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Die sind gefährlich, zu viele und zu teuer

Rechte Argumentationsmuster am Beispiel der AfD Nettetal

Die Argumentationsmuster rechter Parteien sind gut bekannt, dennoch lohnt es sich, immer wieder auf die Argumentationen zu schauen und aufzuzeigen, welche Ideen und wie wenig substantielle Argumente tatsächlich hinter diesen Argumentationsmustern stehen. Dies möchte ich an dieser Stelle anhand einer verbalen Auseinandersetzung um eine Flüchtlingsnotunterkunft vornehmen.

Widerstand gegen Flüchtlingsunterkünfte ist kein Phänomen aus Ostdeutschland, auch tief im Westen findet sich solcher Protest. Ganz im Westen – an der Grenze zu den Niederlanden – liegt Nettetal. Im März 2023 wurde durch den Rat der Stadt Nettetal entschieden, dass eine neue Notunterkunft für geflüchtete Menschen bereitgestellt werden soll. In einer solchen Notunterkunft sollen geflüchtete Menschen zeitweilig unterkommen, die Notunterkünfte sollen sie wieder verlassen, sobald sie in reguläre Einrichtungen unterkommen können. Als Ort für die Notunterkunft wurde eine alte, nicht mehr genutzt Hauptschule im Stadtteil Kaldenkirchen ausgewählt.

Mittlerweile gibt es eine Bürgerinitiative, die Unterschiften gegen den Standort der Notunterkunft sammelt. Natürlich mischt die AfD bei diesem Thema auch mit. Auf der Internetseite der AfD-Fraktion Nettetal ist eine Stellungnahme zu der geplanten Unterkunft veröffentlicht. Was spricht nach AfD-Meinung gegen diese Flüchtlingsunterkunft?

Es ist unverantwortlich, im näheren Umfeld eines Kindergarten, der Realschule, der     Grundschule und des Schwimmbades eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten, wo        keiner der Verantwortlichen über die Herkunft der „neuen Bürger“ Bescheid weis [sic!]. Und nicht zu vergessen das Finlantis in unmittelbarer Nähe, welches auch von jungen       Damen besucht wird.

Die AfD schreibt, dass es unverantwortlich sei, die Flüchtlingsunterkunft in der Nähe von Orten, an denen Kinder und „junge Damen“ sind, entstehen soll. Warum unverantwortlich? Die AfD ist diesbezüglich nicht explizit, es scheint aber damit zu tun haben, dass die Herkunft der Geflüchteten im Vorfeld nicht bekannt sei. Soll dies heißen, dass es Menschen gibt, die aufgrund ihrer Herkunft für Kinder und „junge Damen“ besonders problematisch sind? Wenn ja, welche sollten das sein und warum? Und vor allem, was ist daran unverantwortlich, dass Geflüchtete Menschen vorher unbekannter Herkunft in der Nähe von Kindern und „jungen Damen“ sind? In einem später folgenden Textstück wird deutlich, was die AfD als unverantwortlich ansieht. Sie spricht explizit davon, dass die Geflüchteten eine Gefahr für „unsere Kinder“ seien. Es gibt bereits andere Notunterkünfte und durch diese haben sich bislang keine Gefahren für Kinder und „junge Damen“ ergeben.

Das Konzept der Flüchtlingsunterkunft sieht vor, dass die diese rund um die Uhr und zwar die ganze Woche durch einen Sicherheitsdienst begleitet wird. Der Sicherheitsdienst hat unter anderem die Funktion, dass nur die Bewohner in die Unterkunft kommen, die dort auch untergebracht sind. Dazu schreibt die AfD:

Kein Bürger soll sich wegen der Sicherheit unserer Kinder Gedanken machen, da ein Sicherheitsdienst für Ordnung sorgen soll. Echt jetzt? Das klingt wie blanker Hohn, weis [sic!] doch mittlerweile jeder Nettetaler Bürger, das z. Bsp. der Ordnungsdienst der             Stadt unterbesetzt ist und noch nicht einmal an den Brennpunkten in Nettetal (z.Bsp. Ingenhovenpark oder am Doerkesplatz im Sparkassenumfeld etc.) für Sicherheit  und Ordnung sorgen kann. Will uns der Bürgermeister allen Ernstes erzählen, dass die         beauftragte Sicherheitsfirma auch außerhalb der Unterkunft 24/7 die Sicherheit unserer    Kinder gewährleisten kann?       

Weder haben der Ordnungsdienst der Stadt noch die privater Sicherheitsdienst die Aufgabe, für Sicherheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu sorgen. Dies ist Aufgabe der Polizei. Hier wirft die AfD verschiedene Dienste ungeachtet ihrer unterschiedlichen Aufgaben in einen Topf. Zugleich bringt sie möglicherweise vorhandene Problembereiche mit bislang noch nicht einmal in Nettetal befindlichen Geflüchteten in Beziehung. Welcher Zusammenhang besteht zwischen „Brennpunkten“ in Viersen und der geplanten Flüchtlingsunterkunft? Die AfD nutzt ein vielleicht in Nettetal teilweise vorhandenes gefühl fehlender Sicherheit – zumindest wird eine fehlende Sicherheit durch die angeblichen „Brennpunkte“ suggeriert – und überträgt dieses von ihr festgestellte Sicherheitsdefizit auf ganz andere Bereiche. Auch wenn es keinerlei Rechtfertigung gibt, wird eine Ablehnung einer zukünftigen Einrichtung durch aktuell gefühlte Unsicherheit begründet. Zwischen beidem steht keinerlei Bezug.

Wenn die AfD ein Sicherheitsdefizit in Nettetal sieht, dann ist die richtige Adresse, dies anzusprechen, die Polizei und eventuell städtische Sozialarbeit, nicht aber der Sicherheitsdienst, der sich um die Notunterkunft wird kümmern sollen.

Das erste „Argument“ der AfD ist also, dass es ein Sicherheitsproblem gäbe. Die AfD suggeriert eine nicht belegbare Gefahr durch geflüchtete Menschen und erzeugt somit fremdenfeindliche Vorurteile.

Im Frühjahr 2023 war die Aufnahmekapazität für Geflüchtete bereits fast vollständig   erreicht. Warum lässt sich der Bürgermeister jetzt weitere 100 Menschen vom Land       zuweisen. Ein richtiger Bürgermeister hätte sich massivst gewehrt.

Die Verteilung Geflüchteter erfolgt über das Land. Dies als Bürgermeister nicht zurückzuweisen ist ein Zeichen der Solidarität mit anderen Kommunen. Wenn Aufnahmekapazitäten ausgeschöpft sind, dann müssen neue Unterkünfte errichtet werden. Das ist es ja gerade, was in diesem Fall geschehen soll. Die AfD greift den Bürgermeister greift auch wieder die angebliche Spaltung zwischen Bürger*innen und Politik auf und behauptet, dass der Nettetaler Bürgermeister nicht nur falsche Entscheidungen trifft, sondern auch noch wie ein unechter oder falscher Bürgermeister agiert. Damit findet eine persönliche Diffamierung des Bürgermeisters statt, der gegenüber den Lesern als unfähig oder auch unwillig zu „richtigem“ Handeln dargestellt wird.

Das zweite „“Argument“ der AfD ist, dass bereits zu viele Geflüchtete aufgenommen worden wären und die Kapazitäten ausgeschöpft seien. Zum Schluss geht es dann noch ums Geld:

Von der Finanzierung ganz zu schweigen. Der Umbau der Hauptschule wird nach   unseren Berechnungen mind. 1.000.000,00 € verschlingen zzgl. jährlicher Folge- und Betriebskosten von mind. 360.000,00 €.

Die AfD nennt Kosten für Umbau und den Betrieb der Einrichtung, obwohl der aktuelle Stand ist, dass die nötigen Maßnahmen zum Umbau erst noch geprüft werden müssen. Eine Anfrage bei der Grünen Fraktion der Stadt, die Rücksprache mit dem Bürgermeister nahm, ergab, dass bislang keinerlei Zahlen zu den Kosten vorliegen. Wie kommt die AfD auf diese Zahlen, die seitens der angefragten Stellen als „Fake News“ bezeichnet werden? Jedenfalls ist das dritte „Argument“ klar: Das kostet uns alles zu viel. Ich habe bei der AfD angefragt, wie sie auf die oben genannten Zahlen kommt, bislang habe ich dazu aber keine Antwort erhalten.

 Die AfD vermengt in ihrer Stellungnahme fremdenfeindliche Vorurteile („gefährlich“), unbelegte Behauptungen (Kosten) und stellt falsche Zusammenhänge her (gefühltes Sicherheitsdefizit), damit greift sie die klassischen Argumente, die seitens rechter Kreise gegen die Unterbringung geflüchteter Menschen immer wieder vorgebracht werden, auf: „Die“ sind gefährlich, wir haben schon genug von „denen“ und das kostet alles zu viel. Es werden unhaltbare und unbelegbare Aussagen genutzt, um unter dem Deckmantel der Sicherheit und hoher Kosten Stimmungsmache gegenüber geflüchteten Menschen zu machen.

Tipps zum Umgang mit der Klimakrise

Wie die RP den Umgang dem festgeklebten Klimaaktivist*innen empfiehlt

Wir befinden uns mitten in der Klimakrise, daher ist es begrüßenswert, wenn Zeitungen praktische Hilfestellungen anbieten. Dankenswerterweise hat auch die Rheinische Post reagiert und gibt nun eine Hilfestellung, wie Mensch in der Klimakrise agieren kann. Unter dem Titel „Darf man Klima-Kleber als Autofahrer selbst wegtragen?“ geht die RP genau dieser Frage nach.

Befragt wird ein – wie es heißt – renommierter Düsseldorfer Rechtsanwalt. Er räumt ein, dass Autofahrer*innen nicht einfach so selbstständig eine Straße räumen dürfen, wenn „Klima-Kleber“ diese blockieren. Aber, so heißt es im Verlauf des Artikels, es gibt durchaus Anlässe, in denen Autofahrer*innen aktiv werden dürfen. Hier die entsprechende Stelle aus dem Artikel:

„Anders könnte es sein, wenn über die bloße körperliche Anwesenheit der Kleber ein besonderer Druck auf mich ausgeübt wird, weil ich etwa durch die feste Verbindung der Personen mit der Straße tatsächlich und nicht nur psychisch am Weiterfahren gehindert werde. Dann dürfte ich unter Notwehrgesichtspunkten versuchen, die Personen zu entfernen“, so Bott weiter.

Also: sitzt ein Klimaaktivist oder eine Klimaaktivistin auf der Straße, dann dürfen Autofahrer*innen nicht selbstständig aktiv werden und versuchen die Straße zu räumen. Kleben sich Klimaaktivist*innen auf die Straße, sieht die Sache anders aus. Im Artikel heißt es, dass bislang Polizist*innen die an der Straße festgeklebten Klimaaktivist*innen von der Straße gelöst hätten. Im Artikel fehlt aber ein Hinweis, dass man festgeklebte Aktivist*innen nicht einfach so entfernen kann. Das Klebemittel muss sorgsam gelöst werden, damit es nicht zu Verletzungen kommt. Es wäre interessant gewesen, wie sich Herr Bott – aber noch mehr die RP – über mögliche Verletzungen der Klimaaktivist*innen durch unsachgemäßes Wegtragen durch Autofahrende äußern würde.

Ich glaube ja nicht, dass die RP möchte, dass Klimaaktivist*innen absichtlich verletzt werden. Aber es wäre doch nicht verkehrt gewesen zu sagen, dass festgeklebte Aktivist*innen nicht einfach weggetragen werden können. Um es deutlichzu sagen: Menschen, die sich festgeklebt haben, können nicht einfach weggeztragen werden, ohne sie zu verletzten. Das Lösen der festgeklebten Hände sollte der Polizei überlassne werden, die – wie es auch im Atrtikel heißt – dazu explizit geschult wird. Liebe RP, bitte weist doch auf diesen Umstand explizit hin und macht deutlich, dass das Wegtragen festgeklebter Personen zu Verletzungen führt!

In dem Artikel der RP wird immer wieder von „Klima-Klebern“ gesprochen, die Klimaaktivist*innen werden auf einen Umstand – sie kleben sich aus Protest u.a. auf Straßen fest – reduziert. Die RP schreibt explizit: „[…] dabei kleben sich Mitglieder der Bewegung regelmäßig auf Hauptstraßen fest, um den Verkehr zu blockieren“. Diese Aussage suggeriert, dass es der Letzten Generation lediglich um eine Verkehrsblockade geht. Das ist aber nicht das Anliegen, es geht um eine Störung der normalen Abläufe, um auf klimapolitische Ziele aufmerksam zu machen. Die Anliegen der Letzten Generation sind recht einfach zusammenzufassen: (i) Tempolimit von 100 hm/h auf Autobahnen und (ii) ein dauerhaftes 9 Euro-Ticket.

Das Framing der RP nimmt den Aktivist*innen der Letzten Generation ihre klimapolitische Ziele und reduziert sie zu bloßen Störer*innen. Dieses Framing ist nicht dazu geeignet, Autofahrer*innen von unnötigen Maßnahmen gegen festgeklebte Klimaaktivist*innen abhalten. Es ist zu hoffen, dass Autofahrer*innen den Bericht der RP einzuschätzen wissen und sich nicht dazu veranlasst fühlen, Klimaaktivist*innen ohne sachgemäße Lösung von der Straße zu tragen.

Die RP und alle Autofahrer*innen, die sich durch die Aktionen der Letzten Generation gestört fühlen, könnten auch etwas tun, damit diese Aktionen beendet werden. Setzt euch für ein Tempolimit von 100 km/h auf Bundesautobahnen und ein 9 Euro-Ticket ein. Beides hätte deutliche Klimaschutzeffekte und – im Nebeneffekt – würde die Erreichung dieser Ziele die Letzte Generation (vermutlich) von der Straße bringen.

Die Rheinische Post und die Tunnel

‚Der harte Kern hat das Sagen‘

In der Rheinischen Post, aber auch in anderen Medien, gab es einen Artikel mit dem Titel „In Lützerath hat längst der harte Kern das Sagen“ (veröffentlicht am 26.10.2022). Grundlegend geht es in dem Artikel um die wohlmögliche Räumung Lützeraths. Der Artikel ist ein Interview zwischen Maximilian Plück – Leiter Redaktion Landespolitik – und Michael Mertens, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei.

Die Fehler aus dem Hambacher Forst dürfen nicht wiederholt werden

Grundtenor der Aussagen Mertens ist: aus den Fehlern, die im Hambacher Forst gemacht wurden, müssen wir lernen. Statt alles auf einmal zu räumen und dann aufwändig zu bewachen, lieber in kleineren Etappen räumen und direkt roden. Interessant, dass dies die wesentliche Erkenntnis Mertens von der Räumung des Hambacher Forsts ist. Andere Menschen denken eher daran, dass die Räumung von Baumhäusern im Jahr 2018 nachträglich als rechtswidrig eingestuft wurde (z.B. hier in der ZEIT nachzulesen). Statt an Polizeitaktik denken viele Menschen auch eher an den Tod von Steffen Meyn (etwa hier in der TAZ nachzulesen).

Lützerath: Tunnel, Festung und harter Kern

In dem Interview geht es unter anderem um die Frage, was die Polizei bei einer Räumung zu erwarten habe. Mertens spricht von Tunneln und dem Ausbau Lützeraths als Festung. Er spricht davon, dass dort der ‚harte Kern‘ tonangebend sei und es zu einer Verbarrikadierung kommen dürfte.

Unklar ist, wer mit ‚harter Kern‘ genau gemeint sein soll? Sind damit Menschen gemeint, die sich seit Jahren für den Erhalt Lützeraths und einen Ausstieg aus dem Braunkohletagebau einsetzen? Mertens bleibt vage. Er verwendet jedoch das Wort ‚Besatzer‘, das momentan auch häufiger im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg verwendet wird. Dieser Begriff hat eine deutlich militärische Konnotation. Über diese ‚Besatzer‘ sagt Mertens, dass er nicht verstehen kann, warum von ihnen das Eckpunktepapier zum Kohleausstieg „so klein gemacht wird“. Eine Erklärung warum dieses Eckpunktepapier nicht nur klein gemacht wird, sondern abgelehnt wird, habe ich hier anzubieten. Mertens Meinung nach fehlen also weitere Gründe für den Protest, denn er gäbe ja einen guten Ausstiegskompromiss.

Interessant sind aber vor allem die Tunnel, die es in Lützerath geben könnte. Denn solche Tunnel werden nicht zum ersten Mal erwähnt.

Schon wieder diese Tunnel

Die Rheinische Post schrieb 2018 schon einmal über Tunnel schrieb. Damals soll es Tunnel im Hambacher Forst gegeben haben, die „an Anlagen aus dem Vietnamrieg“ erinnern sollten. Der Spiegel hat darüber berichtet, aber auch über die verantwortliche Polizeibehörde in Aachen. Diese twitterte, dass sie den Bericht nicht bestätigen könne und von der Existenz solcher Tunnel nichts wisse. Die RP besteht jedoch darauf, dass es diese Tunnel – zumindest laut internen Polizeidokumenten – gegeben haben soll. Beispielsweise N-TV berichtet zwar von Gruben, in denen sich Klimaaktivisten ‚verschanzt‘ hatten. Die angeblichen „Schmuggelrouten, um Waffen und Krawallmacher in den Forst zu bringen“ – so die RP – waren das aber nicht.

Nun wird also wieder vor Tunnel in der RP gewarnt. Diesmal muss sich die RP nicht auf interne Polizeidokumente beziehen, sondern hat Michael Mertens, der diese Aussage nun vornimmt. Wörtlich sagt er: „Es steht zu befürchten, dass auch in Lützerath wieder Tunnel gegraben worden sind“. Der Vergleich mit dem Vietnamkrieg fehlt diesmal, aber Belege für eine solche Aussage werden auch diesmal nicht vorgebracht.

Verbale Vorbereitung eines harten Polizeieinsatzes

Es ist kritisch zu sehen, wenn ein jemand in der Position von Herrn Mertens die Klimaaktivisten in Lützerath pauschal als ‚harten Kern‘ – gemeint ist wohl radikal und gewaltbereit – bezeichnet und ohne Belege vor erneuten Tunneln warnt, obwohl es diese Tunnel schon im Hambacher Forst nicht gab. Sogar die Dieser Beitrag wurde am von in Framing, Rheinischer Braunkohletagebau veröffentlicht. Schlagworte: , , .

Ist Lützerath ein Symbol?

In letzter Zeit wird viel darüber diskutiert, ob Lützerath ein Symbol ist. Kritisch heißt es dazu in der Presse, beispielsweise in der Rheinischen Post am 6. Oktober 2022, dass „Lützerath […] das falsche Symbol für die Klimapolitik“ sei. Ein Symbol ist ein Zeichen. Ein bekanntes Symbol ist die Abbildung eines Herzens, das für ‚Liebe‘ oder etwa in sozialen Medien (z.B. Twitter) für ‚Gefallen‘ steht.

Wenn Lützerath ein Symbol ist – wenn auch nach Meinung einiger ein ‚falsches‘ – , wofür steht Lützerath denn dann? Der Autor des RP-Meinungsartikels spricht davon, dass Lützerath ein (falsches) Symbol für die Klimapolitik sei. Warum? Der Kompromiss zwischen Bundes- und Landesregierung auf der einen Seite – genauer den Wirtschaftsministerien im Bund und im Land NRW – und RWE sieht einen vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung vor: 2030 statt 2038. Dadurch wird weniger Braunkohle abgebaut und 280 Millionen Tonnen CO2 werden eingespart. Zudem werden unter anderem die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts gerettet. Lediglich, so der Autor, Lützerath werde abgebaggert.

Die Situation ist aber doch komplexer. Es werden Dörfer nicht abgebaggert, die eigentlich abgebaggert werden sollen. Aber das heißt nicht, dass die Dörfer gerettet sind. Gerettet ist Grund und Boden, nicht aber das dörfliche Leben. Das ist durch die vorhergehenden Umsiedlungsmaßnahmen deutlich gestört worden, dörfliche Infrastruktur ging verloren. Dass die Dörfer als lebendige Ortschaften gerettet sind, kann man also nicht sagen. [Das Thema habe ich auch in einem anderen Beitrag angerissen.]

Genauso wenig kann man sagen, dass nur Lützerath abgebaggert wird. Abgebaggert wird mehr Fläche und es geht nicht nur um die Fläche, sondern um die Intention hinter dem Abbaggern. Das Abbaggern erfolgt um Braunkohle zu gewinnen. Die Braunkohle soll verstromt werden. Richtig, es wird weniger Braunkohle verstromt als bei einem späterem Kohleausstieg, aber die genauere Menge ist noch unklar. Denn über 2030 hinaus wird es einen Reservebetrieb bei der Braunkohleverstromung geben. Wie viele Kraftwerksblöcke in die Reserve gehen werden, ist noch unklar. Aber das kann bedeuten, dass über 2030 hinaus Braunkohleverstromung möglich sein wird. Die dafür benötigten Kohlemengen dürfen auch nach 2030 abgebaut werden. [Siehe dazu auch meinen Beitrag zum Eckpunktepapier.]

Werden also wirklich 280 Millionen Tonnen CO2 eingespart? Unklar, denn es sollen Gaskraftwerke errichtet werden, die Mitte der 2030er Jahre vollständig auf Wasserstoff umgestellt sein sollen. Durch die Gasverstromung werden weitere Emissionen erzeugt. Und der Wasserstoff? Wenn er nicht ‚grün‘ produziert wird, sind mit seiner Produktion ebenfalls weitere Emissionen verbunden. Dass er ‚grün‘ produziert werden wird, ist im Eckpunktepapier nicht deutlich festgelegt. Es ist also vollkommen unklar, wie hoch die Einsparungen, die durch das Eckpunktepapier zustande kommen könnten, wirklich sein werden.

Für die Klimabewegung geht es weniger darum, was eingespart wird, als darum, was nicht eingespart wird. Ungefähr so viele Tonnen Kohle wie eingespart werden sollen, sollen auch noch verstromt werden. Ein Teil dieser Kohle – aber eben nur ein Teil – liegt unter Lützerath. Zentral ist, dass das Eckpunktepapier die Intention hat, dass Deutschland das 1,5 Grad-Ziel nicht verfehlt. Das Ziel kann (hypothetisch) nur erreicht werden, wenn die CO2-Emissionen deutlich verringert werden. Statt 280 Millionen Tonnen Kohle dürfen maximal 70 Millionen Tonnen Braunkohle verstromt werden.

„Der Verlust Lützeraths mag schmerzlich sein, ist aber zu verkraften“, heißt es in dem RP-Artikel. Schmerzlich ist nicht der Verlust von Lützerath, sondern die zu große Kohlemenge, die abgebaggert und verstromt werden darf. Verkraften kann das Klima dies nicht.

„An der Erreichung des 1,5-Grad-Zieles – selbst heruntergebrochen auf das Land NRW – ändert die Rettung des Weilers so gut wie nichts“, wird weiter in dem Artikel gesagt. Für die Klimaschutzbewegung ist Lützerath aber der Ort, an dem die 1,5 Grad-Grenze symbolisch verteidigt wird. Natürlich liegt diese nicht physisch in Lützerath und natürlich ist es egal, ob Lützerath abgebaggert wird oder nicht. Die 1,5 Grad-Grenze könnte auch noch gehalten werden, wenn Lützerath abgebaggert wird. Aber nur, wenn die Kohlemengen, die RWE abbaggern und verstromen darf, noch weitergehend beschränkt werden.          

Das Wirtschaftsministerium NRW schreibt ergänzend zu dem Eckpunktepapier , dass der frühere Kohleausstieg alleine nicht für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels ausreicht, eben auch weil erst einmal höhere Emissionen erfolgen werden. Folgendes interessante Zitat findet sich dort auf Seite 3:

„Diese zusätzlichen Emissionen bedeuten, dass auch in den anderen Sektoren kurzfristig substanzielle Emissionsminderungen erfolgen müssen, um das Ziel zu erreichen, NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion zu machen. Der Kohleausstieg alleine reicht hierfür nicht aus. Das 1,5 Grad Ziel bleibt global ein wichtiges Ziel.“

(Fragen und Antworten zum Eckpunktepapier)

Um die eigenen Klimaziele zu erreichen, müssen andere Bereiche nun mehr Einsparungen bringen. Konkret wird aber nicht genannt, wie das erfolgen soll. Klar sollte sein: wer keine Ziele definiert, kann sie auch nicht erreichen. Nur zu sagen, woanders müssen Einsparungen erfolgen, kompensiert noch keine Mehremissionen. Es müssen klare Einsparziele – und am besten auch die Wege zu ihrer Erreichung – benannt werden, damit die Mehremissionen der Braunkohleverstromung, die in den nächsten Jahren anstehen, kompensiert werden können.

Ist Lützerath also, wie es in dem RP-Artikel heißt, das falsche Symbol für die Klimapolitik? Taugt das ‚leergeräumte Dorf‘, wie es im Artikel formuliert ist, überhaupt als Symbol? ‚Leergeräumt‘ ist Lützerath nicht wirklich, vielmehr ist Lützerath voll Kreativität, Leben und Bereitschaft die 1,5 Grad-Grenze zu verteidigen. Denn Lützerath ist ein Symbol für den Versuch die 1,5 Grad-Grenze einzuhalten. Das Abbaggern von Lützerath wird aber unweigerlich auch zum Symbol werden, zu einem Symbol dafür, dass die Politik einen Weg eingeschlagen ist, der die Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze – egal ob dies überhaupt noch realistisch ist – unmöglich macht. Lützerath steht also nicht nur für den kleinen Ort, der nun abgebaggert werden soll, sondern symbolisch für eine Klimapolitik, die entweder konsequent dem 1,5 Grad-Ziel verpflichtet ist oder eben nicht.

Symbole haben ihre Bedeutung aufgrund einer Konvention, sie werden symbolisch von Menschen für etwas verwendet. Es ist zu spät Lützerath nicht zum Symbol zu machen, denn zumindest für Klimaaktivisten ist Lützerath bereits ein Symbol. Die Symbolik wird dem Ort aber auch durch die Presse zugeschrieben, wenn es beispielsweise im Spiegel heißt, dass Lützerath der Ort sei, „den Greta Thunberg heiliggesprochen hat“. Greta Thunberg wird hier metaphorisch als Kirchenoberhaupt dargestellt, denn nur solche können ‚heilig sprechen‘. Die Klimabewegung wird durch diese Metapherals religiöse Bewegung (Sekte?) angesehen. Charakteristisch an Religion ist aber, dass es ein Glaubenssystem ist, welches nicht an die Wissenschaft gebunden ist. Fridays for Future, die von Greta Thunbergs Schulstreikts inspiriert sind, haben aber kein Oberhaupt und stehen fest auf dem Boden der modernen Wissenschaft. Einer der zentralen Sätze Thunbergs ist es immer wieder, dass die politischen Entscheider der Wissenschaft zuhören sollen! Die Bezeichnung ‚Klimasekte‘ findet sich in rechten Kreisen öfter einmal, wenn über Klimaaktivisten gesprochen wird. Beispielsweise in einem Beitrag der Tagespost. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff ist auf www.volksverpetzer.de zu finden.

In einem anderen Spiegelbeitrag wird sogar ein Abkommen, nämlich der vorgezogene Klimaausstieg, von Gerald Traufetter als Symbol bewertet. Aufgrund dieses Symbols, so schreibt er in seinem Meinungsartikel, können „[d]ie Klimaaktivisten […] deshalb ruhig von den Bäumen kommen“. Man könnte glatt den Eindruck gewinnen, dass der Autor implizit Klimaaktivisten als Affen, die den ganzen Tag auf Bäumen ‚rumsitzen‘, bezeichnen möchte. Aber das ist eine andere Frage.

Rund um das Thema ‚Lützerath‘ mangelt es nicht an Symbolbildung und Symbolen. Zum Schluss aber noch einmal zurück zum RP-Artikel, dieser spricht Lützerath eine symbolische Bedeutung ab: Lützerath muss weg, andernfalls ist die Energiesicherheit in Gefahr. Egal ob das stimmt oder nicht, es hat nichts mit dem Anliegen der Klimaaktivisten zu tun. Der Klimaschutzbewegung geht es darum, dass die Emissionen drastisch gesenkt werden müssen, was nicht geht, wenn Lützerath abgebaggert wird. Energiesicherheit wird verbal gegen die Klimakrise ausgespielt.

Die Kritik an Lützerath als ‚falschen Symbol‘ ist stark verkürzt, da die eigentliche Problematik – zu geringere Reduktion der Kohlemengen und zu hohe Emissionen – in dem Artikel (wie auch in vielen anderen) gar nicht angesprochen wird. Sicherlich ist der frühere Kohleausstieg ein Erfolg, da es zu Einsparungen in den CO2-Emissionen kommt. Aber es ist nur ein kleiner Schritt in Zeiten, in denen riesige Schritte notwendig wären.

Reden wir über Symbole, reden wir auch über Bedeutung. Welche Bedeutung Lützerath für Klimaaktivisten hat, habe ich oben geschildert. Wenn aber nun jemand davon spricht, dass Lützerath ein ‚falsches Symbol‘ sei, dann ist im Fall des genannten RP-Artikels gemeint, dass die Maßnahmen, die im Eckpunktepapier skizziert sind, ausreichen. Sprachlich wird weiteren Protesten zum Erhalt Lützeraths – und damit zur weiteren Eindämmung der Abbaumengen – delegitimisiert und als nicht notwendig dargestellt. Wer dem glaubt, der wird nicht nur den Abriss, sondern auch die Räumung Lützeraths befürworten und der Meinung sein, dass ein Kompromiss mit RWE ein großer Erfolg für den Klimaschutz sei. Weil Klimaaktivisten aber anderer Meinung sind, ist Lützerath genau das richtige Symbol!

Extremistische Vorboten

Von Fridays for Future zur grünen RAF?

Einige Menschen kleben sich auf Autobahnen fest, andere besetzen ein Kohlekraftwerk. Klimaaktivist*innen wollen nicht nur freitags auf die Straße gehen und demonstrieren, sondern ihren Anliegen durch verschiedene Protestformen, die darauf ausgelegt sind, das niemand verletzt wird, Öffentlichkeit zu verschaffen. Solche Protestformen gefallen nicht jedem, vor allem nicht denen, die mit den Zielen der Aktivist*innen nicht (vollkommen) übereinstimmen. Aber bedeutet dies, dass die Klimaschutzbewegung – oder zumindest Teile – sich radikalisieren? Gibt es Extremismustendenzen in der Bewegung? Ja, wenn man dem Regensburger Extremismusforscher Prof Dr. Straßner folgt.

Radikalisierungstendenzen?

Zuletzt wurde diese Äußerung in einem Artikel der Rheinischen Post am 21. September 2022 veröffentlicht. Dies ist aber nicht das erste Mal, dass sich Straßner so über die Klimaschutzbewegung äußert. Im Jahr 2019 gab es einen Meinungsbeitrag in der WELT zu diesem Thema. Aber der Reihe nach. Der Beitrag 2019 hatte den Titel: „Ein Hilfeschrei der Jugend? Eher ein Vorbote extremistischen Denkens“. Straßners zentraler Punkt ist, dass die Klimaschutzbewegung – namentlich kritisiert in Form von Luisa Neubauer und Greta Thunberg – einer „gleichsam religiösen Logik“ folge und abweichende Meinungen als „Häresie“ ansehen würden. In dem Artikel liest man: „Befeuert von Klimageografen, die mitunter eine kritische Distanz zu ihrem Forschungsfeld vermissen lassen, werden Wissenschaftler als Heilige betrachtet, solange sie die eigenen Standpunkte teilen“. Die Äußerung Straßners suggeriert, dass die genannten Klimaaktivistinnen – die womöglich stellvertretend für die Klimaschutzbewegung stehen sollen – selektiv vorgehen und nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse akzeptieren, die ihrer Meinung entsprechen. Dabei wird aber ignoriert, dass hier keine selektive Wahl wissenschaftlicher Positionen vorliegt, sondern die Klimaschutzbewegung – auch gerade die genannten Aktivistinnen – sich auf dem Boden der Wissenschaft bewegen und hinter sich eine absolute Mehrheit aller relevanten Wissenschaftler vereint. Hier liegt also keine religiöse Logik vor, es geht nicht um subjektiven Glauben. Es geht um eine Klimaschutzbewegung, die auf dem Boden des Konsens der modernen Wissenschaft steht.

In dem jüngeren Artikel, der in der RP erschien, geht Straßner noch einen Schritt weiter. „Die Bewegung trage in Teilen Züge einer Sekte und erhebe einen absoluten Wahrheitsanspruch“ zitiert die Rheinische Post Straßner. Wird der Klimabewegung Sektierertum vorgeworfen, dann muss derselbe Vorwurf auch der absoluten Mehrheit aller (relevanten) Wissenschaftler gemacht werden. Oder soll der Vorwurf nicht so allgemein gelten, sondern sich auf einzelne Aussagen oder Forderungen beziehen? Im Artikel wird das nicht deutlich, die Kritik ist sehr pauschal.

Erinnerungen an die RAF

In dem Artikel heißt es weiter, dass sich Straßner durch einige Aktionen – genannt werden Straßen- und Kraftwerkblockaden – an die erste Generation der Rote Armee Fraktion erinnert fühlt. Also: auf der einen Seite die RAF, auf der anderen Seite ‚Extinction Rebellion‘, ‚Ende Gelände‘ und ‚Letzte Generation‘ – die drei Gruppen werden namentlich genannt. Macht ein solcher Vergleich Sinn? Straßner müsste es wissen, denn als Extremismusforscher hat er sich intensiv mit der RAF beschäftigt. Bislang aber, wie ein Blick auf seine Homepage zeigt, fehlen noch wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Klimabewegung. Wie kommt Straßner also zu diesem Vergleich? So heißt es seitens Straßners in dem Artikel: „Die Aktivisten behaupten von sich selbst, für eine ganze Generation zu sprechen. So diskriminieren sie systematisch andere Meinungen, und auch das ist ein Kennzeichen einer Radikalisierung“.

Es gibt also, so Straßner, Anzeichen einer Radikalisierung. Grund: Diskriminierung anderer Meinungen und den Anspruch für eine ganze Generation zu sprechen. Für die Diskriminierung fehlen mir bislang noch die Belege? Ist es Diskriminierung, wenn unwissenschaftliche Positionen, also Positionen, die in der Wissenschaft nicht akzeptiert werden, abgelehnt werden?    

Der Vergleich zwischen der RAF und Klimaaktivisten ist, wie ich finde, sehr gewagt. Die RAF trat für eine politische Ideologie ein, die Klimaaktivisten für Klimaschutz. Im großen Unterschied zur RAF steht die Klimaschutzbewegung auf dem Boden der modernen Wissenschaft. Es geht also nicht um Ideologie oder einen vermeintlichen Wahrheitsanspruch, sondern um Behauptungen auf dem Boden der modernen, empirischen Wissenschaft, die auf einen enormen Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft stoßen.

Der RP-Artikel redet eine Entwicklung der Klimaschutzbewegung hin zu einer terroristischen Organisation bei. Zunächst wird ganz allgemein von Klimaaktivisten gesprochen, später einige Gruppen exemplarisch genannt. Es ist unklar, ob damit die gesamte Klimaschutzbewegung gebrandmarkt werden soll oder ob die terroristischen Tendenzen auf die drei genannten Gruppen beschränkt werden sollen. Vielleicht ist diese Unklarheit durchaus gewollt. Jedenfalls hoffe ich, dass sich Herr Straßner und die RP bewusst sind, dass alleine sein Titel und sein Forschungsschwerpunkt schon dafür sorgen, dass seinen Worten von einigen Menschen besondere Bedeutung beigemessen wird. Daher ist von jemandem, der sich als Extremismusforscher profiliert hat, zu erwarten, dass er nicht leichtfertig verkürzte Gleichsetzungen vornimmt, die (zumindest) Teile der Klimaschutzbewegung mit der ersten Generation der RAF gleichstellt. Dies ist eine Darstellung der Klimaschutzbewegung, die entweder eine Spaltung der Bewegung oder ihre Dämonisierung als Extremisten bewirken soll. Die RAF-Keule ist eine der stärksten rhetorischen Keulen, die in Deutschland zur Verfügung steht und zieht eine ganz Reihe negativer Assoziationen mit sich, die dadurch auf die Klimaschutzbewegung übertragen werden.

Die grüne RAF

Von einer grünen RAF sprechen einige andere Medien auch, zum Beispiel das RedaktionsNetzwerk Deutschland, und verweisen dabei auf Tadzio Müller, der in einem Spiegelinterview vor dem entstehen einer grünen RAF warnte. Man muss es deutlich sagen, er droht nicht damit, dass eine solche entstehen wird, sondern macht eine Aussage über das Frustrationspotential, das einige Klimaaktivist*innen haben und das sich als Folge eine solche Gruppe entwickeln könnte. Müller selbst spricht sich für zivilen Ungehorsam und die Störung von Betriebsmaschinen aus. Deutlich, das steht in eindeutigem Kontrast zur RAF, macht er aber klar, dass die Gefährdung von Menschenleben eine Grenze darstellt, zum Beispiel in einem Interview mit dem ZDF. „Völlig aufgehetzte und verblendete Klimaaktivisten, die in wahnhaften apokalyptischen Vorstellungen gefangen sind, könnten irgendwann diese Grenze überschreiten“, schreibt die Preußische Allgemeine. Groß wird auch hier gefragt, ob es zur Bildung einer grünen RAF komme. Klar, die Preußische Allgemeine ist eine Zeitung der Landsmannschaft Ostpreußen und eher im neurechten Spektrum zu verorten. Das Reden von einer grüne RAF passt hier natürlich gut ins Bild, da es die vermeindliche Gefahr, die von der Klimaschutzbewegung ausgeht, noch einmal schön betont.

Kann man auch anders über Radikalisierung sprechen?

Interessant ist, wie andere Medien die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung thematisieren. Die TAZ stellt 2021 unter der Überschrift „Radikalisierung der Klimabewegung“ etwa die Frage, ob nun die Zeit für mehr zivilen Ungehorsam gekommen sei. Ziviler Ungehorsam ist nicht gleichzusetzen mit Terrorismus. Im Deutschlandfunk hat sich ein anderer Politologe zur Radikalisierung der Klimaschutzbewegung geäußert. Man kann dort lesen, dass die Aktionen der ‚Letzten Generation‘ möglicherweise militante Minderheiten mobilisieren könnte. Er, das ist Michael Wehner (Universität Freiburg), hält radikale Gewaltakte – die man vielleicht eher mit der RAF in Verbindung bringen würde – für unwahrscheinlich. Gerade der letzte Beitrag zeigt, dass man auch kritisch mit den Aktionsmethoden der Klimaschutzbewegung umgehen kann, ohne auf ein negatives Framing zurückgreifen zu müssen.

Die Frage nach der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung kann und sollte gestellt werden. Denn wenn sich die Bewegung radikalisiert, wenn vielen alle halbe Jahr ein Klimastreik nicht mehr reicht, dann sagt dies etwas aus. Es sagt etwas darüber aus, dass Menschen der Meinung sind, die Schritte, in denen beim Klimaschutz vorangegangen wird, viel zu klein sind. Die Frage nach der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung kann und sollte also gestellt werden, aber ohne falsche Gleichsetzungen und Vorverurteilungen einer (bislang) absolut friedlichen Protestbewegung. Die TAZ macht in dem oben genannten Artikel einen guten und ausgewogenen Job, dabei berücksichtigt sie insbesondere Beweggründe für die Radikalisierung von Teilen der Klimaschutzbewegung. Aber vor allem spricht die TAZ nicht (implizit) von Terrorismus, sondern von zivilem Ungehorsam, was juristisch eine ganz andere Hausnummer ist.

Wir können über Radikalisierung sprechen, aber ohne zu dämonisieren

Wenn von einer Radikalisierung der Klimaschutzbewegung gesprochen wird, sollte dies – insbesondere auch von den Medien – mit Vorsicht getan werden. Es gibt sehr wichtige Nuancen in der Radikalisierung, Terrorismus, wie er mit dem Begriff einer grünen RAF assoziiert wird, ist ein Extrem, das man den Klimaschutzbewegung nicht leichtfertig unterstellen sollte. Für die Klimaschutzbewegung, die ja sehr heterogen ist, sollte klar sein, dass man dieses negativen Framing, das in rechten Kreisen gerne auch aufgegriffen wird, nicht unwidersprochen stehen lassen darf. Eine Pauschalkritik an der Klimaschutzbewegung und Vergleich mit der RAF, wie sie in der RP leider jüngst zu lesen waren, bewirken nur eines und zwar eine Dämonisierung einer friedlichen, globalen Bewegung.

Von Wissenschaftlern ist zu erwarten, dass sie ihre Extremismuswarnungen untermauern können, von Medien ist zu erwarten, dass sie sich ihrer Sprachwahl bewusst sind und klar verstehen, was es bewirkt, wenn sie groß titeln, dass ein Extremismusforscher „Parallele zwischen Klimaschützern und RAF“ sieht.

Zum Ende ein paar Worte an die RP

Liebe RP, gerne dürft ihr die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung thematisieren, das ist ja auch euer Auftrag. Aber bitte nehme Bezug auf belastbare wissenschaftliche Untersuchungen, bitte unterlasst Pausalurteile über eine heterogene Bewegung und bitte unterlasst eine Berichterstattung, deren einziges Ziel ist es, Ängste vor der Klimaschutzbewegung zu schüren. Wie ich auch schon einmal an anderer Stelle schrieb: Reden ist Silber, Schweigen ist Klimaschutz. Für das Weltklima wäre es besser gewesen, wenn ihr geschriegen und nicht dämonisiert hättet. Vor allem, liebe RP, beantwortet mir eine Frage: War der Veröffentlichungszeitpunkt des Artikels, zwei Tage vor dem Klimastreik, Zufall oder Kalkül?

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Wie die Rheinische Post für klimaschädliche Autos wirbt

In den 80er Jahren hatten meine Eltern die Westdeutsche Zeitung abonniert, mir war die Wochenendausgabe der Zeitung am liebsten. Diese Ausgabe war besonders dick und enthielt immer eine Witzseite, mit mal mehr und mal weniger gelungenen Witzen. Beim Suchen der Witzeseite habe ich meistens die Autoseiten gestreift, auf denen unter anderem die neuesten Kraftfahrzeuge vorgestellt wurden. Jetzt wurde mir ein Foto einer Seite der Rheinischen Post (vom 17.09.2022) zugeschickt, das mich gleich wieder in die 80er zurückversetzte. Unter der Überschrift Understatement aus Korea befindet sich das farbige Foto eines Autos und ein Text, der dieses Auto in höchsten Tönen lobt. Er geht dabei um einen Genesis, eine Automobilmarke, die zu Hyundai gehört. Das vorgestellte Auto – ein Genesis G80 – ist, wie es im Text heißt, „kein alltäglicher Wagen“. Das kann man alleine schon an den Werten, die zu dem Fahrzeug aufgelistet werden, erkennen:  304 PS, maximale Geschwindigkeit 250 km/h, Verbrauch 9,3 Liter und CO2-Ausstoß 205,4g/km. Das Umweltbundesamt berichtet, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß bei zugelassenen Neuwagen 2017 rund 118,5g/km betrug. Der vorgestellte Wagen liegt bei seinen Emissionen also jenseits des Durchschnitts.

Was schreibt denn die RP über diesen Wagen? Zum Beispiel folgendes: „Anonym und unerkannt vorbeifahren ist mit diesem Gefährt schwer möglich. Passanten drehen sich um und nickend anerkennend“. Das Urteil der RP ist deutlich, wer ein solches Fahrzeug fährt, der verdient Anerkennung. Nicht nur von den Redakteuren, auch die Passanten – vermutlich nicht alles Redakteure der RP – zollen dem Fahrer ihre Anerkennung für das Fahren dieses Fahrzeugs. Aber wofür denn genau? Dafür, dass man ein Luxusauto fährt? Dafür, dass man sich ein modernes koreanisches Statussymbol gegönnt hat? Ganz klar wird mir dies nicht, aber eines ist sicher. Anerkennung gibt es nicht für eine klimafreundliche Form der Fortbewegung.

Die RP versieht ihren Artikel mit dem Hinweis, dass der Redaktion der Wagen zu Testzwecken von Genesis zur Verfügung gestellt wurde. Der Artikel liest sich auch entsprechend wie eine Werbung für eine Luxuskarosse, die überteuert, übergroß, zu schnell und mit viel zu hoher Schadstoffemission daherkommt. Leider ist das nur meine Interpretation, denn die RP verhält sich dem Fahrzeug gegenüber vollkommen unkritisch. Muss ich kritischen Journalismus in einer solchen Art gesponsorter Berichterstattung erwarten? Nein, das wäre utopisch. Hätte die RP geschrieben: „Das Auto ist klimaschädlicher als der Durchschnitt der Autos“, wäre das für Genesis, die das Auto ja zu Testzwecken zur Verfügung stellten, ziemlich doof gewesen. Noch einmal hätte es bestimmt kein solches Testauto gegeben. Also, erwarten muss man nicht zu viel. Zugleich habe ich aber doch hohe Erwartungen. Ich erwarte, dass Zeitungen im Jahr 2022 realisiert haben, dass es wir gerade ein ganz ernstzunehmendes Problem haben: Klimawandel! Wir stecken mitten drin und eines der großen Themen, das im Zuge der Debatte rund um die Klimakrise dominant ist, ist, welchen Beitrag kann und muss der Verkehrssektor leisten. As große Stichwort ist hier: Mobilitätswende. Ich gestehe der RP gerne zu, dass sie das Thema Klimakrise nicht in jedem Artikel behandeln muss. Aber die Medien müssen ihre Verantwortung anerkennen und sich gut überlegen, ob ein Artikel, wie der über die Emissionsschleuder von Genesis, wirklich dieser Verantwortung gerecht wird.

Die Medien spielen eine zentrale Rolle darin, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Dies hat insbesondere damit zu tun, wie Medien – aber nicht nur diese – über die Welt sprechen, bzw. schreiben. Mit einem Artikel wie den über den Genesis G80 transportiert die RP eine bestimmte Wahrnehmung von Kraftfahrzeugen: das Fahren mit teuren, luxuriösen und klimaschädlichen Autos wird mit Prestige assoziiert. Das Fahrzeug wird dekontextualisiert präsentiert, es findet keine Einbettung in die wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen statt, wodurch der Artikel sehr deutlich in die Nähe von Werbung gerückt wird, die unter dem Deckmantel eines objektiven Tests verschleiert wird. Nicht einmal eine Kontextualisierung der Verbrauchswerte findet statt. So wird lediglich der CO2-Ausstoß des Fahrzeugs angeführt, einen Hinweis auf den Durchschnittswert der Neuzulassungen findet sich nicht. Die RP stellt also Auto, das klimaschädlicher als der Durchschnitt der zugelassenen Neuwagen ist, als Prestigeobjekt dar, um das der Fahrer von den Passanten bewundert wird. Durch dieses positive Framing werden die negativen Aspekte vollkommen ausgeblendet.

Durch das positive Autoframing wird die RP ihrer medialen Verantwortung nicht gerecht, genau das Gegenteil ist der Fall. Es gibt Medien, die gehen einen anderen Weg. Die Frankfurter Rundschau bündelt ihre Klimaberichterstattung und stellt diese dadurch fokussierter dar. Mehr als 500 Französische Journalisten haben eine Charta für Klimaberichterstattung unterzeichnet (hier ein Artikel des Spiegels zu dem Thema). Diese beinhaltet nicht nur die Klimaberichterstattung, sondern auch die Verringerung des eigenen CO2-Ausstoßes. Wichtig ist, dass nicht nur die Klimakrise in ihrem weltweiten und lokalen Kontext ausreichend thematisiert wird, es ist auch wichtig, dass kein positives Framing klimaschädlicher Technologie oder Energieträger vorgenommen wird. Manchmal gilt eben auch in den Medien: Reden ist Silber, Schweigen ist Klimaschutz.           

Anmerkung 19.09.2022: Der oben genannte Artikel aus der RP ist auch online lesbar, jedoch fehlen einige Angaben – etwa die Auflistung der Werte -, die sich in der Printversion des Artikels finden.

Leseempfehlung: Nicht zum ersten Mal [hier] möchte ich auf Elisabeth Wehlings Buch Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht hinweisen. In dem Buch arbeitet sie sehr gut verständlich die Grundlagen des politischen Frames aus und zeigt auf, wie sich Sprache auf unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit (oder unsere Konzeptualisierung der Welt) auswirkt.   

Erneuerbare Energien – Eine unzutreffende Bezeichnung für unbegrenzt zur Verfügung stehende Energieträger

Was muss bei ‚erneuerbaren Energien‘ eigentlich erneuert werden?

Der Satz Das Problem ist lösbar bedeutet, dass ein bestimmtes Problem gelöst werden kann. Wenn Wasser trinkbar ist, dann kann es getrunken werden. Es gibt noch viele weitere Adjektive, die mittels -bar von einem Verb angeleitet sind. Die Bedeutung ist immer grob als ‚das, was das Verb bedeutet, kann gemacht werden‘ (trinkbar = kann getrunken werden, essbar = kann gegessen werden, lösbar = kann gelöst werden). Durch das –bar wird, vereinfacht gesagt, die Möglichkeit eine Handlung auszuführen, ausgedrückt. Was bedeutet es aber dann, wenn wir von erneuerbaren Energien sprechen? Erneuerbare Energien müssten Energien sein, die erneuert werden können. Unter die sogenannten erneuerbaren Energien fallen Solarstrom, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme.

Laut dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache bedeutet erneuern: ‚etwas Altes durch etwas Neues auswechseln, neu werden‘. Der Duden führt ein paar weitere, damit verwandte Bedeutungen an: ‚Altes/ Verbrauchtes gegen Neues auswechseln‘, ‚wiederherstellen‘, ’neu werden/ neue Kraft gewinnen‘ oder ’neu beleben‘. Wir können erneuern also ganz grob verstehen als ein Prozess, bei dem etwas Altes, bzw. Verbrauchtes durch etwas Neues ersetzt wird. Ein solcher Prozess hat zwei Akteure: den, der erneuert und das, was erneuert wird.

Wenn wir über essen reden, dann gibt es auch zwei Akteure: den, der isst und das, was gegessen wird. Mit essbar bezeichnen wir eine Eigenschaft dessen, was gegessen wird. Ebenso bezieht sich erneuerbar auf eine Eigenschaft dessen, was erneuert werden kann. Somit ist eine erneuerbare Energie eine Energie, die erneuert werden kann. Aber wer erneuert diese Energien? Gibt es jemanden, der Windkraft, Sonnenenergie oder Erdwärme erneuert? Daran schließt die Frage an, ob Windkraft, Sonnenenergie und Erdwärme überhaupt erneuert werden müssen? Bevor ich darauf antworte, will ich erst einmal einen kurzen Blick darauf werfen, mit welchen Nomen erneuerbar zusammen verwendet wird.

Sucht man im Deutschen Referenzkorpus DeReKo (Archiv W) nach ‚erneuerbar‘, gibt es deutlich fast 200000 Treffer. Schaut man sich von diesen eine Zufallsauswahl von 100 Treffern an, dann dominiert erneuerbar in Kombination mit Energie (88x). Insgesamt wird erneuerbar vor allem im Energiekontext verwendet, andere Nomen, die aus diesem Kontext vorkommen, sind: Energiequelle (1x), Energieträger (3x), Quelle (5x, verwendet im Sinne von Energiequelle), Strom (1x). Das Nomen Ressource tritt ebenfalls auf, aber auch hier im Energiekontext. Als letztes Nomen kommt Technologie noch einmal vor, aber auch im Kontext der erneuerbaren Energien. Im aktuellen Gebrauch scheint erneuerbar sehr stark auf den Energiekontext bezogen zu sein.

Die Bezeichnung Erneuerbare Energien wird häufig im Kontrast zu fossilen Energien gebraucht, wie der Kohle- und Gasverstromung. Auch wenn der Zeitraum, der zur Bildung von Kohle gebraucht wird, sehr lang ist, kann man Kohle doch als ‚erneuerbar‘ (im strikten Sinne des Wortes) bezeichnen. Würde man die relevanten Prozesse ungehindert laufen lassen, dann würde sich (über lange Zeiträume hinweg) wieder Kohle bilden. Das ist aber gerade nicht, was mit erneuerbar im Zusammenhang mit Energie gemeint ist. Vielleicht steht erneuerbar dafür, dass etwas wiederholt nutzbar ist, ohne dass es erneuert werden muss. Bei der Nutzung von Windkraft wird der Wind nicht verbraucht, er wird genutzt. Der Wind treibt ein Windrad an und weht danach unbeirrt weiter. Das Antreiben des Windrades braucht den Wind nicht auf. Vielmehr kann ein und derselbe Wind – was auch immer Identitätskriterien für Wind seien mögen – wieder und wieder genutzt werden, jedenfalls solange er weht. Dadurch können zahlreiche Windräder angetrieben werden.

Es gibt also anscheinend zwei Verwendungen des Begriffs erneuerbar. Einmal kann es, wie in dem Beispiel in (1) unten, bedeuten, dass etwas erneuert werden kann. Das ist die Bedeutung, die sich ganz regulär auf Grundlage unseres Verständnisses von bar-Ableitungen ergibt. Dann, wie im Kontext der Energiedebatte, kann es bedeuten, dass etwas gar nicht erneuert werden muss, da es nicht verbraucht wird. Beide Bedeutungen finden sich auch im DWDS für erneuerbar: (i) so beschaffen, das man es erneuern kann und (ii) nachwachsend, sich erneuernd, unbegrenzt zur Verfügung stehend. [Unbegrenzt zur Verfügung stehen bedeutet nicht, dass der Energieträger zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort zur Energieerzeugung verwendet werden kann, sondern nur, dass er nicht aufgebraucht wird.] Für die zweite Verwendung gibt das DWDS an, dass sie in fachsprachlichen Kontexten (Technik, Energiewirtschaft) vorkommt. Aber auch das DWDS ist nicht ganz sicher, wie erneuerbar in diesem Kontext zu verstehen ist, denn ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ wird nur als ein Aspekt der Bedeutung aufgelistet. Damit hat erneuerbar zwei gegensätzliche Bedeutungen, was, zumindest nach meinem Verständnis, die Interpretation des Ausdrucks erneuerbare Energie nicht leicht macht.

(1) Ein Hohlraum in der Mitte unserer geschmierten Kegelventile enthält ein Dichtmittel, das sich in Richtung der radialen Löcher bewegt und beim Betrieb eine erneuerbare Dichtung zwischen Kegel und Gehäuse erzeugt. 

(https://de.dombor.com/product-item/lubricated-plug-valves-collection/)

Um es noch einmal deutlich zu machen: Problematisch an dem Ausdruck erneuerbare Energie ist, dass erneuerbar erst einmal suggeriert, dass etwas überhaupt erneuert werden müsste. Dass es ein technisches Verständnis von erneuerbar im Sinne von ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ gibt, ist nicht immer unmittelbar evident. Wäre ein passender Begriff im Rahmen einer Marketingkampagne gesucht worden, hätten die erneuerbaren Energien vielleicht eine andere Bezeichnung bekommen. Vielleicht wäre eine treffendere und direkter zu verstehende Bezeichnung gewählt worden: ‚unbegrenzt verfügbare Energien‘ oder ‚Energien, die nicht erneuert werden müssen‘?

Elisabeth Wehling geht in ihrem Buch Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht auch auf den Ausdruck erneuerbare Energie ein. In ihrem Buch beschreibt sie, wie Sprache sich auf unser Denken über bestimmte Themen auswirkt. Meine obige Auseinandersetzung mit demBegriff erneuerbar setzt auf Wehlings Diskussion dieses Begriffs auf. Sie hat bereits dieselben Argumente vorgebracht und schreibt: „Das Wort ‚erneuerbar‘ macht die Nutzung unerschöpflicher Energiequellen in unseren Köpfen anstrengend. Und es impliziert zugleich, dass Wasser, Sonne, Erdwärme und Wind verschleißen, indem wir ihre Energie nutzen. Denn was erneuert werden muss, ist vorher abgenutzt worden.“ (S. 189) Durch die Bezeichnung erneuerbar werden (schnell) falsche Vorstellungen geweckt. Und vermutlich sind diese falschen Assoziationen auch der Grund, warum im DWDS ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ als nicht wirklich transparente Bedeutung für erneuerbar aufgeführt ist, denn immerhin sind Sonne, Wind und Wasser im eigentlichen Sinne keine erneuerungsbedürftigen Energieträger.

Und die Konsequenz? Der Ausdruck erneuerbare Energie ist im Sprachgebrauch fest verankert und wäre sicherlich nicht leicht durch einen anderen Begriff zu ersetzen. Nötig wäre dies auch nur, wenn es durch die Verwendung des Begriffs erneuerbare Energie zu Konfusion und Missverständnissen in der (öffentlichen) Debatte über Wind-, Sonnen-, Wasserkraftenergie kommt. Ob dies so ist, muss erst noch untersucht werden, zumindest sind wir diesbezüglich keine Arbeiten bekannt. Zumindest zeigen Tweets wie der von Hubert Aiwanger, dass erneuerbar Energie durchaus auch im Sinne von ’nachwachsender Energieträger‘ verstanden werden kann. Aber es ist klar, dass Holz genauso wenig eine unbegrenzt zur Verfügung stehende Ressource ist wie Kohle oder Gas. Das Beispiel zeigt schön, dass die Begriffe nicht ’neutral‘ sind, sondern, wie auch Wehling es schreibt, immer einer Perspektivierung mit sich bringen. Erneuerbar bringt (häufig) eine Perspektivierung mit sich, die für Energieträger wie Wasser, Sonne oder Wind unpassend ist.  

Nachtrag 17.09.2022: Holz ist in nachwachsender Energieträger, der aber nur begrenzt zur Verfügung steht. Ohne Aufforstung, kein (ausreichend) neues Holz. Mit der Frage, ob Holz als Energieträger eine Alternative zu Öl, Gas oder Kohle ist, befasst sich der BR schön übersichtlich auf dieser Seite.

Lektüreempfehlung: Elisabeth Wehlings Buch Politisches Framing ist eine leicht verständliche Einführung in die Thematik der politischen/ öffentlichen Sprache und macht sehr schön deutlich, warum es nicht egal ist, wie wir über bestimmte Themen (z.B. die Klimakrise) sprechen, sondern warum unser Sprechen Auswirkung auf unsere Wahrnehmung von und damit Einstellung gegenüber dieser Thematik haben. Das Buch ist zwar schon ein paar Jahre alt und könnte problemlos aktualisiert werden, weniger lesenswert ist es dadurch aber nicht.