderliche Kohle kann im Bedarfsfall während des nach 2030 noch laufenden Rekultivierungsbetriebs des Tagebaus Garzweiler für einen begrenzten, mehrjährigen Zeitraum noch zu Verfügung gestellt werden, ohne dass sich die Wiedernutzbarmachung verändert“ (Seite 6). Klingt nach: ein eventuell nötiger Abbau kann auch nach 2030 noch erfolgen.

Eindruck

Die gesamte Vereinbarung ist sehr stark unter dem Eindruck einer „Gasmangellage“ verfasst worden. Auf diese wird häufig Bezug genommen und dabei ein Kompromiss zwischen Energiesicherheit und Kohleausstieg vorgenommen. Dabei sind ein paar gute Aspekte herausgekommen: zeitlich früherer Kohleausstieg, klare Perspektive für die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts. Aus Perspektive des Klimaschutzes ist insbesondere die kurzfristige erhöhte Emission durch das Weiterbetreiben von Kohlekraftwerken über 2022 hinaus grausam. Zudem ist in der Eckpunkteerklärung einiges vagen gehalten, was präziser sein muss, damit am Ende keine im Hinblick auf die Klimakrise halbgare oder gar negative Maßnahmen ergriffen werden.

Das Eckpunktepapier ist ein Kompromiss, Klimawissenschaftler müssen nun bewerten, ob dieser Kompromiss das Ziel – die 1,5 Grad-Grenze nicht zu überschreiten – zu erreichen erlaubt.

Was ist nun mit Lützerath?

Manche sagen, Lützerath stellt die 1,5 Grad-Grenze dar. Andere sagen, Lützerath ist doch nur ein Symbol der Klimabewegung. Ohne Frage, Lützerath ist ein Symbol und es sollte jedem – besonders bei den Grünen – klar sein, wie wichtig dieses Symbol für die Klimabewegung ist. Hätte es einen Kohleausstieg 2030 ohne die Proteste im Hambacher Forst und in Lützerath gegeben? Vielleicht ja, aber beide Proteste haben viele Menschen mobilisiert und auch einige der Grünen, die nun in Regierungsverantwortung sind, haben sich vor der Wahl in Lützerath gezeigt. Ja, Lützerath ist ein Symbol, aber es ist ein Symbol, das die Grünen genutzt haben und das, so empfinden es viele in der Klimabewegung, nun nach der Wahl von einigen Grünen fallengelassen wird.

Kann die 1,5 Grad-Grenze eingehalten werden, wenn Lützerath abgebaggert wird? Das sollen Klimawissenschaftler beantworten, dabei geht es aber weniger um den Symbolwert Lützeraths als um die tatsächlichen Auswirkungen auf das Weltklima.

Nachtrag (06.10.2022): Langsam sammeln sich doch noch einige Bedenken und Fragen bei mir, die ich hier gerne noch anführen möchte:

Es werden zwar Zahlen für die noch abzubauenden maximalen Kohlemengen angegeben, aber sind in diesen auch die Mengen für den Reservebetrieb beinhaltet?

Ist das aktuell laufende Bewilligungsverfahren für die Fortführung der Entwässerungsmaßnahmen damit hinfällig? Muss der Antrag angepasst werden? Dazu fehlt eine deutliche Aussage. Ein Kommentar zu diesem Antrag habe ich hier verfasst.

Warum wird nicht mehr auf Photovoltaikanlagen und Windenergie gesetzt, stattdessen soll Gas als Übergangslösung her. Das Verbrennen von Gas ist wiederum klimaschädlich und trägt damit nicht dazu bei, dass der Konsens zur Erreichung des 1,5 Grad-Ziels führt. Sind RWEs versprochene Investiationen in ‚erneuerbare‘ Energien eine Zusatzleistung oder sowieso in RWEs Plänen zum Ausbau dieser Energien enthalten gewesen? Musste RWE hier wirklich einen Kompromiss eingehen oder konnte das Unternehmen Ziele, die es sowieso schon hatte, in die Waagschale werfen?

Insgesamt erscheint mir der Kompromiss wie eine Mogelpackung. Einen Ausstieg 2030 wird es geben, aber mit einem unklaren Reservebetrieb. Kohlekraftwerke werden früher abgeschaltet, dafür dürfen ältere Kraftwerke erst einmal länger laufen und dazu auch mehr Emissionen produzieren. Die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts sollen erhalten bleiben, aber ein klares Bekenntnis dazu, dass die vorherigen Eigentumsverhältnisse wieder hergestellt werden, fehlt. Es ist einfach unklar, welche ‚Gewinne‘ die politische Koalition wirklich gegenüber RWE herausholen konnte, denn der Kohleausstieg 2030 war sowieso politisch schon gewollt. Es scheint, dass RWE gut gepokert hat und nicht zu sehr durch den Konsens belastet wird.

Pumpen für Kohle

RWE beantragt die Fortführung der Grundwasserentnahme um den Tagebau Garzweiler II forsetzen zu können

Für den Braunkohletagebau Garzweiler II hat RWE eine Wasserentnahmegenehmigung, die bis zum 31.12.2023 erreicht. Damit RWE über diesen Zeitraum hinweg weiter den Tagebau betreiben kann, muss eine neue Wasserentnahmegenehmigung beantragt werden. Das hat RWE im Frühjahr 2022 getan und einen Antrag auf „Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis zur Fortsetzung der Entnahme und Ableitung von Grundwasser für die Entwässerung des Tagebaus Garzweiler II“ für den Zeitraum 2024 bis 2030 gestellt. Im Oktober soll nun das Anhörungsverfahren stattfinden, bei dem Einsprüche gegen den Antrag vorgebracht werden können. Über das Anhörungsverfahren hat die zuständige Regierungsbehörde Arnsberg in ihrem Amtsblatt informiert.

Der Antrag, der sich aus einem Hauptdokument und diversen Anhängen zusammensetzt, konnte online auf den Seiten der Regierungsbehörde Arnsberg eingesehen werden. Gestellt wurde der Antrag vor der Landtagswahl in NRW, daher geht es nicht konform mit einigen Versprechen, die die schwarz-grüne Landesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung gab. Daher ist es ganz besonders wichtig darauf zu schauen, was RWE eigentlich beantragt hat, was genehmigt wird und welche Versprechen die Landesregierung gab.

An dieser Stelle will und kann ich gar nicht auf alle Aspekte, die im Antrag stehen, eingehen. Ich möchte jedoch ein paar Aussagen des Antrags aufnehmen und andiskutieren.  

Hintergrund des Antrags

Hintergrund des Antrags ist, dass die Sümpfung – also das Abpumpen des Grundwassers im Tagebau Garzweiler II – zeitlich befristet ist und zwar bis zum 31.12.2023. Nun möchte RWE die wasserrechtliche Erlaubnis für die Fortführung der Sümpfungsmaßnahmen bis 31.12.2030 erhalten. Die Sümpfungsmaßnahmen sind notwendig, damit die Sicherheit des Tagebaus gewährleistet wird. Ansonsten würde Grundwasser über die Böschungen oder die Sohle des Tagebaus eindringen können. Eine Folge der Sümpfung ist eine großflächige Absenkung des Grundwasserspiegels, die rund 10% der Landesfläche NRWs betrifft. Zu den Sümpfungsmaßnahmen habe ich bereits mehrmals etwas geschrieben, zum Beispiel hier und hier.

Ende von Garzweiler

Punkt 2 des Antrags trägt den Titel Vorhabenbeschreibung und rechtliche Vorgaben, dort schreibt RWE auf Seite 12, dass der Tagebau Garzweiler „basierend auf der 2021 geänderten und nachfolgend beschriebenen Planungsgrundlage voraussichtlich Ende 2038 auslaufen“ wird. Damit plant RWE also noch 16 weitere Jahre Braunkohleabbau im Tagebau Garzweiler II.

Zukunft der Tagebaudörfer     

Die Tagebaudörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts Keyenberg, Kuckum, Ober-, Unterwestrich und Berverath werden ganz gerne ja als gerettet angesehen. Zu diesem Thema habe ich hier bereits etwas geschrieben. Im Antrag heißt es zu diesen Dörfern auf Seite 14, dass die bergbauliche Inanspruchnahme „anders als ursprünglich vorgesehen nicht Anfang 2024 sondern frühestens Ende 2026“ erfolgen soll. Wenn diese Dörfer gerettet sind, dann weiß zumindest RWE noch nichts davon. In dem aktuell zur Genehmigung vorliegenden Antrag steht schwarz auf weiß, dass eine Inanspruchnahme der Dörfer – worunter ich ihr abbaggern verstehe – erfolgt.  

Die Landesregierung hat im Rahmen des Koalitionsvertrags eine Absichtserklärung zur Rettung der genannten Dörfer gegeben. Es ist sehr genau darauf zu achten, ob im Genehmigungsverfahren auf die geplante Erhaltung der Tagebaudörfer eingegangen werden wird.

Wassermengen

Durch die Sümpfungsmaßnahmen werden große Mengen Grundwasser abgepumpt. Für das Wasserwirtschaftsjahr 2019 beziffert RWE die Menge an Sümpfungswasser auf 115 Millionen qm/a (S. 53). Für den Zeitraum 2030 bis 2035 geht RWE davon aus, dass die Abbautiefe zunehmen wird und somit tiefer gesümpft werden muss. Die maximale Ausdehnung des Sümpfungstrichters wird für das Jahr 2030 prognostiziert (S. 54). Dies bedeutet, dass die Mengen an Sümpfungswasser noch steigen werden, aber auch die Gebiete, die durch die Sümpfung betroffen sind, sich noch einmal (in ihrer Intensität) verschieben. RWE spricht etwa davon, dass durch die westwärts Wanderung des Tagebaufeldes der Sümpfungsschwerpunkt sich verschiebt, wodurch, beispielsweise, die Grundwasserabsenkung „im Nordwesten des aktuellen Tagebaus weiter zunehmen [wird]. Neben dem Tagebauvorfeld wird es rund um Erkelenz Absenkungen von mehr als 10 Metern geben“ (Seite 65). Es wird also soviel Wasser abgepumpt, dass der aktuelle Grundwasserspiegel – der ja schon von der Sümpfung betroffen ist – um zehn Meter abfallen wird. Ehrlich, wenn auch zurückhaltend, ist RWE immerhin bezüglich der räumlichen Auswirkungen der Sümpfungsmaßnahmen. Sie schreiben: „Die […] Grundwasserabsenkung, besonders aber die Druckentlastung in den tieferen Grundwasserstockwerken, geht weit über den eigentlichen Tagebaubereich hinaus“ (S. 66). Dies macht den Braunkohletagebau auch so problematisch. Der Tagebau hat spürbare Auswirkungen, die nicht auf das direkte Tagebauumfeld beschränkt sind, sondern sich weiter darüber hinaus erstrecken. Damit betreffen der Tagebau und die Sümpfungsmaßnahmen nicht nur die Menschen, die direkt an den Tagebaulöchern wohnen, sondern alle, zwischen Bonn und dem Kreis Kleve, bzw. Köln und Roermond.  

Was passiert mit dem Sümpfungswasser?

Ein Großteil des Sümpfungswasser soll als sogenanntes Ökowasser – das ist aufbereitetes Wasser – zur Stützung der Feuchtgebiete über ein ausgedehntes Rohrsystem wieder eingeleitet werden. „Neben den Ökowassermengen werden die verbleibenden Wassermengen zur weiteren Verwendung an eigene und fremde Betriebe abgegeben, der Kraftwerkswasserversorgung zugeführt sowie in die Vorflut eingespeist“ (S. 75). Das Grundwasser dient unter andere, der Wasserversorgung der Kraftwerke. Ein Überschuss an Wasser wird nach allen Prognosen nicht geben (S. 76). Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Aussage, dass „[g]egen Ende des Tagebaus […] das Sümpfungswasser aus Garzweiler nicht mehr ausreichen [wird], den Öko- und Eigenwasserbedarf zu decken, so dass eine Wasserzuführung vom Rhein notwendig wird. Diese wird dann auch zur Füllung des Tagebausees verwendet“ (S. 80).

Dass zum Tagebauende – gemeint ist vermutlich 2038 – nicht mehr genügend Sümpfungswasser zur Verfügung stehen wird, liegt daran, dass sich nach 2030 der Tagebau in eine andere Richtung bewegen soll. Der Abbau wird dann in geringerer Tiefe erfolgen, sodass „die notwendigen Sümpfungsmengen sinken“ (S. 86).

Für den Zeitraum bis 2030 gibt RWE jedenfalls konkrete Zahlen an. Die Menge an Sümpfungswasser soll von 123 Millionen qm/a im Jahr 2015 auf 155 Millionen qm/a im Jahr 2030 ansteigen. Wurden 2015 75 Millionen qm/a im Jahr 2015 als Ökowasser verwendet, 2030 sollen es 101 Millionen qm/a im Jahr 2015 sein S. 83). RWE spricht, dass es einen steigenden Bedarf an Ökowasser gibt, macht aber nicht klar, ob der alleine auf die Ausweitung der Sümpfungsmaßnahmen zurückzuführen ist.  

Klar ist also, dass die Rheinwassertransportleitung parallel zum Tagebaubetrieb benötigt wird, andernfalls wäre die Stützung der Feuchtgebiete nicht möglich.

Rheinwassertransportleitung und die Klimakrise

Für RWE ist die Rheinwassertransportleitung vor allem deshalb wichtig, weil die Tagebaulöcher nach Beendigung des Tagebaus geflutet werden sollen und zwar durch Rheinwasser. (Mit der Rheinwassertransportleitung habe ich mich auch bereits beschäftigt, hier.) Die Rheinwassertransportleitung soll das dazu benötigte Wasser bringen. Vorgesehen ist, dass in trockenen Jahren weniger entnommen wird, in wasserreichen Jahren dagegen mehr (S. 90).

Dieses Jahr mussten wir erleben, dass der Rhein einen sehr niedrigen Pegel aufwies. Kann es daher sein, dass die Klimakrise ein Problem für die geplanten Tagebaurestseen sein wird? RWE sagt: „Gemäß den Untersuchungen des LANUV (LANUV, 2007; LANUV, 2016) ist eine parallele Befüllung der Tagebauseen Garzweiler und Hambach aus dem Rhein (der Tagebausee Inden wird bereits ab ca. Anfang der 2030er Jahre aus der Rur befüllt) auch unter Berücksichtigung potentiell veränderter klimatischer Bedingungen möglich“ (S. 90). ‚Potentiell veränderte klimatische Bedingungen‘’– oder das, was andere Klimakrise nennen – stellen somit kein Problem dar. Bei dieser Behauptung bezieht sich RWE auf das LANUV [LANUV = Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalens].

Im Zusammenhang mit den niedrigen Pegelständen des Rheins hatte ich diesen Sommer eine Anfrage an RWE und das LANUV gestellt. RWE wollte sich bzgl. der Frage, ob die niedrigen Pegelstände ein Problem für die geplante Rheinwassertransportleitung seien, nicht schriftlich antworten. Mündlich teilte man mir mit, man gehe davon aus, dass „der Rhein immer Wasser führen werde“ und somit eine Wasserentnahme kein Problem sei. Mit dieser Aussage habe ich mich an das LANUV gewendet und bekam als Antwort, dass es eine zulässige Interpretation der vorhandenen Modellrechnungen sei, dass der Rhein immer Wasser führen werde. Es sei damit aber nichts darüber gesagt, wie die dann vorhandenen Mengen zu bewerten seien. Ich interpretiere dies einmal so: Die Modellrechnungen zeigen nicht, dass der Rhein zeitweise austrocknen wird, sie sagen aber auch nichts über die zu erwarteten Wassermengen in trockenen Sommern aus. Noch interessante ist aber die Aussage bzgl. der möglichen Auswirkungen von Niedrigwasserständen auf die Wasserentnahme. Diese seien Gegenstand aktueller Untersuchungen, in die das LANUV aber nicht eingebunden ist. Das heißt dann wohl, dass bislang nicht klar ist, ob bei Niedrigwasserständen wie im Juli 2022 überhaupt Wasser entnommen werden kann und wenn welches entnommen werden kann, in welchen Mengen dies möglich sein wird.

Alles harmlos?

Dass die Sümpfungsmaßnahmen großräumige Auswirkungen haben, hat RWE zugestanden. Wie sieht es denn mit einer qualitativen Beeinträchtigung aus? Dankenswerterweise fasst RWE die möglichen Folgen zusammen: „Die Sümpfung kann zu Auswirkungen auf die Schutzgüter Wasser (Grundwasser und oberirdische Gewässer) → Verschlechterung der Mengenbilanz, Vergrößerung des aktuellen Grundwasserflurabstandes, Menschen, insbesondere die menschliche Gesundheit → Wirkungen auf wasserwirtschaftliche und landwirtschaftliche Nutzungen, Tiere, Pflanzen und biologische Vielfalt → Vergrößerung des aktuellen Grundwasserflurabstandes, Fläche und Boden → Vergrößerung des aktuellen Grundwasserflurabstandes sowie kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter → Vergrößerung des aktuellen Grundwasserflurabstandes führen“ (S. 97).  

Die Sümpfungsmaßnahmen wirken sich, wie die Auflistung zeigt, auf viele Bereiche aus. Insbesondere ist die Reduzierung der Grundwassermenge problematisch, da dies Menschen – etwa durch die Beeinträchtigung der Landwirtschaft – , andere Tiere, Pflanzen und Bodenflächen betrifft. Wie steht RWE dazu? Sie schreiben auf Seite 98 des Antrags: „Trotz der sehr hohen Wirkintensität sind die Auswirkungen durch die Sümpfung aufgrund der bereits seit langem vorhandenen anthropogenen Beeinflussung der Grundwasserquantität aus umweltfachlicher Sicht als nicht erheblich einzustufen“. Anders formuliert: ‚Klar haben unsere Maßnahmen starke Auswirkungen auf das Grundwasser, aber die Menschen nutzen Grundwasser doch schon seit langem, daher kann man aus umweltfachlicher Perspektive nichts gegen die Sümpfungsmaßnahmen vorbringen‘. Es sollte aber klar sein, dass bisher die Beeinflussung der Grundwasserquantität – also Grundwasserentnahme – auch nur annähernd in dem Umfang erfolgte, wie RWE dies tut.

Warum…?

Warum sollten einem Antrag entsprochen werden, wenn die beantragte Aktivität sich so negativ auswirkt? Unberücksichtigt sind dabei vollkommen die negativen Folgen, die die Braunkohleverstromung mit sich bringen. Für die Allgemeinheit ergeben sich zahlreiche negative Konsequenzen, die die Sümpfungsmaßnahmen und die Braunkohleverstromung mit sich bringen. Kann man diese Konsequenzen und die Folgekosten, die diese nach sich ziehen, guten Gewissens wirklich als gerechtfertigt betrachten?

RWE sagt ja, denn ohne die Sümpfungsmaßnahmen kann der Tagebau nicht betrieben werden und mit dem Tagebau verdient RWE viel Geld. Das Geld wird durch teilweise irreversible Schädigung der Natur verdient. Einiges gesteht RWE in dem Antrag sogar ein. Ich frage mich, wie jemand, der den Antrag gelesen hat, dem Vorhaben zustimmen können soll. Eine Bewilligung des Antrags bedeutet auf jeden Fall, dass das Grundwasser, die Böden, Menschen, Tiere, Pflanzen, Dörfer und das Klima weitere mindestens sechs Jahre erheblich geschädigt werden. Apropros Klima: die Klimaschädlichkeit der Braunkohleverstromung ist selbstverständlich nicht im Antrag angeführt, denn es geht nur um die Fortführung der Sümpfungsmaßnahmen, nicht um die Braunkohleverstromung. Die Sümpfungsmaßnahmen sind aber eine wichtige Vorbedingung für die Braunkohleverstromung, denn ohne Sümpfungsmaßnahmen kann es keinen Braunkohletagebau geben.

Es ist zu hoffen, dass im Zuge des weiteren Verfahrens Grundwasser- und Klimaschutz eine Rolle spielen werden und dem Antrag in der vorliegenden Form nicht zugestimmt wird. Mir ist bewusst, dass dies ein utopischer Wunsch ist, aber RWE wirkt gravierend daran mit, dass sowohl das 1,5-Grad als auch das 2-Grad Ziel – also die Ziele die durch Menschen verursachte Erderwärmung auf maximal 1,5 bzw. 2 Gad zu beschränken – eklatant verfehlt werden. Daher ist um so wichtiger, dass solche Anträge zwar öffentlich aber ohne Wahrnehmung in der Öffentlichkeit entschieden werden.

Extremistische Vorboten

Von Fridays for Future zur grünen RAF?

Einige Menschen kleben sich auf Autobahnen fest, andere besetzen ein Kohlekraftwerk. Klimaaktivist*innen wollen nicht nur freitags auf die Straße gehen und demonstrieren, sondern ihren Anliegen durch verschiedene Protestformen, die darauf ausgelegt sind, das niemand verletzt wird, Öffentlichkeit zu verschaffen. Solche Protestformen gefallen nicht jedem, vor allem nicht denen, die mit den Zielen der Aktivist*innen nicht (vollkommen) übereinstimmen. Aber bedeutet dies, dass die Klimaschutzbewegung – oder zumindest Teile – sich radikalisieren? Gibt es Extremismustendenzen in der Bewegung? Ja, wenn man dem Regensburger Extremismusforscher Prof Dr. Straßner folgt.

Radikalisierungstendenzen?

Zuletzt wurde diese Äußerung in einem Artikel der Rheinischen Post am 21. September 2022 veröffentlicht. Dies ist aber nicht das erste Mal, dass sich Straßner so über die Klimaschutzbewegung äußert. Im Jahr 2019 gab es einen Meinungsbeitrag in der WELT zu diesem Thema. Aber der Reihe nach. Der Beitrag 2019 hatte den Titel: „Ein Hilfeschrei der Jugend? Eher ein Vorbote extremistischen Denkens“. Straßners zentraler Punkt ist, dass die Klimaschutzbewegung – namentlich kritisiert in Form von Luisa Neubauer und Greta Thunberg – einer „gleichsam religiösen Logik“ folge und abweichende Meinungen als „Häresie“ ansehen würden. In dem Artikel liest man: „Befeuert von Klimageografen, die mitunter eine kritische Distanz zu ihrem Forschungsfeld vermissen lassen, werden Wissenschaftler als Heilige betrachtet, solange sie die eigenen Standpunkte teilen“. Die Äußerung Straßners suggeriert, dass die genannten Klimaaktivistinnen – die womöglich stellvertretend für die Klimaschutzbewegung stehen sollen – selektiv vorgehen und nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse akzeptieren, die ihrer Meinung entsprechen. Dabei wird aber ignoriert, dass hier keine selektive Wahl wissenschaftlicher Positionen vorliegt, sondern die Klimaschutzbewegung – auch gerade die genannten Aktivistinnen – sich auf dem Boden der Wissenschaft bewegen und hinter sich eine absolute Mehrheit aller relevanten Wissenschaftler vereint. Hier liegt also keine religiöse Logik vor, es geht nicht um subjektiven Glauben. Es geht um eine Klimaschutzbewegung, die auf dem Boden des Konsens der modernen Wissenschaft steht.

In dem jüngeren Artikel, der in der RP erschien, geht Straßner noch einen Schritt weiter. „Die Bewegung trage in Teilen Züge einer Sekte und erhebe einen absoluten Wahrheitsanspruch“ zitiert die Rheinische Post Straßner. Wird der Klimabewegung Sektierertum vorgeworfen, dann muss derselbe Vorwurf auch der absoluten Mehrheit aller (relevanten) Wissenschaftler gemacht werden. Oder soll der Vorwurf nicht so allgemein gelten, sondern sich auf einzelne Aussagen oder Forderungen beziehen? Im Artikel wird das nicht deutlich, die Kritik ist sehr pauschal.

Erinnerungen an die RAF

In dem Artikel heißt es weiter, dass sich Straßner durch einige Aktionen – genannt werden Straßen- und Kraftwerkblockaden – an die erste Generation der Rote Armee Fraktion erinnert fühlt. Also: auf der einen Seite die RAF, auf der anderen Seite ‚Extinction Rebellion‘, ‚Ende Gelände‘ und ‚Letzte Generation‘ – die drei Gruppen werden namentlich genannt. Macht ein solcher Vergleich Sinn? Straßner müsste es wissen, denn als Extremismusforscher hat er sich intensiv mit der RAF beschäftigt. Bislang aber, wie ein Blick auf seine Homepage zeigt, fehlen noch wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Klimabewegung. Wie kommt Straßner also zu diesem Vergleich? So heißt es seitens Straßners in dem Artikel: „Die Aktivisten behaupten von sich selbst, für eine ganze Generation zu sprechen. So diskriminieren sie systematisch andere Meinungen, und auch das ist ein Kennzeichen einer Radikalisierung“.

Es gibt also, so Straßner, Anzeichen einer Radikalisierung. Grund: Diskriminierung anderer Meinungen und den Anspruch für eine ganze Generation zu sprechen. Für die Diskriminierung fehlen mir bislang noch die Belege? Ist es Diskriminierung, wenn unwissenschaftliche Positionen, also Positionen, die in der Wissenschaft nicht akzeptiert werden, abgelehnt werden?    

Der Vergleich zwischen der RAF und Klimaaktivisten ist, wie ich finde, sehr gewagt. Die RAF trat für eine politische Ideologie ein, die Klimaaktivisten für Klimaschutz. Im großen Unterschied zur RAF steht die Klimaschutzbewegung auf dem Boden der modernen Wissenschaft. Es geht also nicht um Ideologie oder einen vermeintlichen Wahrheitsanspruch, sondern um Behauptungen auf dem Boden der modernen, empirischen Wissenschaft, die auf einen enormen Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft stoßen.

Der RP-Artikel redet eine Entwicklung der Klimaschutzbewegung hin zu einer terroristischen Organisation bei. Zunächst wird ganz allgemein von Klimaaktivisten gesprochen, später einige Gruppen exemplarisch genannt. Es ist unklar, ob damit die gesamte Klimaschutzbewegung gebrandmarkt werden soll oder ob die terroristischen Tendenzen auf die drei genannten Gruppen beschränkt werden sollen. Vielleicht ist diese Unklarheit durchaus gewollt. Jedenfalls hoffe ich, dass sich Herr Straßner und die RP bewusst sind, dass alleine sein Titel und sein Forschungsschwerpunkt schon dafür sorgen, dass seinen Worten von einigen Menschen besondere Bedeutung beigemessen wird. Daher ist von jemandem, der sich als Extremismusforscher profiliert hat, zu erwarten, dass er nicht leichtfertig verkürzte Gleichsetzungen vornimmt, die (zumindest) Teile der Klimaschutzbewegung mit der ersten Generation der RAF gleichstellt. Dies ist eine Darstellung der Klimaschutzbewegung, die entweder eine Spaltung der Bewegung oder ihre Dämonisierung als Extremisten bewirken soll. Die RAF-Keule ist eine der stärksten rhetorischen Keulen, die in Deutschland zur Verfügung steht und zieht eine ganz Reihe negativer Assoziationen mit sich, die dadurch auf die Klimaschutzbewegung übertragen werden.

Die grüne RAF

Von einer grünen RAF sprechen einige andere Medien auch, zum Beispiel das RedaktionsNetzwerk Deutschland, und verweisen dabei auf Tadzio Müller, der in einem Spiegelinterview vor dem entstehen einer grünen RAF warnte. Man muss es deutlich sagen, er droht nicht damit, dass eine solche entstehen wird, sondern macht eine Aussage über das Frustrationspotential, das einige Klimaaktivist*innen haben und das sich als Folge eine solche Gruppe entwickeln könnte. Müller selbst spricht sich für zivilen Ungehorsam und die Störung von Betriebsmaschinen aus. Deutlich, das steht in eindeutigem Kontrast zur RAF, macht er aber klar, dass die Gefährdung von Menschenleben eine Grenze darstellt, zum Beispiel in einem Interview mit dem ZDF. „Völlig aufgehetzte und verblendete Klimaaktivisten, die in wahnhaften apokalyptischen Vorstellungen gefangen sind, könnten irgendwann diese Grenze überschreiten“, schreibt die Preußische Allgemeine. Groß wird auch hier gefragt, ob es zur Bildung einer grünen RAF komme. Klar, die Preußische Allgemeine ist eine Zeitung der Landsmannschaft Ostpreußen und eher im neurechten Spektrum zu verorten. Das Reden von einer grüne RAF passt hier natürlich gut ins Bild, da es die vermeindliche Gefahr, die von der Klimaschutzbewegung ausgeht, noch einmal schön betont.

Kann man auch anders über Radikalisierung sprechen?

Interessant ist, wie andere Medien die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung thematisieren. Die TAZ stellt 2021 unter der Überschrift „Radikalisierung der Klimabewegung“ etwa die Frage, ob nun die Zeit für mehr zivilen Ungehorsam gekommen sei. Ziviler Ungehorsam ist nicht gleichzusetzen mit Terrorismus. Im Deutschlandfunk hat sich ein anderer Politologe zur Radikalisierung der Klimaschutzbewegung geäußert. Man kann dort lesen, dass die Aktionen der ‚Letzten Generation‘ möglicherweise militante Minderheiten mobilisieren könnte. Er, das ist Michael Wehner (Universität Freiburg), hält radikale Gewaltakte – die man vielleicht eher mit der RAF in Verbindung bringen würde – für unwahrscheinlich. Gerade der letzte Beitrag zeigt, dass man auch kritisch mit den Aktionsmethoden der Klimaschutzbewegung umgehen kann, ohne auf ein negatives Framing zurückgreifen zu müssen.

Die Frage nach der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung kann und sollte gestellt werden. Denn wenn sich die Bewegung radikalisiert, wenn vielen alle halbe Jahr ein Klimastreik nicht mehr reicht, dann sagt dies etwas aus. Es sagt etwas darüber aus, dass Menschen der Meinung sind, die Schritte, in denen beim Klimaschutz vorangegangen wird, viel zu klein sind. Die Frage nach der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung kann und sollte also gestellt werden, aber ohne falsche Gleichsetzungen und Vorverurteilungen einer (bislang) absolut friedlichen Protestbewegung. Die TAZ macht in dem oben genannten Artikel einen guten und ausgewogenen Job, dabei berücksichtigt sie insbesondere Beweggründe für die Radikalisierung von Teilen der Klimaschutzbewegung. Aber vor allem spricht die TAZ nicht (implizit) von Terrorismus, sondern von zivilem Ungehorsam, was juristisch eine ganz andere Hausnummer ist.

Wir können über Radikalisierung sprechen, aber ohne zu dämonisieren

Wenn von einer Radikalisierung der Klimaschutzbewegung gesprochen wird, sollte dies – insbesondere auch von den Medien – mit Vorsicht getan werden. Es gibt sehr wichtige Nuancen in der Radikalisierung, Terrorismus, wie er mit dem Begriff einer grünen RAF assoziiert wird, ist ein Extrem, das man den Klimaschutzbewegung nicht leichtfertig unterstellen sollte. Für die Klimaschutzbewegung, die ja sehr heterogen ist, sollte klar sein, dass man dieses negativen Framing, das in rechten Kreisen gerne auch aufgegriffen wird, nicht unwidersprochen stehen lassen darf. Eine Pauschalkritik an der Klimaschutzbewegung und Vergleich mit der RAF, wie sie in der RP leider jüngst zu lesen waren, bewirken nur eines und zwar eine Dämonisierung einer friedlichen, globalen Bewegung.

Von Wissenschaftlern ist zu erwarten, dass sie ihre Extremismuswarnungen untermauern können, von Medien ist zu erwarten, dass sie sich ihrer Sprachwahl bewusst sind und klar verstehen, was es bewirkt, wenn sie groß titeln, dass ein Extremismusforscher „Parallele zwischen Klimaschützern und RAF“ sieht.

Zum Ende ein paar Worte an die RP

Liebe RP, gerne dürft ihr die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung thematisieren, das ist ja auch euer Auftrag. Aber bitte nehme Bezug auf belastbare wissenschaftliche Untersuchungen, bitte unterlasst Pausalurteile über eine heterogene Bewegung und bitte unterlasst eine Berichterstattung, deren einziges Ziel ist es, Ängste vor der Klimaschutzbewegung zu schüren. Wie ich auch schon einmal an anderer Stelle schrieb: Reden ist Silber, Schweigen ist Klimaschutz. Für das Weltklima wäre es besser gewesen, wenn ihr geschriegen und nicht dämonisiert hättet. Vor allem, liebe RP, beantwortet mir eine Frage: War der Veröffentlichungszeitpunkt des Artikels, zwei Tage vor dem Klimastreik, Zufall oder Kalkül?

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Wie die Rheinische Post für klimaschädliche Autos wirbt

In den 80er Jahren hatten meine Eltern die Westdeutsche Zeitung abonniert, mir war die Wochenendausgabe der Zeitung am liebsten. Diese Ausgabe war besonders dick und enthielt immer eine Witzseite, mit mal mehr und mal weniger gelungenen Witzen. Beim Suchen der Witzeseite habe ich meistens die Autoseiten gestreift, auf denen unter anderem die neuesten Kraftfahrzeuge vorgestellt wurden. Jetzt wurde mir ein Foto einer Seite der Rheinischen Post (vom 17.09.2022) zugeschickt, das mich gleich wieder in die 80er zurückversetzte. Unter der Überschrift Understatement aus Korea befindet sich das farbige Foto eines Autos und ein Text, der dieses Auto in höchsten Tönen lobt. Er geht dabei um einen Genesis, eine Automobilmarke, die zu Hyundai gehört. Das vorgestellte Auto – ein Genesis G80 – ist, wie es im Text heißt, „kein alltäglicher Wagen“. Das kann man alleine schon an den Werten, die zu dem Fahrzeug aufgelistet werden, erkennen:  304 PS, maximale Geschwindigkeit 250 km/h, Verbrauch 9,3 Liter und CO2-Ausstoß 205,4g/km. Das Umweltbundesamt berichtet, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß bei zugelassenen Neuwagen 2017 rund 118,5g/km betrug. Der vorgestellte Wagen liegt bei seinen Emissionen also jenseits des Durchschnitts.

Was schreibt denn die RP über diesen Wagen? Zum Beispiel folgendes: „Anonym und unerkannt vorbeifahren ist mit diesem Gefährt schwer möglich. Passanten drehen sich um und nickend anerkennend“. Das Urteil der RP ist deutlich, wer ein solches Fahrzeug fährt, der verdient Anerkennung. Nicht nur von den Redakteuren, auch die Passanten – vermutlich nicht alles Redakteure der RP – zollen dem Fahrer ihre Anerkennung für das Fahren dieses Fahrzeugs. Aber wofür denn genau? Dafür, dass man ein Luxusauto fährt? Dafür, dass man sich ein modernes koreanisches Statussymbol gegönnt hat? Ganz klar wird mir dies nicht, aber eines ist sicher. Anerkennung gibt es nicht für eine klimafreundliche Form der Fortbewegung.

Die RP versieht ihren Artikel mit dem Hinweis, dass der Redaktion der Wagen zu Testzwecken von Genesis zur Verfügung gestellt wurde. Der Artikel liest sich auch entsprechend wie eine Werbung für eine Luxuskarosse, die überteuert, übergroß, zu schnell und mit viel zu hoher Schadstoffemission daherkommt. Leider ist das nur meine Interpretation, denn die RP verhält sich dem Fahrzeug gegenüber vollkommen unkritisch. Muss ich kritischen Journalismus in einer solchen Art gesponsorter Berichterstattung erwarten? Nein, das wäre utopisch. Hätte die RP geschrieben: „Das Auto ist klimaschädlicher als der Durchschnitt der Autos“, wäre das für Genesis, die das Auto ja zu Testzwecken zur Verfügung stellten, ziemlich doof gewesen. Noch einmal hätte es bestimmt kein solches Testauto gegeben. Also, erwarten muss man nicht zu viel. Zugleich habe ich aber doch hohe Erwartungen. Ich erwarte, dass Zeitungen im Jahr 2022 realisiert haben, dass es wir gerade ein ganz ernstzunehmendes Problem haben: Klimawandel! Wir stecken mitten drin und eines der großen Themen, das im Zuge der Debatte rund um die Klimakrise dominant ist, ist, welchen Beitrag kann und muss der Verkehrssektor leisten. As große Stichwort ist hier: Mobilitätswende. Ich gestehe der RP gerne zu, dass sie das Thema Klimakrise nicht in jedem Artikel behandeln muss. Aber die Medien müssen ihre Verantwortung anerkennen und sich gut überlegen, ob ein Artikel, wie der über die Emissionsschleuder von Genesis, wirklich dieser Verantwortung gerecht wird.

Die Medien spielen eine zentrale Rolle darin, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Dies hat insbesondere damit zu tun, wie Medien – aber nicht nur diese – über die Welt sprechen, bzw. schreiben. Mit einem Artikel wie den über den Genesis G80 transportiert die RP eine bestimmte Wahrnehmung von Kraftfahrzeugen: das Fahren mit teuren, luxuriösen und klimaschädlichen Autos wird mit Prestige assoziiert. Das Fahrzeug wird dekontextualisiert präsentiert, es findet keine Einbettung in die wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen statt, wodurch der Artikel sehr deutlich in die Nähe von Werbung gerückt wird, die unter dem Deckmantel eines objektiven Tests verschleiert wird. Nicht einmal eine Kontextualisierung der Verbrauchswerte findet statt. So wird lediglich der CO2-Ausstoß des Fahrzeugs angeführt, einen Hinweis auf den Durchschnittswert der Neuzulassungen findet sich nicht. Die RP stellt also Auto, das klimaschädlicher als der Durchschnitt der zugelassenen Neuwagen ist, als Prestigeobjekt dar, um das der Fahrer von den Passanten bewundert wird. Durch dieses positive Framing werden die negativen Aspekte vollkommen ausgeblendet.

Durch das positive Autoframing wird die RP ihrer medialen Verantwortung nicht gerecht, genau das Gegenteil ist der Fall. Es gibt Medien, die gehen einen anderen Weg. Die Frankfurter Rundschau bündelt ihre Klimaberichterstattung und stellt diese dadurch fokussierter dar. Mehr als 500 Französische Journalisten haben eine Charta für Klimaberichterstattung unterzeichnet (hier ein Artikel des Spiegels zu dem Thema). Diese beinhaltet nicht nur die Klimaberichterstattung, sondern auch die Verringerung des eigenen CO2-Ausstoßes. Wichtig ist, dass nicht nur die Klimakrise in ihrem weltweiten und lokalen Kontext ausreichend thematisiert wird, es ist auch wichtig, dass kein positives Framing klimaschädlicher Technologie oder Energieträger vorgenommen wird. Manchmal gilt eben auch in den Medien: Reden ist Silber, Schweigen ist Klimaschutz.           

Anmerkung 19.09.2022: Der oben genannte Artikel aus der RP ist auch online lesbar, jedoch fehlen einige Angaben – etwa die Auflistung der Werte -, die sich in der Printversion des Artikels finden.

Leseempfehlung: Nicht zum ersten Mal [hier] möchte ich auf Elisabeth Wehlings Buch Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht hinweisen. In dem Buch arbeitet sie sehr gut verständlich die Grundlagen des politischen Frames aus und zeigt auf, wie sich Sprache auf unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit (oder unsere Konzeptualisierung der Welt) auswirkt.   

Erneuerbare Energien – Eine unzutreffende Bezeichnung für unbegrenzt zur Verfügung stehende Energieträger

Was muss bei ‚erneuerbaren Energien‘ eigentlich erneuert werden?

Der Satz Das Problem ist lösbar bedeutet, dass ein bestimmtes Problem gelöst werden kann. Wenn Wasser trinkbar ist, dann kann es getrunken werden. Es gibt noch viele weitere Adjektive, die mittels -bar von einem Verb angeleitet sind. Die Bedeutung ist immer grob als ‚das, was das Verb bedeutet, kann gemacht werden‘ (trinkbar = kann getrunken werden, essbar = kann gegessen werden, lösbar = kann gelöst werden). Durch das –bar wird, vereinfacht gesagt, die Möglichkeit eine Handlung auszuführen, ausgedrückt. Was bedeutet es aber dann, wenn wir von erneuerbaren Energien sprechen? Erneuerbare Energien müssten Energien sein, die erneuert werden können. Unter die sogenannten erneuerbaren Energien fallen Solarstrom, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme.

Laut dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache bedeutet erneuern: ‚etwas Altes durch etwas Neues auswechseln, neu werden‘. Der Duden führt ein paar weitere, damit verwandte Bedeutungen an: ‚Altes/ Verbrauchtes gegen Neues auswechseln‘, ‚wiederherstellen‘, ’neu werden/ neue Kraft gewinnen‘ oder ’neu beleben‘. Wir können erneuern also ganz grob verstehen als ein Prozess, bei dem etwas Altes, bzw. Verbrauchtes durch etwas Neues ersetzt wird. Ein solcher Prozess hat zwei Akteure: den, der erneuert und das, was erneuert wird.

Wenn wir über essen reden, dann gibt es auch zwei Akteure: den, der isst und das, was gegessen wird. Mit essbar bezeichnen wir eine Eigenschaft dessen, was gegessen wird. Ebenso bezieht sich erneuerbar auf eine Eigenschaft dessen, was erneuert werden kann. Somit ist eine erneuerbare Energie eine Energie, die erneuert werden kann. Aber wer erneuert diese Energien? Gibt es jemanden, der Windkraft, Sonnenenergie oder Erdwärme erneuert? Daran schließt die Frage an, ob Windkraft, Sonnenenergie und Erdwärme überhaupt erneuert werden müssen? Bevor ich darauf antworte, will ich erst einmal einen kurzen Blick darauf werfen, mit welchen Nomen erneuerbar zusammen verwendet wird.

Sucht man im Deutschen Referenzkorpus DeReKo (Archiv W) nach ‚erneuerbar‘, gibt es deutlich fast 200000 Treffer. Schaut man sich von diesen eine Zufallsauswahl von 100 Treffern an, dann dominiert erneuerbar in Kombination mit Energie (88x). Insgesamt wird erneuerbar vor allem im Energiekontext verwendet, andere Nomen, die aus diesem Kontext vorkommen, sind: Energiequelle (1x), Energieträger (3x), Quelle (5x, verwendet im Sinne von Energiequelle), Strom (1x). Das Nomen Ressource tritt ebenfalls auf, aber auch hier im Energiekontext. Als letztes Nomen kommt Technologie noch einmal vor, aber auch im Kontext der erneuerbaren Energien. Im aktuellen Gebrauch scheint erneuerbar sehr stark auf den Energiekontext bezogen zu sein.

Die Bezeichnung Erneuerbare Energien wird häufig im Kontrast zu fossilen Energien gebraucht, wie der Kohle- und Gasverstromung. Auch wenn der Zeitraum, der zur Bildung von Kohle gebraucht wird, sehr lang ist, kann man Kohle doch als ‚erneuerbar‘ (im strikten Sinne des Wortes) bezeichnen. Würde man die relevanten Prozesse ungehindert laufen lassen, dann würde sich (über lange Zeiträume hinweg) wieder Kohle bilden. Das ist aber gerade nicht, was mit erneuerbar im Zusammenhang mit Energie gemeint ist. Vielleicht steht erneuerbar dafür, dass etwas wiederholt nutzbar ist, ohne dass es erneuert werden muss. Bei der Nutzung von Windkraft wird der Wind nicht verbraucht, er wird genutzt. Der Wind treibt ein Windrad an und weht danach unbeirrt weiter. Das Antreiben des Windrades braucht den Wind nicht auf. Vielmehr kann ein und derselbe Wind – was auch immer Identitätskriterien für Wind seien mögen – wieder und wieder genutzt werden, jedenfalls solange er weht. Dadurch können zahlreiche Windräder angetrieben werden.

Es gibt also anscheinend zwei Verwendungen des Begriffs erneuerbar. Einmal kann es, wie in dem Beispiel in (1) unten, bedeuten, dass etwas erneuert werden kann. Das ist die Bedeutung, die sich ganz regulär auf Grundlage unseres Verständnisses von bar-Ableitungen ergibt. Dann, wie im Kontext der Energiedebatte, kann es bedeuten, dass etwas gar nicht erneuert werden muss, da es nicht verbraucht wird. Beide Bedeutungen finden sich auch im DWDS für erneuerbar: (i) so beschaffen, das man es erneuern kann und (ii) nachwachsend, sich erneuernd, unbegrenzt zur Verfügung stehend. [Unbegrenzt zur Verfügung stehen bedeutet nicht, dass der Energieträger zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort zur Energieerzeugung verwendet werden kann, sondern nur, dass er nicht aufgebraucht wird.] Für die zweite Verwendung gibt das DWDS an, dass sie in fachsprachlichen Kontexten (Technik, Energiewirtschaft) vorkommt. Aber auch das DWDS ist nicht ganz sicher, wie erneuerbar in diesem Kontext zu verstehen ist, denn ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ wird nur als ein Aspekt der Bedeutung aufgelistet. Damit hat erneuerbar zwei gegensätzliche Bedeutungen, was, zumindest nach meinem Verständnis, die Interpretation des Ausdrucks erneuerbare Energie nicht leicht macht.

(1) Ein Hohlraum in der Mitte unserer geschmierten Kegelventile enthält ein Dichtmittel, das sich in Richtung der radialen Löcher bewegt und beim Betrieb eine erneuerbare Dichtung zwischen Kegel und Gehäuse erzeugt. 

(https://de.dombor.com/product-item/lubricated-plug-valves-collection/)

Um es noch einmal deutlich zu machen: Problematisch an dem Ausdruck erneuerbare Energie ist, dass erneuerbar erst einmal suggeriert, dass etwas überhaupt erneuert werden müsste. Dass es ein technisches Verständnis von erneuerbar im Sinne von ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ gibt, ist nicht immer unmittelbar evident. Wäre ein passender Begriff im Rahmen einer Marketingkampagne gesucht worden, hätten die erneuerbaren Energien vielleicht eine andere Bezeichnung bekommen. Vielleicht wäre eine treffendere und direkter zu verstehende Bezeichnung gewählt worden: ‚unbegrenzt verfügbare Energien‘ oder ‚Energien, die nicht erneuert werden müssen‘?

Elisabeth Wehling geht in ihrem Buch Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht auch auf den Ausdruck erneuerbare Energie ein. In ihrem Buch beschreibt sie, wie Sprache sich auf unser Denken über bestimmte Themen auswirkt. Meine obige Auseinandersetzung mit demBegriff erneuerbar setzt auf Wehlings Diskussion dieses Begriffs auf. Sie hat bereits dieselben Argumente vorgebracht und schreibt: „Das Wort ‚erneuerbar‘ macht die Nutzung unerschöpflicher Energiequellen in unseren Köpfen anstrengend. Und es impliziert zugleich, dass Wasser, Sonne, Erdwärme und Wind verschleißen, indem wir ihre Energie nutzen. Denn was erneuert werden muss, ist vorher abgenutzt worden.“ (S. 189) Durch die Bezeichnung erneuerbar werden (schnell) falsche Vorstellungen geweckt. Und vermutlich sind diese falschen Assoziationen auch der Grund, warum im DWDS ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ als nicht wirklich transparente Bedeutung für erneuerbar aufgeführt ist, denn immerhin sind Sonne, Wind und Wasser im eigentlichen Sinne keine erneuerungsbedürftigen Energieträger.

Und die Konsequenz? Der Ausdruck erneuerbare Energie ist im Sprachgebrauch fest verankert und wäre sicherlich nicht leicht durch einen anderen Begriff zu ersetzen. Nötig wäre dies auch nur, wenn es durch die Verwendung des Begriffs erneuerbare Energie zu Konfusion und Missverständnissen in der (öffentlichen) Debatte über Wind-, Sonnen-, Wasserkraftenergie kommt. Ob dies so ist, muss erst noch untersucht werden, zumindest sind wir diesbezüglich keine Arbeiten bekannt. Zumindest zeigen Tweets wie der von Hubert Aiwanger, dass erneuerbar Energie durchaus auch im Sinne von ’nachwachsender Energieträger‘ verstanden werden kann. Aber es ist klar, dass Holz genauso wenig eine unbegrenzt zur Verfügung stehende Ressource ist wie Kohle oder Gas. Das Beispiel zeigt schön, dass die Begriffe nicht ’neutral‘ sind, sondern, wie auch Wehling es schreibt, immer einer Perspektivierung mit sich bringen. Erneuerbar bringt (häufig) eine Perspektivierung mit sich, die für Energieträger wie Wasser, Sonne oder Wind unpassend ist.  

Nachtrag 17.09.2022: Holz ist in nachwachsender Energieträger, der aber nur begrenzt zur Verfügung steht. Ohne Aufforstung, kein (ausreichend) neues Holz. Mit der Frage, ob Holz als Energieträger eine Alternative zu Öl, Gas oder Kohle ist, befasst sich der BR schön übersichtlich auf dieser Seite.

Lektüreempfehlung: Elisabeth Wehlings Buch Politisches Framing ist eine leicht verständliche Einführung in die Thematik der politischen/ öffentlichen Sprache und macht sehr schön deutlich, warum es nicht egal ist, wie wir über bestimmte Themen (z.B. die Klimakrise) sprechen, sondern warum unser Sprechen Auswirkung auf unsere Wahrnehmung von und damit Einstellung gegenüber dieser Thematik haben. Das Buch ist zwar schon ein paar Jahre alt und könnte problemlos aktualisiert werden, weniger lesenswert ist es dadurch aber nicht.

Fünf Dörfer am Tagebau Garzweiler gerettet

Die Presse erklärt Dörfer als gerettet, obwohl sie es noch nicht sind. Und was soll es eigentlich heißen, dass ein Dorf gerettet ist?

Für den Rheinischen Braunkohletagebau mussten bereits einige Dörfer weichen, aktuell sind vor allem die Bemühungen zur Rettung von Lützerath bekannt. Lützerath, das zum sogenannten zweiten Umsiedlungsabschnitt gehört, steht eventuell kurz davor abgebaggert zu werden. Die letzten Grundstücke sind Anfang September 2022 in den Besitz von RWE übergegangen. Neben Lützerath droht aber noch weiteren zu Erkelenz gehörenden Dörfern der Abriss. Dies sind die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts. Die Namen der Ortschaften, die wahrscheinlich Wenige kennen, sind Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath. Ob diese Dörfer aber wirklich abgebaggert werden, ist gar nicht so klar. Mehrere Medien haben dieses und letztes Jahr davon berichtet, dass die Dörfer gerettet seien.  Die Rheinische Post hat die Rettung der Dörfer im November 2021 verlauten lassen. Das Heinsberg-Magazin titelte im selben Monat genauso. Die NRZ schrieb im Januar 2021, dass die Braunkohledörfer gerettet seien und das Leben in sie zurückkehren soll. Andere, bzw. dieselben Medien sind (manchmal) vorsichtiger und sprechen von der Rettung der Dörfer nur als einer Absicht und nicht als ein Fakt. Beispielsweise schrieb die NRZ im Dezember 2021, dass die Dörfer gerettet werden soll. Die Rettung wird als Absicht und nicht als Fakt dargestellt. Damit bietet die Zeitung eine andere Darstellung als noch rund 12 Monate zurvor. Zuletzt schrieb die Rheinische Post am 23. Juni 2022 sehr optimistisch: „Schwarz-Grün rettet Erkelenzer Tagebaudörfer“.  Darin findet man den Satz: „Damit haben die Bewohnerinnen und Bewohner der fünf Dörfer nun endlich Gewissheit, wie es mit ihnen beziehungsweise mit ihrer Heimat weitergeht“.

Die Rheinische Post erweist sich als zu voreilig. Die Stadt Erkelenz hat auf schriftliche Nachfrage bestätigt, dass es bislang noch keine rechtliche Vereinbarung gibt, gemäß der die Dörfer von RWE nicht abgebaggert werden würden. Die zukünftigen Tagebaugrenzen, so die Stadt, sind noch nicht fixiert. In der ‚Leitentscheidung Braunkohle – Neue Perspektiven für das Rheinische Revier‘ , herausgegeben vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, hieß es am 23. März 2021 noch, dass die Umsiedlungen bis 2028 abgeschlossen sein sollen.

Worauf gründet dann die frohe Botschaft der Rheinische Post? Erst einmal nur auf einer Absichtserklärung, die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung zu finden ist. Dort heißt es, dass alle Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts erhalten bleiben sollen. Dies ist aber bislang nur eine Absichtserklärung, noch gibt es keine Einigung mit RWE bezüglich des Erhalts der Dörfer. ‚Gewissheit‘, wie die Rheinische Post schreibt, können die Menschen in den Dörfern noch nicht haben. Aber Hoffnung!

In aller Voreiligkeit hat die Rheinische Post einen wesentlich Punkt benannt: Die Rettung der Dörfer wird eine Rettung für die Landfläche sein – also den Grund und Boden – , nicht aber eine Rettung für die dörfliche Infrastruktur, das dörfliche Leben, eben das, was eine ‚Landfläche‘ zu einem Dorf macht.

Die Umsiedlung der Dörfer des Umsiedlungsabschnitts begann im Dezember 2016. Laut der oben so genannten Leitentscheidung Braunkohle hatten sich bis zum 31. Januar 2021 „bereits rd. 86 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner mit der Bergbautreibenden über den Verkauf des Grundeigentums geeinigt“ (S. 33) und 61% der Einwohner hatten bis dahin die Altorte bereits verlassen. Zu Beginn der Umsiedlungsmaßnahmen 2016 lebten laut Wikipedia 830 Personen in Keyenberg. Der Bevölkerungshöchststand lag bei 882 Personen im Jahr 2008. Für Dezember 2020 führt die Internetseite der Stadt Erkelenz nur noch 265 Bewohner an. Im Zuge der Umsiedlungsmaßnahmen sind schon zahlreiche Bewohner aus Keyenberg, dessen Umsiedlung 2023 als erstes abgeschlossen sein soll, weggezogen. Das Aktionsbündnis ‚Alle Dörfer bleiben‚ teilte mir auf Anfrage mit, dass momentan noch rund 120 Menschen in Keyenberg wohnen, hinzu kommen dort untergebrachte Geflüchtete aus der Ukraine und Mitarbeiter von RWE. Die Geflüchteten sowie die RWE-Mitarbeiter sind dort wohl nur vorübergehend untergebracht, die anderen 120 Menschen werden eventuell bleiben können, wenn sie noch nicht an RWE verkauft haben. Da bislang nicht mehr als eine Absichtsbekundung zur Rettung der Dörfer besteht, geht der Umsiedlungsprozess, wie mir die Stadt Erkelenz mitteilte, momentan auch noch weiter.

Bis es eine politische Entscheidung und schließlich eine Einigung mit RWE gibt, werden die Umsiedlungen wohl noch fortgesetzt werden. Was bleibt den Menschen, die bereits verkauft haben, also übrig? Die Aussicht auf den Erhalt der Dörfer nimmt aber den Druck zu verkaufen, oder? Vielleicht, aber die Zukunft der Orte ist alles andere als klar. Wenn bereits Anfang 2021 86% der Einwohner an RWE verkauft hatten, dann besitzt RWE bereits einen Großteil der Gebäude. Ein Rückkaufsrecht haben die Menschen nicht. Bislang sind keine Pläne bekannt, was aus den Dörfern werden soll, wenn das Land nicht abgebaggert wird. Plant RWE eine Wiederbelebung der Ortschaften? Wenn ja, wie soll das aussehen? Lässt RWE zu, dass die Orte durch ihre Bewohner wiederbelebt werden? Gegen den Willen von RWE wird wenig laufen können, da RWE das Meiste aufgekauft hat. Sicherlich wird über die weitere Zukunft der Dörfer zwischen RWE und der Landesregierung verhandelt werden.

Kann man nun sagen, dass die Dörfer gerettet sind? Einerseits ist noch nichts in trockenen Tüchern. Noch liegen die Dörfer im geplanten Abbaugebiet. Anderseits scheint es eine Perspektive zum Erhalt der Dörfer zu geben. Aber was wird es bedeuten, wenn man in Dörfern lebt, von denen 86% der Einwohner ihr Eigentum bereits verkauft haben? Die Menschen, die jetzt noch da leben, wissen bereits, wie es ist, wenn man so lebt. Die Frage die für mich stellt ist, ob die Menschen, die bleiben können, auch sagen würden, dass die Dörfer gerettet sind. Oder ist, wie die Rheinische Post schreibt, nur die Landfläche gerettet? Möglicherweise ist die Aussage, dass die Dörfer gerettet sind (oder sein werden), also etwas euphemistisch. Aber das müssen die betroffenen Bewohner – die noch da sind und die, die bereits umgesiedelt sind –  entscheiden.

RWE wirbt damit, dass die Tagebaurestlöcher zu einem Naherholungsgebiet entwickelt werden sollen (darüber habe ich hier geschrieben). Die Löcher sollen mit Rheinwasser geflutet werden, so will es der 1995 verabschiedete Braunkohlenplan Garzweiler II. In schicken Broschüren wirbt RWE schon mit Bildern von Segelbooten, die ein zukünftiges Freizeitvergnügen im ehemaligen Tagebau suggerieren. Die Verfüllung der Tagebaurestlöcher wird, wenn es denn alles klappen wird, noch Jahrzehnte dauern. Aber RWE ist schon jetzt im Gebiet vieler Grundstücke, die sich in der Nähe der zukünftigen Seen befinden. Wer weiß, welche Entwicklungsideen bereits vorhanden sind? Ferienparks? Hotel? Eigenheime in Seenähe? So oder so, wenn dort wirklich ein Naherholungsgebiet entstehen wird, dürfte der Grundstückswert beträchtlich – vor allem im Vergleich zu jetzt – steigen.

In den Dörfern gibt es aber auch ehemalige Kirchen, die mittlerweile nicht mehr genutzt werden und unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Vor allem letztere dürften, wenn die Dörfer nicht abgebaggert werden, nicht so einfach abgerissen werden. Es wird interessant sein zu sehen, wie RWE mit diesen Gebäuden verfahren wird.  

Zurück zum Anfang: Liest man die eingangs erwähnten Zeitungsberichte unkritisch – oder vielleicht auch nur ihre Überschriften – , wird der Eindruck erweckt, dass die Menschen in den vom Tagebau bedrohten Dörfern einen Sieg errungen haben. Noch ist es aber kein Fakt, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden. Und selbst wenn, die Umsiedlungen laufen schon seit Jahren. Viele Menschen haben ihr Zuhause bereits an RWE verkauft und die, die es noch nicht getan haben, leben in den Resten von Dörfern, deren Zukunft alles andere als entschieden ist. Die Frage ist also: was wird eigentlich gerettet sein, wenn denn mal beschlossen wird, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden. Für das Klima wird es gut sein, wenn die Kohle im Boden bleibt, aber ein Dorf ist mehr als Boden und Landfläche. Was bleibt wirklich von den Dörfern?

Mir kommt an dieser Stelle die Redewendung Die Kirche im Dorf lassen in den Kopf. Damit ist gemeint, dass man einen Sachverhalt ruhig bewertet und nicht übertreibt. Sicherlich kann man sagen: Lass doch mal die Kirche im Dorf, die Absicht zur Rettung der Tagebaudörfer ist im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, also werden die schon gerettet. Aber das Sprichwort trifft es sehr genau, denn die Kirchen wurden nicht in den Dörfern gelassen. RWE hat die Kirche in Keyenberg 2019 gekauft. Als Kirche hat sie damit keine Funktion mehr, als Gebäude droht ihr der Abriss.

Ergänzung (11.09.2022): Wie ich eingangs schrieb, werden die Tagebaudörfer in einigen Medien als ‚gerettet‘ bezeichnet. Unabhängig davon, ob nur Dörfer oder nur die Landfläche gerettet wird, die Berichterstattung stellt die Rettung als einen Fakt dar. Soweit ist es aber noch nicht. Das Problem, das von einer solchen Darstellung ausgeht, ist, dass sich in den Köpfen der Leser*innen festsetzt: ‚Alles in Ordnung, die Dörfer sind gerettet‘. Das Ziel, das einige Menschen eventuell haben, die Rettung der Dörfer, scheint damit erreicht zu sein. Die Situation ist vergleichbar mit der einer Marathonläuferin, die aufhört zu laufen, sobald sie die Ziellinie sieht. Das Ziel ist erst mit Überquerung der Linie erreicht und die Dörfer sind erst gerettet, wenn es eine neue Leitentscheidung gibt, die rechtsverbindlich festlegt, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden!

Literaturtipp: Wer sich dem Thema Tagebaudörfer literarisch nähern will, kann einmal zu Ingrid Bachérs Roman „Die Grube“ greifen, der das Thema sehr anschaulich und gut lesbar behandelt.

Danksagung: Ich möchte mich gerne bei der Stadt Erkelenz und dem Aktionsbündnis ‚Alle Dörfer bleiben‘ für die schnelle und ausführliche Beantwortung meiner Fragen bedanken.