RWEs Selbstdarstellung darf nicht unwidersprochen bleiben
Wenn man in einer Internetsuchmaschine nach dem Begriff Rheinwassertransportleitung sucht, dann führt der erste Treffer auf eine Seite des Konzerns RWE. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass RWE verantwortlich für diese Leitung ist, die auf der Höhe von Dormagen dem Rhein Wasser entnehmen und in das rheinische Braunkohlerevier bringen soll. Mit dem Wasser sollen nach Beendigung der Abbaumaßnahmen die Tagebaurestlöcher geflutet werden. Dieses Mammutprojekt wird Jahrzehnte dauern und am Ende mehrere riesige Seen, die mehrere hundert Meter tief sein werden, erschaffen.
Das Wasser wird aber auch zur Stützung der Feuchtgebiete benötigt. Rund um den Tagebau muss das Grundwasser bis unter die tiefste Stelle des Tagebaus abgepumpt werden, da ansonsten der Boden instabil wäre und das Grundwasser auf die Hänge drücken und diese abrutschen lassen würde. Leider ist das Grundwasser ein zusammenhängendes System, sodass durch die Sümpfungsmaßnahmen, wie dieses Abpumpen des Grundwassers bezeichnet wird, 10% der Landesfläche von Nordrhein-Westfalen betroffen sind. Die Folgen sind dramatisch für die Feuchtgebiete und Fließgewässer, die durch das Absenken des Grundwasserspiegels ihren natürlichen Grundwasseranschluss verloren haben. Würde das abgepumpte Wasser nicht teilweise wieder als Stützwasser zurückgeführt werden, wären Feuchtgebiete und Fließgewässer nur vom Niederschlag und eingeleitetem (zum Beispiel geklärten) Wasser abhängig. Bei ausbleibendem Niederschlag, wie dieses Jahr, wäre dies für die Feuchtgebiete eine Katastrophe.
Ab 2030, wenn der Tagebau beendet wird, werden die Sümpfungsmaßnahmen nach und nach eingestellt. Das Grundwasser kann dann wieder langsam ansteigen, aber auch dies ist ein Prozess, der Jahrzehnte dauert. Das Zurückfahren der Sümpfungsmaßnahmen muss aber langsam gehen, damit das ansteigende Grundwasser die Tagebaulöcher nicht beschädigt. Der ansteigende Druck des Grundwassers würde die Hänge abrutschen lassen, wenn das Grundwasser über den Wasserspiegel der Tagebaurestlöcher steigt. Damit muss also erst einmal Wasser in die Löcher, bevor das Grundwasser wieder ansteigen kann.
Durch die sukzessive Einstellung der Sümpfungsmaßnahmen wird schließlich auch Sümpfungswasser fehlen, das den Feuchtgebieten zugeleitet werden kann. Es gibt somit zwei Gründe, warum die Rheinwassertransportleitung gebaut werden soll: Erstens, die Tagebaurestlöcher wären nicht anders zu füllen. Zweitens, die Feuchtgebiete bekämen nicht genug Stützwasser. Eine Alternative zur Rheinwassertransportleitung wäre es, dass man die Sümpfung einfach wie bisher laufen lässt. Die Konsequenz wäre, dass man die Feuchtgebiete immer stützen müsste und dass man zwei riesige Löcher in die Landschaft hat. Wie man es dreht und wendet, keine Lösung ist optimal. Leider gibt es die riesigen Tagebaulöcher und das fehlende Grundwasser und deshalb muss irgendwas geschehen. Aber um es noch einmal deutlich zu machen: beide Probleme – riesige Löcher in der Landschaft und abgesenkter Grundwasserspiegel – sind direkte Folgen des Braunkohleabbaus. Wäre keine Braunkohle abgebaut worden, wären diese Probleme nicht vorhanden.
Nun zurück zu der eingangs erwähnten Internetseite von RWE. Öffnet man diese Seite zeigen sich abwechselnd drei hübsche Fotos. Eines zeigt mehrere Menschen, die auf Surfbrettern auf einem See sitzen. Es suggeriert unter dem Titel „Wasser für die Tagebauseen“ das Bild eines tollen Badesees. Ein anderes Bild zeigt einen lebendig fließenden Bach und trägt die Aufschrift „Für den Schutz der Feuchtgebiete im Norden von Garzweiler wird ab 2030 die Zuleitung von Rheinwasser notwendig sein“. Stimmt schon, aber man erfährt leider nicht, warum die Feuchtgebiete geschützt werden müssen. Es gibt jedoch die Möglichkeit mehr über das Projekt zu erfahren. Wenn man dies möchte, dann öffnet sich ein schön gestaltetes PDF. Wer denn nun herausfinden möchte, warum die Feuchtgebiete geschützt werden müssen, wird nicht fündig. RWE erwähnt nicht keinem Wort, dass die Feuchtgebiete aufgrund der von RWE durchgeführten Sümpfungsmaßnahmen geschützt werden müssen. Aber man erfährt doch immerhin, dass RWE ja schon lange etwas für die Feuchtgebiete tut. Auf Seite 7 im Prospekt heißt es:
Während der Sümpfung wurden die Feuchtgebiete nördlich von Garzweiler, inklusive des ökologisch wertvollen Naturparks Schwalm-Nette, durch RWE Power über ein weitverzweigtes Pipelinenetz und zahlreiche Versickerungsanlagen sowie teilweise über eine direkte Einleitung von Ökowasser versorgt. Zukünftig wird das Rheinwasser wesentlich zum Erhalt dieser schützenswerten Feuchtgebiete beitragen.
Dass die Zuleitung von Ökowasser eine notwendige Folge der Sümpfung ist, schreibt RWE leider nicht. Was sich hinter dem Begriff Sümpfung verbirgt, wird nicht erläutert. Ich bin mir nicht sicher, dass das ein allgemeinverständlicher Begriff ist. Aber sei’s drum. RWE schreibt, dass sie die schützenswerten Feuchtgebiete mit Ökowasser versorgen, aber nicht, dass sie den schützenswerten Feuchtgebieten dieses Wasser ja auch erst einmal entzogen haben.
Sehr toll klingt der Begriff Ökowasser. Aber was soll Ökowasser sein? Durch die Verwendung des Begriffs Ökowasser suggeriert RWE, dass sie etwas besonders Wertvolles für die Feuchtgebiete tun. Ohne das Wasser wären die Feuchtgebiete schlecht dran, stimmt schon. Aber immerhin hat RWE es ihnen ja auch vorher weggenommen. Ein Überfall bleibt ein Überfall, auch wenn man nachher die gestohlene Beute teilweise zurückgibt.
Um es klar zu sagen, RWE betreibt greenwashing. Zusammenhänge werden nicht offen dargelegt, da sie eine negative Publicity für RWE wären. RWE müsste sonst so etwas sagen wie: Wir werden bis 2030 eine umstrittene Rheinwassertransportleitung durch ökologisch sensible Gebiete bauen, weil wir vorher den Feuchtgebieten das Grundwasser abgepumpt haben. Greenwashing ist auch der Begriff Ökowasser, da es lediglich eine Rückführung des vorher abgepumpten Grundwassers ist. Wer das Stützwasser als Ökowasser bezeichnet, müsste es bei dem Sümpfungswasser auch tun. Aber das wäre auch wieder schlechte Publicity, denn das Sümpfungswasser (aka Ökowasser) wird nicht nur für die Stützung der Feuchtgebiete verwendet, sondern auch: für die Berieselung der Tagebaufelder und die Kühlung der Braunkohlekraftwerke. Ökowasser als Kühlwasser im Braunkohlekraftwerk? Klingt ganz furchtbar und wird daher von RWE auch so nicht gesagt.
Die besagte Internetseite und das Prospekt sind Werbematerial, mit denen RWE für den Bau der Leitung werben will. Einerseits sollen die Menschen angesprochen werden, die durch den Bau direkt betroffen sind. Anderseits aber auch alle, die sich für das Thema interessieren. Verständlich, dass sich RWE positiv darstellen will. Das versucht RWE auch dadurch, dass die geplanten Tagebauseen als eine neue Perspektive für die Region verkauft werden. So heißt es auf Seite 27:
Rekultivierung der Braunkohlentagebaue ist ein ständiger und nachhaltiger Prozess. Abraum, der nicht zur Stromerzeugung genutzt werden kann, sorgt unmittelbar nach seinem Abbau dafür, dass die Rekultivierung auf der gegenüberliegenden Seite des Tagebaus beginnen bzw. fortgeführt werden und grüne sowie blühende Landschaften hervorbringen kann.
RWE verspricht blühende Landschaften. Ein solches Versprechen kennen wir aus der jüngeren deutschen Geschichte und was man davon halten kann, ist hinlänglich bekannt. Dass es schöne, blühende Landschaften geben soll, ist schön und gut, aber eigentlich hätten wir sie jetzt schon, wenn sie für den Tagebau nicht weggebaggert worden wären und für die Rheinwassertransportleitung nicht noch dem Bagger zum Opfer fallen würden.
RWE vermarktet die Rheinwasserleitung als ein tolles Rekultivierungsprojekt, das Landschaften blühen lässt, ein neues Naherholungsgebiet hervorbringt und die Feuchtgebiete schützt. Dabei geht RWE geflissentlich darüber hinweg, dass das eigene profitorientierte Handeln die Ursache für all dies ist.
Viele Fragen rund um die Rheinwassertransportleitung und die Tagebaurestseen sind noch ungeklärt. Welche Qualität wird das entnommene Rheinwasser haben? Wird es sich eignen, um damit Seen zu füllen? Oder werden die Tagebauseen, wie es etwa in der Lausitz passiert, lebensfeindliche, saure Gewässer? (Nachzulesen zum Beispiel beim Deutschlandfunk hier.) Wird das Rheinwasser so gefiltert werden können, dass es als Stützwasser in die Feuchtgebiete geleitet werden kann? Welche Auswirkungen hat die Einleitung von (wie auch immer gefiltertem) Rheinwasser auf das Ökosystem der Feuchtgebiete? Wird es überhaupt durchgängig genügend Wasser für die Entnahme aus dem Rhein geben? Zwar heißt es, dass die Fechtgebiete gegenüber den Tagebaurestlöchern Priorität bei niedrigen Pegelständen haben werden, aber ist denn klar, dass die Pegelstände auch immer für die Stützwasserentnahme ausreichen werden? (Dazu habe ich hier etwas geschrieben.) Wenn nicht, gibt es dann einen Alternativplan? Wie wirkt sich die Wasserentnahme bei Niedrigwasser auf das Ökosystem Rhein aus? Es wird zukünftig einen stärkeren Verteilkampf um die Wasserentnahme bei Niedrigwasser geben, wird die Rheinwassertransportleitung zu Lasten anderer Wasserentnehmer gehen? Welchen Folgen wird es haben, wenn sich See- und Grundwasser vermischen? Die Listen der Fragen lässt sich noch ergänzen, es ist aber klar, dass vieles noch absolut im Unklaren ist. Dies liegt unter anderem daran, dass nicht absehbar ist, wie sich der Rheinpegel in den Sommern in den nächsten 10, 20, 30 oder 60 Jahren entwickeln wird. Es scheint aber zumindest plausibel, dass ein Jahr wie dieses keine Ausnahme sein wird.
Die Selbstdarstellung von RWE kann nicht unwidersprochen stehengelassen werden. Es fehlt darin leider so einiges. Es fehlt Ehrlichkeit: so viele Fragen sind noch unklar, so viele Genehmigungen stehen noch aus. Es fehlt an Verantwortungsübernahme: die Rheinwassertransportleitung hat nur einen Zweck, die Schäden, die RWE durch den Braunkohletagebau verursacht hat, wegzuspülen. Es geht nicht um den Schutz der Feuchtgebiete, es geht darum, dass RWE die Feuchtgebiete künstlich am Tropf halten muss, da sie andernfalls durch RWEs Sümpfungsmaßnahmen schon längst nicht mehr existieren würden. Der Selbstdarstellung von RWE muss widersprochen werden, damit RWE nicht das Narrativ vom selbstlosen Schützer der Feuchtgebiete aufbauen kann. Es muss deutlich gesagt werden, dass RWEs Firmengewinne nur durch massive Eingriffe in die Natur, die diese nachhaltig schädigen, erzielt werden können. Die Rheinwassertransportleitung ist nur ein Werkzeug um die verursachten Schäden abzumildern, bzw. im Falle der Tagebaurestlöcher zu kaschieren. Die Rheinwassertransportleitung stellt einen weiteren nur teilweise kalkulieren Eingriff in die Natur dar, bedingt durch die noch massiveren Eingriffe, die der Braunkohletagebau und vor allem die Braunkohleverstromung vorher verursacht haben.
Bei RWEs Internetauftritt lohnt es sich genau hinzuschauen, was RWE sagt und was RWE verschweigt. Klar, dass RWE alle negativen Aspekte ausklammert. Aber diese sind nicht unwichtig, denn wir sollen den Schutz der – wie RWE selbst sagt – schützenswerten Feuchtgebiete denjenigen überlassen, wie erst dafür gesorgt haben, dass sie überhaupt geschützt werden müssen.
Ergänzung 27.08.2022: Eine lesenswerte Kritik an der Rheinwassertransportleitung hat der BUND verfasst, einmal hier und einmal hier. Lesenswert ist auch der Braunkohleplan Garzweiler II, der breits 1995 festlegte, dass eine Rheinwassertransportleitung zur Befüllung der Tagebauseen gebaut werden soll. Der Braunkohleplan wurde von der von Johannes Rau (SPD) geführten Regierung verabschiedet und spricht deutlich aus, dass der Braunkohletagebau erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und das Grundwasser haben wird. Die Folgen waren einkalkuliert, dennoch wurde das Projekt politisch bewilligt.