Archiv für den Monat: August 2022

Die Sümpfung: Was RWE sagt und was RWE nicht sagt

Noch eine Selbstdarstellung, die eines Kommentars bedarf

An anderer Stelle habe ich mich schin damit auseinandergesetzt, wie RWE über die geplante Rheinwassertransportleitung informiert. Dabei habe ich mich auf eine RWE-Homepage und ein dort hinterlegtes Prospekt bezogen. Mein Fazit war: RWE stellt sich als Retter der Feuchtgebiete dar, verschweigt aber, dass die Feuchtgebiete ohne die von RWE durchgeführten Sümpfungsmaßnahmen gar nicht gerettet werden müssten.

Sieht RWEs Informationspolitik anders aus, wenn der Konzern über die Sümpfungsmaßnahmen informiert? Zu diesem Thema hat RWE 2018 einen Fyler ins Internet gestellt, der hier abgerufen werden kann. Der fünfseitige Flyer kommt wieder gut designed daher, überschauberer Text ergänzt durch schöne Bilder. Vorweg, auch dieser Flyer kommt nicht ohne einen toll gestalteten Tagebausee daher, der ein schönes Naherholungsgebiet voller keiner Segelboote zeigt. Das Bild stellt eine Visualisierung des erst noch zu realisierenden Tagebaurestsees Inden dar. Auch hier ist also das Motto: Aus den alten Tagebaulöchern macht RWE ein tolles Naherholungsgebiet.

Vor den Seen steht die Sümpfung, „[d]enn nur wenn das Grundwasser abgesenkt und der Tagebau trocken gehalten wird, kann die Braunkohle sicher gewonnen werden“ (Seite 2). Die Sümpfung ist also unausweichlich, wenn man Braunkohle will. In diesem Zusammenhang sagt RWE, dass die Sümpfungsmaßnahmen nicht ohne Folgen sind: „Die Grundwasserabsenkung für die Tagebaue wirkt sich mit einer jährlichen Hebungsmenge von rund 560 Mio. m³ auf weiter Fläche aus“ (Seite 2). Was ‚auf weiter Fläche‘ bedeuten soll, kann man vermuten, denn RWe erwähnt, dass „das gesamte Rheinische Revier vom Rhein bis zur Maas und vom Eifelrand bis zum Neusser Raum kontinuierlich beobachtet“ wird (Seite 2). Wie sich die Sümpfung in die Fläche auswirkt, kann der Leser also vermuten. Aber wie wirkt sich die Sümpfung genau aus? An dieser Stelle fehlen leider Angaben im Prospekt. Man liest nur: „Veränderungen in den Grundwasserständen und Auswirkungen auf grundwasserabhängige Bereiche werden so frühzeitig erfasst, um bei Bedarf schnell reagieren zu können“ (Seite 2). RWE sagt also, dass weiter Gebiete genau beobachtet werden, damit bei Veränderungen der Grundwasserstände schnell reagiert werden kann. Was heißt das genau? Es könnte heißen, dass alles daran gesetzt wird, dass Veränderungen sofort rückgängig gemacht werden. Man könnte also vermuten, dass alles getan wird, damit die Sümpfungen keine Veränderungen des Grundwasser bewirken. Aber das ist nicht, was passiert. Sicherlich beobachtet RWE die Veränderungen des Grundwasser genau – dazu ist RWE auch gesetzlich verpflichtet – und RWE reagiert auch darauf. Der Grundwasserspiegel ist aber weiträumig abgesenkt und die Reaktion besteht darin, dass aufbereitetes Sümpfungswasser – sogenanntes ‚Ökowasser‘ – wieder in die Feichtgebiete zurückgeführt wird.

RWE hält Feuchtgebiete künstlich am Leben, indem das Stützwasser als Grundwasserersatz eingeleitet wird. Eine Auswirkung, die RWE nicht nennt, ist, dass die Feuchtgebiete und Fließgewässer nur noch von Niederschlagswasser (oder etwa im Fall der Niers von Klärwasser) gespeist werden würden, wenn das Stützwasser fehlen würde. Ich will es noch einmal deutlich sagen: die Feuchtgebiete und Fließgewässer sind am Tropf von RWE. Ich empfinde es vor diesem Hintergrund schon als ironisch, dass RWE das Prospekt „Für eine nachhaltige Gewässerlandschaft und sichere Wasserversorgung“ betitelt hat. Eine auf Jahrzehnte angelegte großflächige Grundwasserabsenkung, bei der Feuchtgebiete und Fließgewässer ihren Grundwasseranschluss verlieren, ist keine nachhaltige Gewässerlandschaft.

Will man RWE vorwerfen, dass der Konzern sich in seinen Werbeprospekten in gutes Licht rückt und nicht deutlich sagt, dass er die Umwelt nachhaltig schädigt? Sicherlich wäre das absurd, aber umso wichtiger ist es, dass man genau hinschaut und diese Werbematerialien nicht unkommentiert stehen lässt. Nachher könnte ja sonst noch jemand glauben, dass RWE es tatsächlich gut meint mit dem Grundwasser und den Feuchtgebieten.

Rheinwassertransportleitung: Was RWE sagt und was RWE verschweigt

RWEs Selbstdarstellung darf nicht unwidersprochen bleiben

Wenn man in einer Internetsuchmaschine nach dem Begriff Rheinwassertransportleitung sucht, dann führt der erste Treffer auf eine Seite des Konzerns RWE. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass RWE verantwortlich für diese Leitung ist, die auf der Höhe von Dormagen dem Rhein Wasser entnehmen und in das rheinische Braunkohlerevier bringen soll. Mit dem Wasser sollen nach Beendigung der Abbaumaßnahmen die Tagebaurestlöcher geflutet werden. Dieses Mammutprojekt wird Jahrzehnte dauern und am Ende mehrere riesige Seen, die mehrere hundert Meter tief sein werden, erschaffen.

Das Wasser wird aber auch zur Stützung der Feuchtgebiete benötigt. Rund um den Tagebau muss das Grundwasser bis unter die tiefste Stelle des Tagebaus abgepumpt werden, da ansonsten der Boden instabil wäre und das Grundwasser auf die Hänge drücken und diese abrutschen lassen würde. Leider ist das Grundwasser ein zusammenhängendes System, sodass durch die Sümpfungsmaßnahmen, wie dieses Abpumpen des Grundwassers bezeichnet wird, 10% der Landesfläche von Nordrhein-Westfalen betroffen sind. Die Folgen sind dramatisch für die Feuchtgebiete und Fließgewässer, die durch das Absenken des Grundwasserspiegels ihren natürlichen Grundwasseranschluss verloren haben. Würde das abgepumpte Wasser nicht teilweise wieder als Stützwasser zurückgeführt werden, wären Feuchtgebiete und Fließgewässer nur vom Niederschlag und eingeleitetem (zum Beispiel geklärten) Wasser abhängig. Bei ausbleibendem Niederschlag, wie dieses Jahr, wäre dies für die Feuchtgebiete eine Katastrophe.

Ab 2030, wenn der Tagebau beendet wird, werden die Sümpfungsmaßnahmen nach und nach eingestellt. Das Grundwasser kann dann wieder langsam ansteigen, aber auch dies ist ein Prozess, der Jahrzehnte dauert. Das Zurückfahren der Sümpfungsmaßnahmen muss aber langsam gehen, damit das ansteigende Grundwasser die Tagebaulöcher nicht beschädigt. Der ansteigende Druck des Grundwassers würde die Hänge abrutschen lassen, wenn das Grundwasser über den Wasserspiegel der Tagebaurestlöcher steigt. Damit muss also erst einmal Wasser in die Löcher, bevor das Grundwasser wieder ansteigen kann.

Durch die sukzessive Einstellung der Sümpfungsmaßnahmen wird schließlich auch Sümpfungswasser fehlen, das den Feuchtgebieten zugeleitet werden kann. Es gibt somit zwei Gründe, warum die Rheinwassertransportleitung gebaut werden soll: Erstens, die Tagebaurestlöcher wären nicht anders zu füllen. Zweitens, die Feuchtgebiete bekämen nicht genug Stützwasser. Eine Alternative zur Rheinwassertransportleitung wäre es, dass man die Sümpfung einfach wie bisher laufen lässt. Die Konsequenz wäre, dass man die Feuchtgebiete immer stützen müsste und dass man zwei riesige Löcher in die Landschaft hat. Wie man es dreht und wendet, keine Lösung ist optimal. Leider gibt es die riesigen Tagebaulöcher und das fehlende Grundwasser und deshalb muss irgendwas geschehen. Aber um es noch einmal deutlich zu machen: beide Probleme – riesige Löcher in der Landschaft und abgesenkter Grundwasserspiegel – sind direkte Folgen des Braunkohleabbaus. Wäre keine Braunkohle abgebaut worden, wären diese Probleme nicht vorhanden.

Nun zurück zu der eingangs erwähnten Internetseite von RWE. Öffnet man diese Seite zeigen sich abwechselnd drei hübsche Fotos. Eines zeigt mehrere Menschen, die auf Surfbrettern auf einem See sitzen. Es suggeriert unter dem Titel „Wasser für die Tagebauseen“ das Bild eines tollen Badesees. Ein anderes Bild zeigt einen lebendig fließenden Bach und trägt die Aufschrift „Für den Schutz der Feuchtgebiete im Norden von Garzweiler wird ab 2030 die Zuleitung von Rheinwasser notwendig sein“. Stimmt schon, aber man erfährt leider nicht, warum die Feuchtgebiete geschützt werden müssen. Es gibt jedoch die Möglichkeit mehr über das Projekt zu erfahren. Wenn man dies möchte, dann öffnet sich ein schön gestaltetes PDF. Wer denn nun herausfinden möchte, warum die Feuchtgebiete geschützt werden müssen, wird nicht fündig. RWE erwähnt nicht keinem Wort, dass die Feuchtgebiete aufgrund der von RWE durchgeführten Sümpfungsmaßnahmen geschützt werden müssen. Aber man erfährt doch immerhin, dass RWE ja schon lange etwas für die Feuchtgebiete tut. Auf Seite 7 im Prospekt heißt es:

Während der Sümpfung wurden die Feuchtgebiete nördlich von Garzweiler, inklusive des ökologisch wertvollen Naturparks Schwalm-Nette, durch RWE Power über ein weitverzweigtes Pipelinenetz und zahlreiche Versickerungsanlagen sowie teilweise über eine direkte Einleitung von Ökowasser versorgt. Zukünftig wird das Rheinwasser wesentlich zum Erhalt dieser schützenswerten Feuchtgebiete beitragen.

Dass die Zuleitung von Ökowasser eine notwendige Folge der Sümpfung ist, schreibt RWE leider nicht. Was sich hinter dem Begriff Sümpfung verbirgt, wird nicht erläutert. Ich bin mir nicht sicher, dass das ein allgemeinverständlicher Begriff ist. Aber sei’s drum. RWE schreibt, dass sie die schützenswerten Feuchtgebiete mit Ökowasser versorgen, aber nicht, dass sie den schützenswerten Feuchtgebieten dieses Wasser ja auch erst einmal entzogen haben.

Sehr toll klingt der Begriff Ökowasser. Aber was soll Ökowasser sein? Durch die Verwendung des Begriffs Ökowasser suggeriert RWE, dass sie etwas besonders Wertvolles für die Feuchtgebiete tun. Ohne das Wasser wären die Feuchtgebiete schlecht dran, stimmt schon. Aber immerhin hat RWE es ihnen ja auch vorher weggenommen. Ein Überfall bleibt ein Überfall, auch wenn man nachher die gestohlene Beute teilweise zurückgibt.

Um es klar zu sagen, RWE betreibt greenwashing. Zusammenhänge werden nicht offen dargelegt, da sie eine negative Publicity für RWE wären. RWE müsste sonst so etwas sagen wie: Wir werden bis 2030 eine umstrittene Rheinwassertransportleitung durch ökologisch sensible Gebiete bauen, weil wir vorher den Feuchtgebieten das Grundwasser abgepumpt haben. Greenwashing ist auch der Begriff Ökowasser, da es lediglich eine Rückführung des vorher abgepumpten Grundwassers ist. Wer das Stützwasser als Ökowasser bezeichnet, müsste es bei dem Sümpfungswasser auch tun. Aber das wäre auch wieder schlechte Publicity, denn das Sümpfungswasser (aka Ökowasser) wird nicht nur für die Stützung der Feuchtgebiete verwendet, sondern auch: für die Berieselung der Tagebaufelder und die Kühlung der Braunkohlekraftwerke. Ökowasser als Kühlwasser im Braunkohlekraftwerk? Klingt ganz furchtbar und wird daher von RWE auch so nicht gesagt.

Die besagte Internetseite und das Prospekt sind Werbematerial, mit denen RWE für den Bau der Leitung werben will. Einerseits sollen die Menschen angesprochen werden, die durch den Bau direkt betroffen sind. Anderseits aber auch alle, die sich für das Thema interessieren. Verständlich, dass sich RWE positiv darstellen will. Das versucht RWE auch dadurch, dass die geplanten Tagebauseen als eine neue Perspektive für die Region verkauft werden. So heißt es auf Seite 27:

Rekultivierung der Braunkohlentagebaue ist ein ständiger und nachhaltiger Prozess. Abraum, der nicht zur Stromerzeugung genutzt werden kann, sorgt unmittelbar nach seinem Abbau dafür, dass die Rekultivierung auf der gegenüberliegenden Seite des Tagebaus beginnen bzw. fortgeführt werden und grüne sowie blühende Landschaften hervorbringen kann.      

RWE verspricht blühende Landschaften. Ein solches Versprechen kennen wir aus der jüngeren deutschen Geschichte und was man davon halten kann, ist hinlänglich bekannt. Dass es schöne, blühende Landschaften geben soll, ist schön und gut, aber eigentlich hätten wir sie jetzt schon, wenn sie für den Tagebau nicht weggebaggert worden wären und für die Rheinwassertransportleitung nicht noch dem Bagger zum Opfer fallen würden.

RWE vermarktet die Rheinwasserleitung als ein tolles Rekultivierungsprojekt, das Landschaften blühen lässt, ein neues Naherholungsgebiet hervorbringt und die Feuchtgebiete schützt. Dabei geht RWE geflissentlich darüber hinweg, dass das eigene profitorientierte Handeln die Ursache für all dies ist.

Viele Fragen rund um die Rheinwassertransportleitung und die Tagebaurestseen sind noch ungeklärt. Welche Qualität wird das entnommene Rheinwasser haben? Wird es sich eignen, um damit Seen zu füllen? Oder werden die Tagebauseen, wie es etwa in der Lausitz passiert, lebensfeindliche, saure Gewässer? (Nachzulesen zum Beispiel beim Deutschlandfunk hier.) Wird das Rheinwasser so gefiltert werden können, dass es als Stützwasser in die Feuchtgebiete geleitet werden kann? Welche Auswirkungen hat die Einleitung von (wie auch immer gefiltertem) Rheinwasser auf das Ökosystem der Feuchtgebiete? Wird es überhaupt durchgängig genügend Wasser für die Entnahme aus dem Rhein geben? Zwar heißt es, dass die Fechtgebiete gegenüber den Tagebaurestlöchern Priorität bei niedrigen Pegelständen haben werden, aber ist denn klar, dass die Pegelstände auch immer für die Stützwasserentnahme ausreichen werden? (Dazu habe ich hier etwas geschrieben.) Wenn nicht, gibt es dann einen Alternativplan? Wie wirkt sich die Wasserentnahme bei Niedrigwasser auf das Ökosystem Rhein aus? Es wird zukünftig einen stärkeren Verteilkampf um die Wasserentnahme bei Niedrigwasser geben, wird die Rheinwassertransportleitung zu Lasten anderer Wasserentnehmer gehen? Welchen Folgen wird es haben, wenn sich See- und Grundwasser vermischen? Die Listen der Fragen lässt sich noch ergänzen, es ist aber klar, dass vieles noch absolut im Unklaren ist. Dies liegt unter anderem daran, dass nicht absehbar ist, wie sich der Rheinpegel in den Sommern in den nächsten 10, 20, 30 oder 60 Jahren entwickeln wird. Es scheint aber zumindest plausibel, dass ein Jahr wie dieses keine Ausnahme sein wird.

Die Selbstdarstellung von RWE kann nicht unwidersprochen stehengelassen werden. Es fehlt darin leider so einiges. Es fehlt Ehrlichkeit: so viele Fragen sind noch unklar, so viele Genehmigungen stehen noch aus. Es fehlt an Verantwortungsübernahme: die Rheinwassertransportleitung hat nur einen Zweck, die Schäden, die RWE durch den Braunkohletagebau verursacht hat, wegzuspülen. Es geht nicht um den Schutz der Feuchtgebiete, es geht darum, dass RWE die Feuchtgebiete künstlich am Tropf halten muss, da sie andernfalls durch RWEs Sümpfungsmaßnahmen schon längst nicht mehr existieren würden. Der Selbstdarstellung von RWE muss widersprochen werden, damit RWE nicht das Narrativ vom selbstlosen Schützer der Feuchtgebiete aufbauen kann. Es muss deutlich gesagt werden, dass RWEs Firmengewinne nur durch massive Eingriffe in die Natur, die diese nachhaltig schädigen, erzielt werden können. Die Rheinwassertransportleitung ist nur ein Werkzeug um die verursachten Schäden abzumildern, bzw. im Falle der Tagebaurestlöcher zu kaschieren. Die Rheinwassertransportleitung stellt einen weiteren nur teilweise kalkulieren Eingriff in die Natur dar, bedingt durch die noch massiveren Eingriffe, die der Braunkohletagebau und vor allem die Braunkohleverstromung vorher verursacht haben.  

Bei RWEs Internetauftritt lohnt es sich genau hinzuschauen, was RWE sagt und was RWE verschweigt. Klar, dass RWE alle negativen Aspekte ausklammert. Aber diese sind nicht unwichtig, denn wir sollen den Schutz der – wie RWE selbst sagt – schützenswerten Feuchtgebiete denjenigen überlassen, wie erst dafür gesorgt haben, dass sie überhaupt geschützt werden müssen.

Ergänzung 27.08.2022: Eine lesenswerte Kritik an der Rheinwassertransportleitung hat der BUND verfasst, einmal hier und einmal hier. Lesenswert ist auch der Braunkohleplan Garzweiler II, der breits 1995 festlegte, dass eine Rheinwassertransportleitung zur Befüllung der Tagebauseen gebaut werden soll. Der Braunkohleplan wurde von der von Johannes Rau (SPD) geführten Regierung verabschiedet und spricht deutlich aus, dass der Braunkohletagebau erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und das Grundwasser haben wird. Die Folgen waren einkalkuliert, dennoch wurde das Projekt politisch bewilligt.

Wie wurden aus Aktivistis Aktivisti?

Ein paar Beobachtungen zur Chronologie beider Formen

Ich hatte vor kurzem hier darüber geschrieben, dass ich zwei Sexus-neutrale Formen – Aktivisti und Aktivistis – zur Bezeichnung einer Gruppe von Aktivist*innen gibt. In dem Zusammenhang hatte ich die Idee, dass das –i, das zur Pluralmarkierung bei Aktivisti dient, als Teil des Stammes reanalysiert wurde und dadurch die Pluralbildung mit -s motiviert wurde.

Jetzt habe ich mir aber einmal versucht die Vorkommen der beiden Daten etwas genauer zu datieren. Beides ist gar nicht so einfach zu machen. Aber ein paar Ergebnisse habe ich doch. Zunächst einmal zum Deutschen Referenzkorpus (DeReKo). im Archiv W kommen beide Formen vor. Der früheste Beleg für Aktivisti stammt aus dem August 2020:

„Die haben uns teilweise schon vor den Aktivisti mitgenommen“, erzählt Fotojournalistin Doneck.

(T20/AUG.01825 die tageszeitung, 26.08.2020, S. 25; Mitgegangen,)

Für Aktivistis ist der erste Beleg auf Oktober 2019 datiert:

Was sich die Aktivistis aber erhoffen, ist, von der Politik und der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.

(B19/OKT.00854 Berliner Zeitung, 12.10.2019, S. 12; „Wie peinlich, dass sie das tun müssen“)

Eine Googlerecherche untermauert diese Ergebnisse. Für Aktivisti habe ich keien Belege gefunden, die sich früher als 2020 datieren lassen. Für Aktivistis findet sich dagegen ein Belege, der aus dem Juni 2019 stammt: „Fridays for Future“-Aktivistis bei legaler Sprühaktion von Polizei umstellt. Es lassen sich sogar noch frühere Belege finden, die sich durch die Webseite auf das Jahr 2016 datieren lassen: Die Bauten hätten nicht den gültigen Bauregeln entsprochen, die Aktivistis wären somit gefährdet gewesen. Es spricht also einiges dafür, dass Aktivistis die ältere der beiden Formen ist. Damit ist es plausibel anzunehmen, dass sich Aktivisti aus der Form Aktivistis entwickelt hat. Aber wie?

Es ist auffällig, dass ich keinen Beleg für Aktivisti mit sigularischer Referenz gefunden habe. Damit dürfte die Pluralform Aktivistis immer in Opposition zu den Singularformen Aktivist und Aktivistin gestanden haben. Damit aus dem -i eine Sexus-neutrale Pluralmarkierung werden kann, muss es zunächst einmal als Bestandteil der Pluralmarkierung in Aktivist-is interpretiert werden. Ob es als Bestandteil der Pluralmarkierung startete oder mit einer anderen Funktion – z.B. als stammbildendes Element für einen Sexus-neutralen Stamm – ist eine andere Frage. Ausgehend von dem is-Plural konnte das -s getilgt werden. Mir ist nicht klar, was die Motivation dahinter gewesen sein könnte. Vielleicht war die Motivation, dass ein i-Plural die Sexusneutralität stärker hervorhebt? Vielleicht wurde das -i als ausreichende Pluralmarkierung interpretiert, sodass das -s fallengelassen werden konnte. Vielleicht dient die Reduktion auf die i-Form auch nur der stärkeren Abhebung von anderen Formen? Basierend auf einem Einzelfall will ich diese Frage nicht beantworten.

Was kann man nun also sagen? Aktivisti ist chronologisch nach Aktivistis anzusiedeln, beides sind Pluralformen, denen keine Sexus-neutrale spezifische (d.h. andere als Aktivist, bzw. Aktivistin) Singularform korrespondiert. Es handelt sich also um die Entwicklung einer Sexus-neutralen Pluralform, ohne entsprechende Sexus-neutrale Singularform.

Aus Aktivisti werden Aktivistis

Rivalisierende geschlechtsneutrale Formen

In verschiedenen Texten zur Klimaschutzbewegung – über die Bewegung und von Aktivisten der Bewegung – findet sich die Form Aktivisti. Diese Form hatte ich in einem anderen Beitrag als Gender-neutrale Pluralform beschrieben, da man Beispiele wie das folgende finden kann:

Dennoch wurden die drei Pressevertreter*innen nacheinander abgeführt. „Die haben uns teilweise schon vor den Aktivisti mitgenommen“, erzählt Fotojournalistin Doneck.

(T20/AUG.01825 die tageszeitung, 26.08.2020, S. 25; Mitgegangen)

Im Satzkontext wird eindeutig klar, dass Aktivisti eine Pluralform ist, den in der Präpositionalphrase ist hier eindeutig eine pluralische Kongruenzform. Damit wäre -i eine sprachliche Form, die Pluralität ausdrückt, dabei bei belebten Referenten aber keine Spezifizierung des Sexus verlangt und ein Ersatz für (z.B.) Aktivist*innen darstellt.

In letzter Zeit bin ich ein paar Mal über die Form Aktivistis gesteuert, also Aktivisti mit einer Pluralmarkierung. Das folgende Beispiel belegt diese Form:

Kleiner Kulturschock bei den Aktivistis

(Kolumne: Mein erstes Mal Mein erstes Mal als Aktivist)

Was ist hier passiert? Das -i wurde als Singularform reinterpretiert und damit als Bestandteil des Stamm aufgefasst. Der Stamm Aktivisti referiert damit auf aktivistische Person, deren Geschlecht unspezifiziert ist. Durch die Reinterpretation ist eine Numerusmarkierung im Plural nötig, weshalb hier der schöne Defaultplural (-s) auftritt. Ich gebe zu, dass die gerade skizzierte Analyse voraussetzt, dass die Entwicklung ihren Ausgang von Aktivisti nahm. Das wäre aber eigentlich erst noch zu zeigen.

Die Form Aktivistis findet sich auch im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo; Archiv W) und kommt dort sieben mal vor. Interessant ist, dass sich die Vorkommen nicht auf die TAZ beschränken, sondern zweimal auch die Berliner Zeitung und einmal die Süddeutsche Zeitung diese Form verwenden.

Was sich die Aktivistis aber erhoffen, ist, von der Politik und der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.

(B19/OKT.00854 Berliner Zeitung, 12.10.2019, S. 12; „Wie peinlich, dass sie das tun müssen“)

Fridays-for-Future-Sprecherin Luisa Neubauer hingegen schreibt auf Twitter: Olympia kann und soll die wichtige Arbeit von Aktivistis nicht ersetzen.

(U19/NOV.03088 Süddeutsche Zeitung, 26.11.2019, S. 5; Fridays for 29,95 Euro)

Medial ist die Form Aktivistis weiter verbreitet als das pluralische Aktivisti, da ich für pluralisches Akivisti nur Belege aus der TAZ im DeReKo fand. Aktivistis scheint zudem einen weiteren Anwendugskontext zu haben als das pluralische Aktivisti, denn Aktivistis tritt nicht nur im Zusammenhang mit der Klimaschutzbewegung auf, sondern auch im Zusammenhang mit antifaschistischen Aktivistis:

Es gab mal eine Zeit, da bedeutete antifaschistische Aktion selbst bei den Aktivsten unter den Aktivistis eine zwar wichtige, mitunter stressige und auch gefährliche Beschäftigung – aber zumindest eine für den Feierabend und das Wochenende.

(T21/OKT.01290 die tageszeitung, 19.10.2021, S. 23; Planungssicherheit für Antifas)

Interessant ist, dass in den Daten aus dem DeReko keine singularische Verwendung von Aktivisti vorkommt. Das heißt aber nicht, dass diese Form nicht irgendwo anders belegt ist. Ihr Vorkommen würde ich zumindest erwarten.

Ganz spannend finde ich, dass es gegenwärtig zwei Tendenzen in der Bildung Sexus-neutraler Pluralformen für Aktivist gibt und es lohnt sich zu beobachten, ob sich eine dieser Formen über längere Sicht durchsetzen wird und wenn ja, welche. Diese Formen erlauben es uns Sprachwandel direkt zu beobachten und geben Einblick in die von Sprechern bewusst gesteuerte Entwicklung geschlechtsbewusster Sprachformen.

Sie graben uns das Wasser ab Teil II

Ergänzungen zu RWE, das Grundwasser und der Rhein

Mein Beitrag ‚Sie graben uns das Wasser ab‚ hat eine Antwort des Dezernats 61 der Bezirksregierung Arnsberg erbracht, in der mir noch ein paar Hintergründe erläutert wurden. Da ich auf diese Weise neue Informationen bekommen habe, hat sich der Beitrag – zumindest für mich – ausgezahlt. Dafür möchte ich dem Dezernat noch einmal ausdrücklich danken! Ich möchte kurz die für mich wichtigsten Informationen zusammenfassen:

Der für mich wichtigste Hinweis war, dass im aktuellen Entnahmekonzept vorgesehen ist, dass bei Niedrigwasser nur das für die Feuchtgebiete nötige Wasser aus dem Rhein entnommen werden soll und die Tagebaurestseen nicht befüllt werden. Das ist erfreulich, denn damit wir den schützenswerten Feuchtgebieten Priorität eingeräumt.

Ich sprach im letzten Beitrag davon, dass möglicherweise ’sinnlose Leitungen gelegt werden‘, wenn es nicht zur Genehmigung der Wasserentnahme kommen sollte. Diese Formulierung provizierte ebenfalls eine Antwort, die ein wenig Einblick in die Verfahrensweise gibt. Der Bau der Leitungen – ohne vorlaufende Genehmigungsverfahren – ist auf drei Jahre geschätzt. Wasserrechte werden aber nicht auf Vorrat erteilt, sondern sollen wieder aberkannt werden, wenn zwei Jahre kein Gebrauch von ihnen gemacht wird. RWE kann also noch keine Genehmigung zur Wasserentnahme haben, da sie diese noch nicht nutzen würden. Die Frage, ob dies eine sinnvolle Verfahrensweise ist, kann man stellen.

Meine Kritik relativiert sich damit ein bisschen, wobei weiterhin zu kritisieren ist, dass RWE in dieser Transparenz nicht auftritt. Vielmehr tut RWE so, wie ich es im letzten Beitrag schrieb, als wäre die Sache ‚in trockenen Tüchern‘.

Weiterhin wurde mit mitgeteilt, dass es wohl durch die Entnahme des Wassers keine (messbaren) Auswirkungen auf das Ökosystem Rhein geben soll, da es bei dem entnommenen Wasser nur um einen Bruchteil des an der Entnahmestelle vorbeifließenden Wassers gehen soll. Da die Wasserentnahme bei Niedrigwasser reduziert werden soll, scheint es – wenn dies auch so umgesetzt wird – keine besondere Verschärfung einer Niedrigwasserlage zu geben. Es bleibt dann aber noch zu hoffen, dass zukünftige Sommer eine Wasserentnahme zur Stützung der Fließgewässer erlauben wird.

Durch die neuen Hintergrundinformationen ergibt sich ein etwas anderes Bild im bezug auf die Rheinwasserransportleitung, auch wenn nicht alle Vorbehalte ausgeräumt sind. Es lohnt sich an dem Thema dran zu bleiben, da es doch zahlreiche Facetten zu berücksichtigen gibt.

Sie graben uns das Wasser ab

RWE, das Grundwasser und der Rhein

Im Deutschen gibt es die Redewendung jemandem das Wasser abgraben. Die Bedeutung der Redewendung ist ungefähr, dass man jemandem schadet, indem man ihm etwas wegnimmt. Es gibt aber auch eine leider zutreffende wortwörtliche Interpretation der Redewendung, denn im Rheinischen Braunkohlerevier gräbt uns RWE das Wasser ab. Zunächst hat uns RWE das Grundwasser durch den Tagebau genommen, danach (ab 2030) wird uns RWE das Rheinwasser zur Befüllung der vorher gebuddelten Tagebaulöcher nehmen. Weil es so wichtig ist, hier das Ganze noch einmal etwas ausführlicher.

Der Rheinische Braunkohletagebau besteht aus mehreren Tagebaulöchern, die nach Beendigung des Braunkohletagebaus – also spätestens 2030 – geflutet werden sollen. Das Grundwasser muss bis unter den tiefsten Punkt der Tagebaue abgepumpt werden, damit die Hänge stabil sind und das Grundwasser nicht von unten in den Tagebau eindringt. Da die Grundwasserspeicher große, zusammenhängende Schichten sind, wird nicht nur das Grundwasser rund um die Tagebaue abgepumpt. Die Sümpfungsmaßnahmen, wie dieser Prozess heißt, betreffen rund 10% der Landesfläche Nordrheinwestfalens. Eine Konsequenz der Sümpfungsmaßnahmen ist, dass viele Feuchtgebiete ihren Grundwasseranschluss verloren haben und durch die Einführung von Stützwasser ‚feucht‘ gehalten werden müssen. Dieses Stützwasser ist abgepumptes Grundwasser und steht zur Verfügung solange gesümpft wird.

Die Sümpfungsmaßnahmen sollen mit Beendigung der Tagebaumaßnahmen eingestellt werden. Dann wird den Feuchtgebiete auch kein Stützwasser mehr aus den Sümpfungsmaßnahmen zugeführt werden können. Der Grundwasserspiegel steigt aber nicht so schnell an, dass die Feuchtgebiete direkt wieder einen Grundwasseranschluss haben. Dieser Prozess dauert Jahrzehnte. Irgendwie muss also die Zeit zwischen der Einstellung der Sümpfungsmaßnahmen und der abgeschlossenen Wiederanstieg des Grundwassers überbrückt werden.

Im Braunkohleplan Garzweiler II wurde 1995 entschieden, dass die Tagebaurestlöcher mit Rheinwasser geflutet werden sollen. Das Wasser, das zur Flutung genutzt wird, soll auch in Teilen als Stützwasser für die Feuchtgebiete Verwendung finden. In Höhe von Dormagen soll eine Rheinwassertransportleitung entstehen, die Rheinwasser in die Tagebaue leitet. An der Entnahmestelle soll der Rheinpegel durch die Entnahme um maximal 2 Zentimeter abgesenkt werden. Natürlich betrifft dies nicht nur den Pegel direkt an der Entnahmestelle, denn das Wasser fehlt dann ja auch im weiteren Rheinverlauf. Aber wer hat vor 27 Jahren bei der Verabschiedung des Braunkohleplans daran gedacht, dass im August 2022 der Rheinpegel sehr niedrig sein wird? In Emmerich lag der Rheinpegel am 9. August 2022 bei 20 Zentimetern. Was heißt es, wenn weitere zwei Zentimeter fehlen, da großen Mengen Rheinwasser bei Dormagen entnommen wurden? Welche Konsequenzen hat dies für die Schifffahrt und – wie ich finde noch zentraler – für das Ökosystem Rhein?

Betreiber der Rheinwassertransportleitung wird RWE sein. Die Tagebaurestseen gehören ebenfalls RWE. Es gibt seitens RWE tolle Pläne für die Seen, die als Naherholungsgebiete angepriesen werden. So unter anderem in dem Prospekt hier, das aus dem Jahr 2018 stammt. So liest man darin: „Zwischennutzungskonzepte werden eine frühzeitige Erschließung der Seen für die Naherholung bereits während der Befüllung ermöglichen“ (Seite 4). Zwei Dinge sind Voraussetzung für die erfolgreiche Befüllung der Tagebaurestlöcher: 1. die Fertigstellung der Rheinwassertransportleitung und 2. eine Genehmigung zur Wasserentnahme aus dem Rhein. An der Rheinwassertransportleitung wird fleißig geplant und es gibt auch bereits einen genehmigten Trassenverlauf. Aber wie sieht es mit der Wasserentnahme aus?

Im Zusammenhang mit der Wasserentnahme stellen sich mir zudem folgende Fragen: Wird die Rheinwasserentnahme auch bei Niedrigwasser erlaubt sein? Wenn ja, wie niedrig darf der Rheinpegel fallen, bevor die Wasserentnahme eingestellt werden muss? Wenn bei Niedrigwasser entnommen werden darf, aber eventuell weniger, wer bekommt dann das Wasser? Gibt es eine Priorität für die Stützung der Feuchtgebiete? Wenn nicht, wo kommt denn dann das Stützwasser für die Feuchtgebiete her? Wenn das Stützwasser fehlt, dann sind die Feuchtgebiete alleine von Niederschlag abhängig. Dummerweise ist der Rhein aber gerade dann besonders leer, wenn nicht genügend Niederschlag vorhanden ist. Dieses letzte Szenario scheint möglich zu sein, auf den Seiten der Grünen Rommersdorf wird es nämlich erwähnt. In einer Darstellung der geplanten Rheinwassertransportleitung heißt es: „Bei zu niedrigem Pegelstand wird die Pumpmenge reduziert oder eingestellt“. Anscheinend beziehen sich die Grünen an dieser Stelle auf eine Aussage von RWE. Für unsere Feuchtgebiete ist das keine gute Prognose!  

Eine Anfrage zu diesen Fragen bei der Bezirksregierung Arnsberg (Dezernat 61 Nachhaltigkeit im Bergbau, Abteilung für Bergbau und Energie in NRW) ergab folgende Antwort: „[…] derzeit gibt es weder einen Antrag, noch eine Wasserrechtliche Erlaubnis zur Entnahme von Wasser aus dem Rhein“. Das heißt: Es wird eine Wassertransportleitung geplant und genehmigt, aber ob am Ende Wasser hindurch darf, steht noch aus. Seitens des Dezernats wird die Idee vertreten, dass die Genehmigung zur Wasserentnahme nach dem erfolgten Bau der Transportleitung geschehen kann. Zitat: „Zunächst wird die Leitungstrasse im BKP festgestellt, dann kann die Leitung in Abschnitten gebaut werden und schließlich sollen Wasserrechte für die Entnahme und die Einleitung beantragt werden.“ Der derzeitige Stand ist, dass die Bezirksregierung Köln „[d]ie Wassermengen und die Entnahmemöglichkeiten, insbesondere natürlich bei Niedrigwasser […] mit den dafür zuständigen Stellen abgestimmt“ (Dezernat 61). Also: die Trassenführung ist genehmigt (auch schon mit Rohrgrößen), aber ob Wasser entnommen werden darf und wenn ja, in welchen Mengen, ist noch offen und wird gerade diskutiert.

Was ist aber, wenn es am Ende keine Genehmigung zur Rheinwasserentnahme gibt? Tatsächlich glaube ich nicht, dass RWE die Genehmigung nicht erhalten wird. Aber macht es Sinn eine Transportleitung zu bauen, wenn es bislang kein fertiges Entnahmekonzept gibt? Kein Mensch wird glauben, dass wir in Zukunft keine (sehr) niedrig Rheinpegel in den Sommermonaten haben werden. Es ist unverantwortlich, wenn dem Bau der Rheinwassertransportleitung nicht ein genehmigtes, nachhaltiges Entnahmekonzept zugrunde liegt, das auf wissenschaftlichen Prognosen zur Entwicklung des Rheinpegels basiert. Die Planung der Trasse sollte sich an den Quantitäten orientieren, die letztlich auch zur Entnahme genehmigt werden und nicht vor einer Genehmigung bereits Fakten schaffen. Von vorneherein muss an die möglichen Auswirkungen auf das Ökosystem Rhein geachtet werden. Durch den Tagebau hat RWE die Umwelt im Rheinland bereits geschädigt – damit ist nicht nur die CO2 Emission in Folge der Verstromung der Braunkohle gemeint. Es darf nun nicht passieren, dass das Ökosystem Rhein nachhaltig geschädigt wird, weil RWE seine Tagebaurestlöcher fluten will, bzw. muss.

Gibt es eine Alternative zur Rheinwassertransportleitung? Ich weiß es nicht. Aber sehr vieles hängt davon ab, ob man auch bei Niedrigwasser – ohne Schädigung des Ökosystems Rhein – Wasser aus dem Rhein entnehmen kann. Wenn das sowieso nicht gehen wird, dann mag es sinnvoller sein, wenn man die Trasse gar nicht erst baut. Es ist also wichtig, dass diese Überlegungen VOR dem Bau der Trasse angestellt werden. Die Trasse wird teilweise ökologisch sensibles Gebiet durchqueren und dort enorme baulich Eingriffe bedeuten. Ein solcher Schritt muss sehr gut überlegt sein und wird explizit vom BUND kritisiert. Weil die Trasse enorme Einschnitte in sensiblen Gebieten nach sich zieht, ist es wichtig, dass ein Wasserentnahmekonzept VOR dem Bau vorliegt, damit die unvermeidlichen Auswirkungen möglichst gering sind.

Seitens von RWE heißt es: „Der Hambacher See wird kommenden Generationen als Badegewässer, Segelrevier und Erholungsgebiet zur Verfügung stehen. Die Befüllung des Sees wird 2030 beginnen – mit Rheinwasser, das über eine unterirdische Rohrleitung in die Grube geleitet wird. Schon etwa zehn Jahre nach dem Beginn der Flutung kann eine große Wasserfläche genutzt werden“. Sprachlich nimmt RWE hier die positive Entscheidung zur Rheinwasserentnahme vorweg. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es gibt weder einen Antrag auf Wasserentnahme, noch eine Genehmigung zur Entnahme. Was RWE als Fakt darstellt, ist nichts anderes als ein Plan, der noch einer formalen Beantragung und Genehmigung bedarf. Dieser Punkt darf nicht verschwiegen werden und RWE darf kein Narrativ erzeugen, dass eine positive Entscheidung vorwegnimmt. Damit täuscht RWE diejenigen, die es nicht besser wissen (und dies dürfte die Mehrheit sein).

Im Fazit bleibt festzuhalten, dass vieles noch unklar ist. Die Behörden arbeiten gerade an Konzepten, die auch Niedrigwasserstände mit einbeziehen, zeitgleich wird aber seitens RWE suggeriert, dass die Wasserentnahme keine Hürde sei. Der Bau der Trasse wird forciert, bevor das Entnahmemanagement geklärt ist. Mich stört am meisten, dass in der ganzen Diskussion immer nur die Tagebaurestseen erwähnt werden, die Feuchtgebiete bleiben in der Diskussion unerwähnt.

RWE gräbt uns, wie eingangs geschrieben, zweimal das Wasser ab. Beim ersten Mal haben wir schon verloren und das Grundwasser wurde uns entzogen. Wir müssen daher darauf achten, dass die Rheinwassertransportleitung nicht auch wieder unser Schaden – also insbesondere der Schaden des Ökosystems Rhein und der Feuchtgebiete – wird.   

(Ich möchte dem Dezernat 61 sehr für Ihre offenen Antworten und die zügige Beantwortung meiner Nachfragen danken. Ebenso möchte ich für die Erteilung der Erlaubnis aus den Anfragen zu zitieren danken. )

Als Reaktion auf diesen Beitrag hat sich das Dezernat 61 noch einmal bei mir gemeldet und mir einige hilfreiche Hintergrundinformationen zukommen lassen. Im Lichte dieser Informationen stellt sich die Thematik etwas anders dar. Anstatt den ursprünglichen Beitrag zu verändern, habe ich eine Ergänzung geschrieben, die sich hier finden lässt.

Weitere Redewendungen mit Wasserbezug: Uns steht das Wasser bis zum Hals und Bis dahin fließt noch viel Wasser den Rhein runter

Die FDP über die ‚Klimakrise‘

Antwort der FDP, warum sie von Klimawandel aber nicht von Klimakrise spricht.

Vor ein paar Wochen hatte ich die NRW-CDU und die NRW-FDP gefragt, warum sie in ihrem Wahlprogramm für die NRW-Landtagswahl zwar von Klimawandel aber nicht von Klimakrise sprachen. Die CDU hatte bereits geantwortet, wie ich hier geschrieben habe. Nun hat mir aber auch die FDP eine Antwort geschickt.

Der politische Geschäftsführer des NRW-Landesverbands der FDP hat mir dankenswerterweise erlaubt, dass ich seine Antwort hier vollständig zitiere:

Der Begriff des Klimawandels zur Beschreibung der Veränderungen des Weltklimas ist ein in der öffentlichen Debatte und in der Wahrnehmung der Bevölkerung seit Jahrzehnten verwendeter Ausdruck, den wir daher primär benutzen – ohne dabei jedoch die damit verbundende Dringlichkeit zu verharmlosen. Zudem benutzen Bundesbehörden, Ministerien sowie die Vereinten Nationen diesen Begriff in Anlehnung an den internationalen Fachbegriff climate change. Indem wir viele Ideen und Vorschläge innerhalb des politischen Diskurses zur Bekämpfung des Klimawandels einbringen, machen wir die Brisanz dieses Thema immer wieder klar und welche Folgen das Unterlassen von Maßnahmen haben werden.

(Mirco Rolf-Seiffert, per Email 08.08.2022)

Das Argument für die Verwendung von Klimawandel und der Vermeidung des Begriffs Klimakrise ist also, dass der Begriff Klimawandel in der öffentlichen Debatte und der breiten Bevölkerung seit Jahrzehnten (!) primär verwendet wird. Das Argument lautet also: wie wir bisher gesprochen haben, ist richtig und angemessen, also sprechen wir so weiter. Dazu gibt es drei Entgegnungen:

Erstens: Es wäre interessant sich einmal die Häufigkeiten der Begriffe Klimawandel uns Klimakrise über die letzten Jahrzehnte im öffentlichen Diskurs anzusehen. Aus dem eigenen Empfinden heraus kann ich diese Aussage weder bestätigen noch anzweifeln.

Zweitens: Durch die Wahl unserer Begriffe beziehen wir uns nicht nur auf Sachverhalte (oder Objekte) in der Welt, sondern transportieren auch unsere Einstellungen dazu mit. Das habe ich an anderer Stelle bereits einmal angerissen. Die Frage ist also: ist Klimawandel der angemessendste Begriff, selbst dann, wenn er schon Jahrzehnte in der Diskussion verwendet wird? Man könnte hier kritisch sagen, nein, ist er nicht. Wäre er angemessen, dann wäre das Bewusstsein über die Klimaproblematik heute viel größer als es tatsächlich ist. Vielleicht – aber dies ist hypothetisch – sähe dies anders aus, wenn mehr von Krise statt von Wandel gesprochen worden wäre und gesprochen werden würde.

Drittens: Wir können die Wahl unserer Begriffe aktiv verändern. Dies ist mit diskriminierenden Worten in letzter Zeit geschehen, wenn es auch einigen Aufschrei gab. Bei der Frage, ob Klimawandel oder Klimakrise geht es nicht um diskriminierende Begriffe, dennoch stellt sich die Frage, welcher dieser Begriffe adäquat ist (einer, beide, keiner?). Wer sich darauf beruft, dass ein Begriff beibehalten werden sollte, weil er bisher im Diskurs primär verwendet wurde, akzeptiert damit auch, dass dieser Begriff der passendste ist. Auch wenn Herr Rolf-Seiffert nichts zum Begriff Klimakrise direkt sagt, legt seine Antwort doch nahe, dass die FDP den Wandel sprachlich adäquater als die Krise findet.

Ein zweites Argument, das seitens der FDP hervorgebracht wird, ist, dass Bundesbehören, Ministerien und die Vereinten Nationen von Klimawandel und nicht von Klimakrise sprechen. Die Bundesumweltministerin Steffi Lemke spricht sehr wohl (auch) von Klimakrise, wie etwa in einem Interview, das auf Seiten des Bundesumweltministeriums zu lesen ist. Auf den Seiten des Bundesumweltministeriums liest man auch im Zusammenhang mit Klimafolgenanpassung von globaler Klimakrise. Auch Angela Merkel sprach – anders als die NRW-CDU übrigens – schon von der Klimakrise, wie etwa in der Rede, die man hier finden kann. Auf der Internetseite von Olaf Scholz, nun immerhin Bundeskanzler, findet man den Begriff Klimakrise ebenfalls. Der Bundestag nutzt auf seiner Seite ebenfalls den Begriff Klimakrise. Die Vereinten Nationen sprechen ebenfalls von climate crisis, dies kann man etwa hier nachlesen. Sicher, dies sind selektive Beispiele und man wird viele Ministerien, Institutionen oder Politiker finden, die nur von Klimawandel sprechen. Es ist also nicht so, dass es eine Konvention gäbe, dass öffentliche Institutionen – ich rechne Ministerinnen und Bundeskanzlerinnen einmal dazu – von Klimawandel statt Klimakrise reden müssten. Heißt das nun, dass die FDP ihren Sprachgebrauch jetzt auch anpassen wird?

Die Argumentation der FDP zielt insgesamt auf den Sprachgebrauch ab und ist nicht inhaltlich an den Begriffen ausgerichtet. Wie der Sprachgebrauch aber genau aussieht, muss aber erst noch – soweit ich es überblicken kann – untersucht werden.

Aktivisti

Geschlechtsneutraler Plural in der Klimaschutzbewegung

In den letzten Tagen wurde das Thema ‚Gendern‘ wieder heiß diskutiert. Anlass war ein Aufruf einiger Sprachwissenschaftler gegen geschlechterbewusste Sprache. Es gab allerlei Kritik an diesem Aufruf, eine gute und sachliche Kritik aus der Mitte der aktiv zu diesem Thema forschenden Sprachwissenschaft hat Damaris Nübling in einem Interview in der FAZ formuliert.

Von Kritikern des Genderns, bzw. der Verwendung einer geschlechterbewussten Sprache werden unterschiedliche Kritikpunkte hervorgebracht. Einige der Kritikpunkte betreffen explizit die sprachliche Sichtbarmachung der Geschlechter mittels Gendergap (Aktivist_innen), Binnenmajuskel (AktivistInnen), Doppelpunkt (Aktivist:innen) oder Genderstern (Aktivist*innen). Unter anderem kann man lesen, dass diese Formen nicht durch die amtliche Rechtschreibung gedeckt seien. Stimmt, aber an die amtliche Rechtschreibung sind lediglich der Schulunterricht sowie Beamte und Angestellte bei Bund und Ländern gebunden. Außerhalb dieser Kontexte kann jede und jeder schreiben wie er will. Desweiteren liest man häufig, dass die oben genannten Formen ’sprachfremd‘ seien und künstlich in das (Schrift)Deutsch eingeführt werden würden. Außerdem heißt es, diese Formen seien unpraktisch oder unästhetisch. Die letzten beiden Punkte sind Fragen des persönlichen Geschmacks. Die ‚Sprachfremdheit‘ der Formen finde ich dagegen schwerer zu bewerten. Aber sei’s drum, denn es gibt eine geschlechtsneutrale Form, die von keinem dieser Kritikpunkte betroffen ist: der Plural Aktivisti.

Bei Aktivisti wird -i als Sexus-neutraler Pluralmarker verwendet. An den Stamm Aktivist wird also ein -i gehängt. Mit dieser Form, die nicht für Sexus spezifiziert ist, können somit alle Geschlechter gemeint sein, die Form ist für kein Geschlecht spezifisch. Diese Form ist nicht ’sprachfremd‘, wie es manchmal den Formen mit Genderstein oder Gendergap vorgeworfen wird. Das -i tritt beispielsweise in der Bildung von Koseformen (Papi, Mami, Omi, Opi) auf, aber auch in gekürzten Formen wie Stasi (von Staatssicherheitsdienst, bzw. Ministerium für Staatssicherheit) oder Ami (von Amerikaner). Im Unterschied zu Aktivisti stellen aber weder Papi noch Stati geschlechtsneutrale Plurale dar. Eine solche Pluralform ist mir bislang nur in mit dem Stamm Aktivist begegnet. Im Deutschen Referenzkorpus (Archiv W) habe ich sieben Belege für Aktivisti gefunden, die allesamt aus der TAZ stammen und aus den Jahren 2020, bzw. 2021 datieren. Die sieben Beiträge haben allesamt mit der Klimaschutzbewegung zu tun, wie zwei der Beispiele belegen. Interessant an dem ersten Beispiel ist, dass die TAZ zwei Sexus-neutrale Formen nebeneinander verwendet: Aktivisti im ersten Satz und Aktivist:innen im dritten.

Auf einem davon, in etwa zwanzig Meter Höhe, steht Feda, einer der Aktivisti vor einer zweistöckigen Holzkonstruktion, an der er selbst mitgebaut hat. „Pfuschbau“ heißt das Baumhaus auf der alten Eiche. Unter ihm am Boden haben Aktivist:innen von Ende Gelände in weißen Maler:innen-Anzügen Barrikaden aus Baumstümpfen und Zweigen um das Barrio errichtet und Tripods aufgestellt. 

(T20/DEZ.00465 die tageszeitung, 07.12.2020, S. 8; Abschied)

Das Schicksal des vom Abriss bedrohten Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier ist weiter ungewiss. Laut Koalitionsvertrag sollen die Gerichte über die Zukunft des Dorfs entscheiden – was bei BewohnerInnen und Aktivisti auf Unverständnis stößt.

(T21/NOV.01661 die tageszeitung, 26.11.2021, S. 8; Lützerath in der Hand der Justiz)

Sucht man im Internet, finden sich weitere Belege für Aktivisti. Unter anderem kommtdas Wort in einem Bericht auf der Homepage des Goethe-Instituts in Belgien vor. Auch in diesem Artikel geht es um die Klimaschutzbewegung. Da die Pluralform Aktivisti meistens – oder immer? – im Klimaschutzkontext vorkommt, ist es naheliegend, dass die Form aus der Klimaschutzbewegung kommt. Aktivisti ist eine Form des Sprachgebrauchs, die sich jedoch bislang noch keine weitere Geltung verschaffen konnte. Auch in der TAZ, wie oben schon erwähnt, alterniert diese Form mit zum Beispiel Aktivist:innen. Es wäre interessant zu wissen, ob Aktivisti die einzige auf diese Weise gebildete Sexus-neutrale Pluralform ist. Es wird auperdem interessant sein zu sehen, ob sich diese Bildungsweise zu einem Muster entwickelt, das zur Bildung weiterer Sexus-neutraler Plurale dient.

Nachtrag (11.08.2022): Eine Pluralbildung mit –i gibt es für aus dem italienischen entlehnte Worte im Deutschen, zum Beispiel Tempo vs. Tempi. Ich bezweifel aber, dass der i-Plural in Analogie zur Pluralbildung entlehnter italienischer Worte entstand. Vieleicht ist hier eher der Umstand relevant, dass das -i im Deutschen sowieso vermehrt als Suffix auftrifft, etwa auch in Hambi und Lützi, zwei weitere Wörter aus der Klimaschutzbewegung.

Die CDU über die ‚Klimakrise‘

Antwort der CDU, warum sie von Klimawandel aber nicht von Klimakrise spricht.

Ich hatte vor einer Weile an die Pressestellen der NRW-CDU und NRD-FDP eine Emailanfrage zur Verwendung des Begriffs Klimawandel in ihrem Wahlprogramm zur NRW-Landtagswahl geschickt. Konkret habe ich gefragt, warum die Parteien den Begriff Klimawandel verwenden, den Begriff Klimakrise jedoch nicht (dazu auch mein Beitrag hier). Die FDP hat sich (bislang) nicht auf meine Anfrage gemeldet, die CDU hat mir aber dankenswerterweise geantwortet. Hier die Antwort des Wahlkampfleiters der NRW-CDU Thomas Breuer, der mir freundlicherweise erlaubte, dass ich die Antwort zitiere:

„Aktuell stehen wir in Deutschland und der Welt vor mehreren grundlegenden Herausforderungen. Manche Beobachter bezeichnen diese sehr unterschiedlichen Problemstellungen jeweils als „Krisen“ (Gas-Krise, Ukraine-Krise, Ampel-Krise etc.). Die größte dieser Herausforderungen ist der Klimawandel und die damit zusammenhängenden Auswirkungen. Ministerpräsident Wüst hat darauf schon in seiner ersten Regierungserklärung klar hingewiesen.

In unserem Wahlprogramm wollten wir deutlich machen, dass wir diese Herausforderung annehmen. Wir lösen Probleme und handeln. Dabei haben wir den Begriff „Krise“ bewusst vermieden, da Krisen üblicherweise zeitlich befristet sind – der Klimawandel hingegen nach heutigen Kenntnisstand eine langfristige Herausforderung für viele Generationen bleibt.“

Folgende Antwort Herrn Breuers lässt sich im Bezug auf die Frage, warum die CDU – anders als andere Parteien – nur von Klimawandel und nicht von Klimakrise spricht, verstehen:

„Diese semantischen Unterschiede bei der Benennung des Problems sind aber nachrangig. Es geht uns nicht um Begrifflichkeiten, sondern um effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel.“

Die Antwort zeigt, dass der Begriff Klimakrise bewusst vermieden wurde. Es überrascht nicht, aber Worte werden bewusst gewählt. Das Argument zur Vermeidung des Begriffs Krise ist, dass Krisen – üblicherweise – zeitlich befristet sind. Dies ist ein interessanter Punkt, den nicht alleine die CDU vorbringt, wie ich schon an anderer Stelle erwähnte. Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob wir Krisen sprachlich wirklich als zeitlich befristet konzeptualisieren. Im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) findet man einige Belege für sie Sequenzen unendliche Krise und endlose Krise. So findet man etwa folgenden Textbeleg aus der Nürnberger Zeitung von 2008: „Das Atomprogramm ist zur Krise geworden, aber für uns ist das iranische Hegemonialstreben eine endlose Krise.“ (NUZ08/NOV.00909 Nürnberger Zeitung, 11.11.2008, S. 4; Unruhe im Nahen Osten – Arabische Staaten besorgt über Irans Vormachtstreben).

Da Herr Breuer die erste Regierungserklärung von Hendrik Wüst erwähnt, habe ich auch einmal einen Blick in diese geworfen. Wüst spricht davon, dass viele Menschen den weltweiten Klimawandel als ‚akuten Notstand‘ wahrnehmen (Seite 6). Ansonsten werden noch ein paar Mal ‚Folgen des Klimawandels‘, die 2021 durch die Hochwasserkatastrophe zu spüren waren, erwähnt. Das DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) paraphrasiert Notstand als ‚gefahrdrohender Zustand, zu dessen Behebung außerordentliche Maßnahmen erforderlich sind und der juristisch ein Rechtfertigungsgrund für ein sonst nicht erlaubtes Verhalten ist‚. Wenn die CDU den Begriff Krise ablehnt, weil eine ‚Krise‘ zeitlich befristet ist, hätte Herr Wüst dann nicht auch auf den Begriff Notstand verzichten müssen? Oder ist ein ‚Notstand‘ nicht üblicherweise zeitlich befristet? Mit der zeitlichen Befristung, die als Argument angeführt wird, werde ich mir in nächster Zeit noch eingehender auseinandersetzen, denn wenn das Argument stichhaltig ist, würde es schon einen guten Grund gegen die Verwendung des Begriffs Klimakrise liefern.

An einer anderen Stelle möchte ich Herrn Breuer an einer Stelle deutlich widersprechen, es geht nicht nur um semantische Unterschiede bei der Benennung eines Problems. Dies ist kein rein sprachlich-akademisches Problem, da durch die (bewusste) Begriffswahl ein Teil unserer Sichtweise auf einen Sachverhalt aus. Hier aber schon einmal eine erste Literaturempfehlung zu dem Thema: George Lakoffs & Elisabeth Wehlings Buch ‚Auf leissen Sohlen ins Gehirn: Politische Sprache und ihre heimliche Macht‘ (Link zur Verlagsseite) ist ein sehr schön lesbares Buch, das aufzeigt, wie sprachliches Framing (politische) Weltanschauung repräsentiert und beeinflusst.