Archiv für den Monat: September 2022

Extremistische Vorboten

Von Fridays for Future zur grünen RAF?

Einige Menschen kleben sich auf Autobahnen fest, andere besetzen ein Kohlekraftwerk. Klimaaktivist*innen wollen nicht nur freitags auf die Straße gehen und demonstrieren, sondern ihren Anliegen durch verschiedene Protestformen, die darauf ausgelegt sind, das niemand verletzt wird, Öffentlichkeit zu verschaffen. Solche Protestformen gefallen nicht jedem, vor allem nicht denen, die mit den Zielen der Aktivist*innen nicht (vollkommen) übereinstimmen. Aber bedeutet dies, dass die Klimaschutzbewegung – oder zumindest Teile – sich radikalisieren? Gibt es Extremismustendenzen in der Bewegung? Ja, wenn man dem Regensburger Extremismusforscher Prof Dr. Straßner folgt.

Radikalisierungstendenzen?

Zuletzt wurde diese Äußerung in einem Artikel der Rheinischen Post am 21. September 2022 veröffentlicht. Dies ist aber nicht das erste Mal, dass sich Straßner so über die Klimaschutzbewegung äußert. Im Jahr 2019 gab es einen Meinungsbeitrag in der WELT zu diesem Thema. Aber der Reihe nach. Der Beitrag 2019 hatte den Titel: „Ein Hilfeschrei der Jugend? Eher ein Vorbote extremistischen Denkens“. Straßners zentraler Punkt ist, dass die Klimaschutzbewegung – namentlich kritisiert in Form von Luisa Neubauer und Greta Thunberg – einer „gleichsam religiösen Logik“ folge und abweichende Meinungen als „Häresie“ ansehen würden. In dem Artikel liest man: „Befeuert von Klimageografen, die mitunter eine kritische Distanz zu ihrem Forschungsfeld vermissen lassen, werden Wissenschaftler als Heilige betrachtet, solange sie die eigenen Standpunkte teilen“. Die Äußerung Straßners suggeriert, dass die genannten Klimaaktivistinnen – die womöglich stellvertretend für die Klimaschutzbewegung stehen sollen – selektiv vorgehen und nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse akzeptieren, die ihrer Meinung entsprechen. Dabei wird aber ignoriert, dass hier keine selektive Wahl wissenschaftlicher Positionen vorliegt, sondern die Klimaschutzbewegung – auch gerade die genannten Aktivistinnen – sich auf dem Boden der Wissenschaft bewegen und hinter sich eine absolute Mehrheit aller relevanten Wissenschaftler vereint. Hier liegt also keine religiöse Logik vor, es geht nicht um subjektiven Glauben. Es geht um eine Klimaschutzbewegung, die auf dem Boden des Konsens der modernen Wissenschaft steht.

In dem jüngeren Artikel, der in der RP erschien, geht Straßner noch einen Schritt weiter. „Die Bewegung trage in Teilen Züge einer Sekte und erhebe einen absoluten Wahrheitsanspruch“ zitiert die Rheinische Post Straßner. Wird der Klimabewegung Sektierertum vorgeworfen, dann muss derselbe Vorwurf auch der absoluten Mehrheit aller (relevanten) Wissenschaftler gemacht werden. Oder soll der Vorwurf nicht so allgemein gelten, sondern sich auf einzelne Aussagen oder Forderungen beziehen? Im Artikel wird das nicht deutlich, die Kritik ist sehr pauschal.

Erinnerungen an die RAF

In dem Artikel heißt es weiter, dass sich Straßner durch einige Aktionen – genannt werden Straßen- und Kraftwerkblockaden – an die erste Generation der Rote Armee Fraktion erinnert fühlt. Also: auf der einen Seite die RAF, auf der anderen Seite ‚Extinction Rebellion‘, ‚Ende Gelände‘ und ‚Letzte Generation‘ – die drei Gruppen werden namentlich genannt. Macht ein solcher Vergleich Sinn? Straßner müsste es wissen, denn als Extremismusforscher hat er sich intensiv mit der RAF beschäftigt. Bislang aber, wie ein Blick auf seine Homepage zeigt, fehlen noch wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Klimabewegung. Wie kommt Straßner also zu diesem Vergleich? So heißt es seitens Straßners in dem Artikel: „Die Aktivisten behaupten von sich selbst, für eine ganze Generation zu sprechen. So diskriminieren sie systematisch andere Meinungen, und auch das ist ein Kennzeichen einer Radikalisierung“.

Es gibt also, so Straßner, Anzeichen einer Radikalisierung. Grund: Diskriminierung anderer Meinungen und den Anspruch für eine ganze Generation zu sprechen. Für die Diskriminierung fehlen mir bislang noch die Belege? Ist es Diskriminierung, wenn unwissenschaftliche Positionen, also Positionen, die in der Wissenschaft nicht akzeptiert werden, abgelehnt werden?    

Der Vergleich zwischen der RAF und Klimaaktivisten ist, wie ich finde, sehr gewagt. Die RAF trat für eine politische Ideologie ein, die Klimaaktivisten für Klimaschutz. Im großen Unterschied zur RAF steht die Klimaschutzbewegung auf dem Boden der modernen Wissenschaft. Es geht also nicht um Ideologie oder einen vermeintlichen Wahrheitsanspruch, sondern um Behauptungen auf dem Boden der modernen, empirischen Wissenschaft, die auf einen enormen Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft stoßen.

Der RP-Artikel redet eine Entwicklung der Klimaschutzbewegung hin zu einer terroristischen Organisation bei. Zunächst wird ganz allgemein von Klimaaktivisten gesprochen, später einige Gruppen exemplarisch genannt. Es ist unklar, ob damit die gesamte Klimaschutzbewegung gebrandmarkt werden soll oder ob die terroristischen Tendenzen auf die drei genannten Gruppen beschränkt werden sollen. Vielleicht ist diese Unklarheit durchaus gewollt. Jedenfalls hoffe ich, dass sich Herr Straßner und die RP bewusst sind, dass alleine sein Titel und sein Forschungsschwerpunkt schon dafür sorgen, dass seinen Worten von einigen Menschen besondere Bedeutung beigemessen wird. Daher ist von jemandem, der sich als Extremismusforscher profiliert hat, zu erwarten, dass er nicht leichtfertig verkürzte Gleichsetzungen vornimmt, die (zumindest) Teile der Klimaschutzbewegung mit der ersten Generation der RAF gleichstellt. Dies ist eine Darstellung der Klimaschutzbewegung, die entweder eine Spaltung der Bewegung oder ihre Dämonisierung als Extremisten bewirken soll. Die RAF-Keule ist eine der stärksten rhetorischen Keulen, die in Deutschland zur Verfügung steht und zieht eine ganz Reihe negativer Assoziationen mit sich, die dadurch auf die Klimaschutzbewegung übertragen werden.

Die grüne RAF

Von einer grünen RAF sprechen einige andere Medien auch, zum Beispiel das RedaktionsNetzwerk Deutschland, und verweisen dabei auf Tadzio Müller, der in einem Spiegelinterview vor dem entstehen einer grünen RAF warnte. Man muss es deutlich sagen, er droht nicht damit, dass eine solche entstehen wird, sondern macht eine Aussage über das Frustrationspotential, das einige Klimaaktivist*innen haben und das sich als Folge eine solche Gruppe entwickeln könnte. Müller selbst spricht sich für zivilen Ungehorsam und die Störung von Betriebsmaschinen aus. Deutlich, das steht in eindeutigem Kontrast zur RAF, macht er aber klar, dass die Gefährdung von Menschenleben eine Grenze darstellt, zum Beispiel in einem Interview mit dem ZDF. „Völlig aufgehetzte und verblendete Klimaaktivisten, die in wahnhaften apokalyptischen Vorstellungen gefangen sind, könnten irgendwann diese Grenze überschreiten“, schreibt die Preußische Allgemeine. Groß wird auch hier gefragt, ob es zur Bildung einer grünen RAF komme. Klar, die Preußische Allgemeine ist eine Zeitung der Landsmannschaft Ostpreußen und eher im neurechten Spektrum zu verorten. Das Reden von einer grüne RAF passt hier natürlich gut ins Bild, da es die vermeindliche Gefahr, die von der Klimaschutzbewegung ausgeht, noch einmal schön betont.

Kann man auch anders über Radikalisierung sprechen?

Interessant ist, wie andere Medien die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung thematisieren. Die TAZ stellt 2021 unter der Überschrift „Radikalisierung der Klimabewegung“ etwa die Frage, ob nun die Zeit für mehr zivilen Ungehorsam gekommen sei. Ziviler Ungehorsam ist nicht gleichzusetzen mit Terrorismus. Im Deutschlandfunk hat sich ein anderer Politologe zur Radikalisierung der Klimaschutzbewegung geäußert. Man kann dort lesen, dass die Aktionen der ‚Letzten Generation‘ möglicherweise militante Minderheiten mobilisieren könnte. Er, das ist Michael Wehner (Universität Freiburg), hält radikale Gewaltakte – die man vielleicht eher mit der RAF in Verbindung bringen würde – für unwahrscheinlich. Gerade der letzte Beitrag zeigt, dass man auch kritisch mit den Aktionsmethoden der Klimaschutzbewegung umgehen kann, ohne auf ein negatives Framing zurückgreifen zu müssen.

Die Frage nach der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung kann und sollte gestellt werden. Denn wenn sich die Bewegung radikalisiert, wenn vielen alle halbe Jahr ein Klimastreik nicht mehr reicht, dann sagt dies etwas aus. Es sagt etwas darüber aus, dass Menschen der Meinung sind, die Schritte, in denen beim Klimaschutz vorangegangen wird, viel zu klein sind. Die Frage nach der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung kann und sollte also gestellt werden, aber ohne falsche Gleichsetzungen und Vorverurteilungen einer (bislang) absolut friedlichen Protestbewegung. Die TAZ macht in dem oben genannten Artikel einen guten und ausgewogenen Job, dabei berücksichtigt sie insbesondere Beweggründe für die Radikalisierung von Teilen der Klimaschutzbewegung. Aber vor allem spricht die TAZ nicht (implizit) von Terrorismus, sondern von zivilem Ungehorsam, was juristisch eine ganz andere Hausnummer ist.

Wir können über Radikalisierung sprechen, aber ohne zu dämonisieren

Wenn von einer Radikalisierung der Klimaschutzbewegung gesprochen wird, sollte dies – insbesondere auch von den Medien – mit Vorsicht getan werden. Es gibt sehr wichtige Nuancen in der Radikalisierung, Terrorismus, wie er mit dem Begriff einer grünen RAF assoziiert wird, ist ein Extrem, das man den Klimaschutzbewegung nicht leichtfertig unterstellen sollte. Für die Klimaschutzbewegung, die ja sehr heterogen ist, sollte klar sein, dass man dieses negativen Framing, das in rechten Kreisen gerne auch aufgegriffen wird, nicht unwidersprochen stehen lassen darf. Eine Pauschalkritik an der Klimaschutzbewegung und Vergleich mit der RAF, wie sie in der RP leider jüngst zu lesen waren, bewirken nur eines und zwar eine Dämonisierung einer friedlichen, globalen Bewegung.

Von Wissenschaftlern ist zu erwarten, dass sie ihre Extremismuswarnungen untermauern können, von Medien ist zu erwarten, dass sie sich ihrer Sprachwahl bewusst sind und klar verstehen, was es bewirkt, wenn sie groß titeln, dass ein Extremismusforscher „Parallele zwischen Klimaschützern und RAF“ sieht.

Zum Ende ein paar Worte an die RP

Liebe RP, gerne dürft ihr die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung thematisieren, das ist ja auch euer Auftrag. Aber bitte nehme Bezug auf belastbare wissenschaftliche Untersuchungen, bitte unterlasst Pausalurteile über eine heterogene Bewegung und bitte unterlasst eine Berichterstattung, deren einziges Ziel ist es, Ängste vor der Klimaschutzbewegung zu schüren. Wie ich auch schon einmal an anderer Stelle schrieb: Reden ist Silber, Schweigen ist Klimaschutz. Für das Weltklima wäre es besser gewesen, wenn ihr geschriegen und nicht dämonisiert hättet. Vor allem, liebe RP, beantwortet mir eine Frage: War der Veröffentlichungszeitpunkt des Artikels, zwei Tage vor dem Klimastreik, Zufall oder Kalkül?

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Wie die Rheinische Post für klimaschädliche Autos wirbt

In den 80er Jahren hatten meine Eltern die Westdeutsche Zeitung abonniert, mir war die Wochenendausgabe der Zeitung am liebsten. Diese Ausgabe war besonders dick und enthielt immer eine Witzseite, mit mal mehr und mal weniger gelungenen Witzen. Beim Suchen der Witzeseite habe ich meistens die Autoseiten gestreift, auf denen unter anderem die neuesten Kraftfahrzeuge vorgestellt wurden. Jetzt wurde mir ein Foto einer Seite der Rheinischen Post (vom 17.09.2022) zugeschickt, das mich gleich wieder in die 80er zurückversetzte. Unter der Überschrift Understatement aus Korea befindet sich das farbige Foto eines Autos und ein Text, der dieses Auto in höchsten Tönen lobt. Er geht dabei um einen Genesis, eine Automobilmarke, die zu Hyundai gehört. Das vorgestellte Auto – ein Genesis G80 – ist, wie es im Text heißt, „kein alltäglicher Wagen“. Das kann man alleine schon an den Werten, die zu dem Fahrzeug aufgelistet werden, erkennen:  304 PS, maximale Geschwindigkeit 250 km/h, Verbrauch 9,3 Liter und CO2-Ausstoß 205,4g/km. Das Umweltbundesamt berichtet, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß bei zugelassenen Neuwagen 2017 rund 118,5g/km betrug. Der vorgestellte Wagen liegt bei seinen Emissionen also jenseits des Durchschnitts.

Was schreibt denn die RP über diesen Wagen? Zum Beispiel folgendes: „Anonym und unerkannt vorbeifahren ist mit diesem Gefährt schwer möglich. Passanten drehen sich um und nickend anerkennend“. Das Urteil der RP ist deutlich, wer ein solches Fahrzeug fährt, der verdient Anerkennung. Nicht nur von den Redakteuren, auch die Passanten – vermutlich nicht alles Redakteure der RP – zollen dem Fahrer ihre Anerkennung für das Fahren dieses Fahrzeugs. Aber wofür denn genau? Dafür, dass man ein Luxusauto fährt? Dafür, dass man sich ein modernes koreanisches Statussymbol gegönnt hat? Ganz klar wird mir dies nicht, aber eines ist sicher. Anerkennung gibt es nicht für eine klimafreundliche Form der Fortbewegung.

Die RP versieht ihren Artikel mit dem Hinweis, dass der Redaktion der Wagen zu Testzwecken von Genesis zur Verfügung gestellt wurde. Der Artikel liest sich auch entsprechend wie eine Werbung für eine Luxuskarosse, die überteuert, übergroß, zu schnell und mit viel zu hoher Schadstoffemission daherkommt. Leider ist das nur meine Interpretation, denn die RP verhält sich dem Fahrzeug gegenüber vollkommen unkritisch. Muss ich kritischen Journalismus in einer solchen Art gesponsorter Berichterstattung erwarten? Nein, das wäre utopisch. Hätte die RP geschrieben: „Das Auto ist klimaschädlicher als der Durchschnitt der Autos“, wäre das für Genesis, die das Auto ja zu Testzwecken zur Verfügung stellten, ziemlich doof gewesen. Noch einmal hätte es bestimmt kein solches Testauto gegeben. Also, erwarten muss man nicht zu viel. Zugleich habe ich aber doch hohe Erwartungen. Ich erwarte, dass Zeitungen im Jahr 2022 realisiert haben, dass es wir gerade ein ganz ernstzunehmendes Problem haben: Klimawandel! Wir stecken mitten drin und eines der großen Themen, das im Zuge der Debatte rund um die Klimakrise dominant ist, ist, welchen Beitrag kann und muss der Verkehrssektor leisten. As große Stichwort ist hier: Mobilitätswende. Ich gestehe der RP gerne zu, dass sie das Thema Klimakrise nicht in jedem Artikel behandeln muss. Aber die Medien müssen ihre Verantwortung anerkennen und sich gut überlegen, ob ein Artikel, wie der über die Emissionsschleuder von Genesis, wirklich dieser Verantwortung gerecht wird.

Die Medien spielen eine zentrale Rolle darin, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Dies hat insbesondere damit zu tun, wie Medien – aber nicht nur diese – über die Welt sprechen, bzw. schreiben. Mit einem Artikel wie den über den Genesis G80 transportiert die RP eine bestimmte Wahrnehmung von Kraftfahrzeugen: das Fahren mit teuren, luxuriösen und klimaschädlichen Autos wird mit Prestige assoziiert. Das Fahrzeug wird dekontextualisiert präsentiert, es findet keine Einbettung in die wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen statt, wodurch der Artikel sehr deutlich in die Nähe von Werbung gerückt wird, die unter dem Deckmantel eines objektiven Tests verschleiert wird. Nicht einmal eine Kontextualisierung der Verbrauchswerte findet statt. So wird lediglich der CO2-Ausstoß des Fahrzeugs angeführt, einen Hinweis auf den Durchschnittswert der Neuzulassungen findet sich nicht. Die RP stellt also Auto, das klimaschädlicher als der Durchschnitt der zugelassenen Neuwagen ist, als Prestigeobjekt dar, um das der Fahrer von den Passanten bewundert wird. Durch dieses positive Framing werden die negativen Aspekte vollkommen ausgeblendet.

Durch das positive Autoframing wird die RP ihrer medialen Verantwortung nicht gerecht, genau das Gegenteil ist der Fall. Es gibt Medien, die gehen einen anderen Weg. Die Frankfurter Rundschau bündelt ihre Klimaberichterstattung und stellt diese dadurch fokussierter dar. Mehr als 500 Französische Journalisten haben eine Charta für Klimaberichterstattung unterzeichnet (hier ein Artikel des Spiegels zu dem Thema). Diese beinhaltet nicht nur die Klimaberichterstattung, sondern auch die Verringerung des eigenen CO2-Ausstoßes. Wichtig ist, dass nicht nur die Klimakrise in ihrem weltweiten und lokalen Kontext ausreichend thematisiert wird, es ist auch wichtig, dass kein positives Framing klimaschädlicher Technologie oder Energieträger vorgenommen wird. Manchmal gilt eben auch in den Medien: Reden ist Silber, Schweigen ist Klimaschutz.           

Anmerkung 19.09.2022: Der oben genannte Artikel aus der RP ist auch online lesbar, jedoch fehlen einige Angaben – etwa die Auflistung der Werte -, die sich in der Printversion des Artikels finden.

Leseempfehlung: Nicht zum ersten Mal [hier] möchte ich auf Elisabeth Wehlings Buch Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht hinweisen. In dem Buch arbeitet sie sehr gut verständlich die Grundlagen des politischen Frames aus und zeigt auf, wie sich Sprache auf unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit (oder unsere Konzeptualisierung der Welt) auswirkt.   

Erneuerbare Energien – Eine unzutreffende Bezeichnung für unbegrenzt zur Verfügung stehende Energieträger

Was muss bei ‚erneuerbaren Energien‘ eigentlich erneuert werden?

Der Satz Das Problem ist lösbar bedeutet, dass ein bestimmtes Problem gelöst werden kann. Wenn Wasser trinkbar ist, dann kann es getrunken werden. Es gibt noch viele weitere Adjektive, die mittels -bar von einem Verb angeleitet sind. Die Bedeutung ist immer grob als ‚das, was das Verb bedeutet, kann gemacht werden‘ (trinkbar = kann getrunken werden, essbar = kann gegessen werden, lösbar = kann gelöst werden). Durch das –bar wird, vereinfacht gesagt, die Möglichkeit eine Handlung auszuführen, ausgedrückt. Was bedeutet es aber dann, wenn wir von erneuerbaren Energien sprechen? Erneuerbare Energien müssten Energien sein, die erneuert werden können. Unter die sogenannten erneuerbaren Energien fallen Solarstrom, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme.

Laut dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache bedeutet erneuern: ‚etwas Altes durch etwas Neues auswechseln, neu werden‘. Der Duden führt ein paar weitere, damit verwandte Bedeutungen an: ‚Altes/ Verbrauchtes gegen Neues auswechseln‘, ‚wiederherstellen‘, ’neu werden/ neue Kraft gewinnen‘ oder ’neu beleben‘. Wir können erneuern also ganz grob verstehen als ein Prozess, bei dem etwas Altes, bzw. Verbrauchtes durch etwas Neues ersetzt wird. Ein solcher Prozess hat zwei Akteure: den, der erneuert und das, was erneuert wird.

Wenn wir über essen reden, dann gibt es auch zwei Akteure: den, der isst und das, was gegessen wird. Mit essbar bezeichnen wir eine Eigenschaft dessen, was gegessen wird. Ebenso bezieht sich erneuerbar auf eine Eigenschaft dessen, was erneuert werden kann. Somit ist eine erneuerbare Energie eine Energie, die erneuert werden kann. Aber wer erneuert diese Energien? Gibt es jemanden, der Windkraft, Sonnenenergie oder Erdwärme erneuert? Daran schließt die Frage an, ob Windkraft, Sonnenenergie und Erdwärme überhaupt erneuert werden müssen? Bevor ich darauf antworte, will ich erst einmal einen kurzen Blick darauf werfen, mit welchen Nomen erneuerbar zusammen verwendet wird.

Sucht man im Deutschen Referenzkorpus DeReKo (Archiv W) nach ‚erneuerbar‘, gibt es deutlich fast 200000 Treffer. Schaut man sich von diesen eine Zufallsauswahl von 100 Treffern an, dann dominiert erneuerbar in Kombination mit Energie (88x). Insgesamt wird erneuerbar vor allem im Energiekontext verwendet, andere Nomen, die aus diesem Kontext vorkommen, sind: Energiequelle (1x), Energieträger (3x), Quelle (5x, verwendet im Sinne von Energiequelle), Strom (1x). Das Nomen Ressource tritt ebenfalls auf, aber auch hier im Energiekontext. Als letztes Nomen kommt Technologie noch einmal vor, aber auch im Kontext der erneuerbaren Energien. Im aktuellen Gebrauch scheint erneuerbar sehr stark auf den Energiekontext bezogen zu sein.

Die Bezeichnung Erneuerbare Energien wird häufig im Kontrast zu fossilen Energien gebraucht, wie der Kohle- und Gasverstromung. Auch wenn der Zeitraum, der zur Bildung von Kohle gebraucht wird, sehr lang ist, kann man Kohle doch als ‚erneuerbar‘ (im strikten Sinne des Wortes) bezeichnen. Würde man die relevanten Prozesse ungehindert laufen lassen, dann würde sich (über lange Zeiträume hinweg) wieder Kohle bilden. Das ist aber gerade nicht, was mit erneuerbar im Zusammenhang mit Energie gemeint ist. Vielleicht steht erneuerbar dafür, dass etwas wiederholt nutzbar ist, ohne dass es erneuert werden muss. Bei der Nutzung von Windkraft wird der Wind nicht verbraucht, er wird genutzt. Der Wind treibt ein Windrad an und weht danach unbeirrt weiter. Das Antreiben des Windrades braucht den Wind nicht auf. Vielmehr kann ein und derselbe Wind – was auch immer Identitätskriterien für Wind seien mögen – wieder und wieder genutzt werden, jedenfalls solange er weht. Dadurch können zahlreiche Windräder angetrieben werden.

Es gibt also anscheinend zwei Verwendungen des Begriffs erneuerbar. Einmal kann es, wie in dem Beispiel in (1) unten, bedeuten, dass etwas erneuert werden kann. Das ist die Bedeutung, die sich ganz regulär auf Grundlage unseres Verständnisses von bar-Ableitungen ergibt. Dann, wie im Kontext der Energiedebatte, kann es bedeuten, dass etwas gar nicht erneuert werden muss, da es nicht verbraucht wird. Beide Bedeutungen finden sich auch im DWDS für erneuerbar: (i) so beschaffen, das man es erneuern kann und (ii) nachwachsend, sich erneuernd, unbegrenzt zur Verfügung stehend. [Unbegrenzt zur Verfügung stehen bedeutet nicht, dass der Energieträger zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort zur Energieerzeugung verwendet werden kann, sondern nur, dass er nicht aufgebraucht wird.] Für die zweite Verwendung gibt das DWDS an, dass sie in fachsprachlichen Kontexten (Technik, Energiewirtschaft) vorkommt. Aber auch das DWDS ist nicht ganz sicher, wie erneuerbar in diesem Kontext zu verstehen ist, denn ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ wird nur als ein Aspekt der Bedeutung aufgelistet. Damit hat erneuerbar zwei gegensätzliche Bedeutungen, was, zumindest nach meinem Verständnis, die Interpretation des Ausdrucks erneuerbare Energie nicht leicht macht.

(1) Ein Hohlraum in der Mitte unserer geschmierten Kegelventile enthält ein Dichtmittel, das sich in Richtung der radialen Löcher bewegt und beim Betrieb eine erneuerbare Dichtung zwischen Kegel und Gehäuse erzeugt. 

(https://de.dombor.com/product-item/lubricated-plug-valves-collection/)

Um es noch einmal deutlich zu machen: Problematisch an dem Ausdruck erneuerbare Energie ist, dass erneuerbar erst einmal suggeriert, dass etwas überhaupt erneuert werden müsste. Dass es ein technisches Verständnis von erneuerbar im Sinne von ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ gibt, ist nicht immer unmittelbar evident. Wäre ein passender Begriff im Rahmen einer Marketingkampagne gesucht worden, hätten die erneuerbaren Energien vielleicht eine andere Bezeichnung bekommen. Vielleicht wäre eine treffendere und direkter zu verstehende Bezeichnung gewählt worden: ‚unbegrenzt verfügbare Energien‘ oder ‚Energien, die nicht erneuert werden müssen‘?

Elisabeth Wehling geht in ihrem Buch Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht auch auf den Ausdruck erneuerbare Energie ein. In ihrem Buch beschreibt sie, wie Sprache sich auf unser Denken über bestimmte Themen auswirkt. Meine obige Auseinandersetzung mit demBegriff erneuerbar setzt auf Wehlings Diskussion dieses Begriffs auf. Sie hat bereits dieselben Argumente vorgebracht und schreibt: „Das Wort ‚erneuerbar‘ macht die Nutzung unerschöpflicher Energiequellen in unseren Köpfen anstrengend. Und es impliziert zugleich, dass Wasser, Sonne, Erdwärme und Wind verschleißen, indem wir ihre Energie nutzen. Denn was erneuert werden muss, ist vorher abgenutzt worden.“ (S. 189) Durch die Bezeichnung erneuerbar werden (schnell) falsche Vorstellungen geweckt. Und vermutlich sind diese falschen Assoziationen auch der Grund, warum im DWDS ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ als nicht wirklich transparente Bedeutung für erneuerbar aufgeführt ist, denn immerhin sind Sonne, Wind und Wasser im eigentlichen Sinne keine erneuerungsbedürftigen Energieträger.

Und die Konsequenz? Der Ausdruck erneuerbare Energie ist im Sprachgebrauch fest verankert und wäre sicherlich nicht leicht durch einen anderen Begriff zu ersetzen. Nötig wäre dies auch nur, wenn es durch die Verwendung des Begriffs erneuerbare Energie zu Konfusion und Missverständnissen in der (öffentlichen) Debatte über Wind-, Sonnen-, Wasserkraftenergie kommt. Ob dies so ist, muss erst noch untersucht werden, zumindest sind wir diesbezüglich keine Arbeiten bekannt. Zumindest zeigen Tweets wie der von Hubert Aiwanger, dass erneuerbar Energie durchaus auch im Sinne von ’nachwachsender Energieträger‘ verstanden werden kann. Aber es ist klar, dass Holz genauso wenig eine unbegrenzt zur Verfügung stehende Ressource ist wie Kohle oder Gas. Das Beispiel zeigt schön, dass die Begriffe nicht ’neutral‘ sind, sondern, wie auch Wehling es schreibt, immer einer Perspektivierung mit sich bringen. Erneuerbar bringt (häufig) eine Perspektivierung mit sich, die für Energieträger wie Wasser, Sonne oder Wind unpassend ist.  

Nachtrag 17.09.2022: Holz ist in nachwachsender Energieträger, der aber nur begrenzt zur Verfügung steht. Ohne Aufforstung, kein (ausreichend) neues Holz. Mit der Frage, ob Holz als Energieträger eine Alternative zu Öl, Gas oder Kohle ist, befasst sich der BR schön übersichtlich auf dieser Seite.

Lektüreempfehlung: Elisabeth Wehlings Buch Politisches Framing ist eine leicht verständliche Einführung in die Thematik der politischen/ öffentlichen Sprache und macht sehr schön deutlich, warum es nicht egal ist, wie wir über bestimmte Themen (z.B. die Klimakrise) sprechen, sondern warum unser Sprechen Auswirkung auf unsere Wahrnehmung von und damit Einstellung gegenüber dieser Thematik haben. Das Buch ist zwar schon ein paar Jahre alt und könnte problemlos aktualisiert werden, weniger lesenswert ist es dadurch aber nicht.

Fünf Dörfer am Tagebau Garzweiler gerettet

Die Presse erklärt Dörfer als gerettet, obwohl sie es noch nicht sind. Und was soll es eigentlich heißen, dass ein Dorf gerettet ist?

Für den Rheinischen Braunkohletagebau mussten bereits einige Dörfer weichen, aktuell sind vor allem die Bemühungen zur Rettung von Lützerath bekannt. Lützerath, das zum sogenannten zweiten Umsiedlungsabschnitt gehört, steht eventuell kurz davor abgebaggert zu werden. Die letzten Grundstücke sind Anfang September 2022 in den Besitz von RWE übergegangen. Neben Lützerath droht aber noch weiteren zu Erkelenz gehörenden Dörfern der Abriss. Dies sind die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts. Die Namen der Ortschaften, die wahrscheinlich Wenige kennen, sind Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath. Ob diese Dörfer aber wirklich abgebaggert werden, ist gar nicht so klar. Mehrere Medien haben dieses und letztes Jahr davon berichtet, dass die Dörfer gerettet seien.  Die Rheinische Post hat die Rettung der Dörfer im November 2021 verlauten lassen. Das Heinsberg-Magazin titelte im selben Monat genauso. Die NRZ schrieb im Januar 2021, dass die Braunkohledörfer gerettet seien und das Leben in sie zurückkehren soll. Andere, bzw. dieselben Medien sind (manchmal) vorsichtiger und sprechen von der Rettung der Dörfer nur als einer Absicht und nicht als ein Fakt. Beispielsweise schrieb die NRZ im Dezember 2021, dass die Dörfer gerettet werden soll. Die Rettung wird als Absicht und nicht als Fakt dargestellt. Damit bietet die Zeitung eine andere Darstellung als noch rund 12 Monate zurvor. Zuletzt schrieb die Rheinische Post am 23. Juni 2022 sehr optimistisch: „Schwarz-Grün rettet Erkelenzer Tagebaudörfer“.  Darin findet man den Satz: „Damit haben die Bewohnerinnen und Bewohner der fünf Dörfer nun endlich Gewissheit, wie es mit ihnen beziehungsweise mit ihrer Heimat weitergeht“.

Die Rheinische Post erweist sich als zu voreilig. Die Stadt Erkelenz hat auf schriftliche Nachfrage bestätigt, dass es bislang noch keine rechtliche Vereinbarung gibt, gemäß der die Dörfer von RWE nicht abgebaggert werden würden. Die zukünftigen Tagebaugrenzen, so die Stadt, sind noch nicht fixiert. In der ‚Leitentscheidung Braunkohle – Neue Perspektiven für das Rheinische Revier‘ , herausgegeben vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, hieß es am 23. März 2021 noch, dass die Umsiedlungen bis 2028 abgeschlossen sein sollen.

Worauf gründet dann die frohe Botschaft der Rheinische Post? Erst einmal nur auf einer Absichtserklärung, die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung zu finden ist. Dort heißt es, dass alle Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts erhalten bleiben sollen. Dies ist aber bislang nur eine Absichtserklärung, noch gibt es keine Einigung mit RWE bezüglich des Erhalts der Dörfer. ‚Gewissheit‘, wie die Rheinische Post schreibt, können die Menschen in den Dörfern noch nicht haben. Aber Hoffnung!

In aller Voreiligkeit hat die Rheinische Post einen wesentlich Punkt benannt: Die Rettung der Dörfer wird eine Rettung für die Landfläche sein – also den Grund und Boden – , nicht aber eine Rettung für die dörfliche Infrastruktur, das dörfliche Leben, eben das, was eine ‚Landfläche‘ zu einem Dorf macht.

Die Umsiedlung der Dörfer des Umsiedlungsabschnitts begann im Dezember 2016. Laut der oben so genannten Leitentscheidung Braunkohle hatten sich bis zum 31. Januar 2021 „bereits rd. 86 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner mit der Bergbautreibenden über den Verkauf des Grundeigentums geeinigt“ (S. 33) und 61% der Einwohner hatten bis dahin die Altorte bereits verlassen. Zu Beginn der Umsiedlungsmaßnahmen 2016 lebten laut Wikipedia 830 Personen in Keyenberg. Der Bevölkerungshöchststand lag bei 882 Personen im Jahr 2008. Für Dezember 2020 führt die Internetseite der Stadt Erkelenz nur noch 265 Bewohner an. Im Zuge der Umsiedlungsmaßnahmen sind schon zahlreiche Bewohner aus Keyenberg, dessen Umsiedlung 2023 als erstes abgeschlossen sein soll, weggezogen. Das Aktionsbündnis ‚Alle Dörfer bleiben‚ teilte mir auf Anfrage mit, dass momentan noch rund 120 Menschen in Keyenberg wohnen, hinzu kommen dort untergebrachte Geflüchtete aus der Ukraine und Mitarbeiter von RWE. Die Geflüchteten sowie die RWE-Mitarbeiter sind dort wohl nur vorübergehend untergebracht, die anderen 120 Menschen werden eventuell bleiben können, wenn sie noch nicht an RWE verkauft haben. Da bislang nicht mehr als eine Absichtsbekundung zur Rettung der Dörfer besteht, geht der Umsiedlungsprozess, wie mir die Stadt Erkelenz mitteilte, momentan auch noch weiter.

Bis es eine politische Entscheidung und schließlich eine Einigung mit RWE gibt, werden die Umsiedlungen wohl noch fortgesetzt werden. Was bleibt den Menschen, die bereits verkauft haben, also übrig? Die Aussicht auf den Erhalt der Dörfer nimmt aber den Druck zu verkaufen, oder? Vielleicht, aber die Zukunft der Orte ist alles andere als klar. Wenn bereits Anfang 2021 86% der Einwohner an RWE verkauft hatten, dann besitzt RWE bereits einen Großteil der Gebäude. Ein Rückkaufsrecht haben die Menschen nicht. Bislang sind keine Pläne bekannt, was aus den Dörfern werden soll, wenn das Land nicht abgebaggert wird. Plant RWE eine Wiederbelebung der Ortschaften? Wenn ja, wie soll das aussehen? Lässt RWE zu, dass die Orte durch ihre Bewohner wiederbelebt werden? Gegen den Willen von RWE wird wenig laufen können, da RWE das Meiste aufgekauft hat. Sicherlich wird über die weitere Zukunft der Dörfer zwischen RWE und der Landesregierung verhandelt werden.

Kann man nun sagen, dass die Dörfer gerettet sind? Einerseits ist noch nichts in trockenen Tüchern. Noch liegen die Dörfer im geplanten Abbaugebiet. Anderseits scheint es eine Perspektive zum Erhalt der Dörfer zu geben. Aber was wird es bedeuten, wenn man in Dörfern lebt, von denen 86% der Einwohner ihr Eigentum bereits verkauft haben? Die Menschen, die jetzt noch da leben, wissen bereits, wie es ist, wenn man so lebt. Die Frage die für mich stellt ist, ob die Menschen, die bleiben können, auch sagen würden, dass die Dörfer gerettet sind. Oder ist, wie die Rheinische Post schreibt, nur die Landfläche gerettet? Möglicherweise ist die Aussage, dass die Dörfer gerettet sind (oder sein werden), also etwas euphemistisch. Aber das müssen die betroffenen Bewohner – die noch da sind und die, die bereits umgesiedelt sind –  entscheiden.

RWE wirbt damit, dass die Tagebaurestlöcher zu einem Naherholungsgebiet entwickelt werden sollen (darüber habe ich hier geschrieben). Die Löcher sollen mit Rheinwasser geflutet werden, so will es der 1995 verabschiedete Braunkohlenplan Garzweiler II. In schicken Broschüren wirbt RWE schon mit Bildern von Segelbooten, die ein zukünftiges Freizeitvergnügen im ehemaligen Tagebau suggerieren. Die Verfüllung der Tagebaurestlöcher wird, wenn es denn alles klappen wird, noch Jahrzehnte dauern. Aber RWE ist schon jetzt im Gebiet vieler Grundstücke, die sich in der Nähe der zukünftigen Seen befinden. Wer weiß, welche Entwicklungsideen bereits vorhanden sind? Ferienparks? Hotel? Eigenheime in Seenähe? So oder so, wenn dort wirklich ein Naherholungsgebiet entstehen wird, dürfte der Grundstückswert beträchtlich – vor allem im Vergleich zu jetzt – steigen.

In den Dörfern gibt es aber auch ehemalige Kirchen, die mittlerweile nicht mehr genutzt werden und unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Vor allem letztere dürften, wenn die Dörfer nicht abgebaggert werden, nicht so einfach abgerissen werden. Es wird interessant sein zu sehen, wie RWE mit diesen Gebäuden verfahren wird.  

Zurück zum Anfang: Liest man die eingangs erwähnten Zeitungsberichte unkritisch – oder vielleicht auch nur ihre Überschriften – , wird der Eindruck erweckt, dass die Menschen in den vom Tagebau bedrohten Dörfern einen Sieg errungen haben. Noch ist es aber kein Fakt, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden. Und selbst wenn, die Umsiedlungen laufen schon seit Jahren. Viele Menschen haben ihr Zuhause bereits an RWE verkauft und die, die es noch nicht getan haben, leben in den Resten von Dörfern, deren Zukunft alles andere als entschieden ist. Die Frage ist also: was wird eigentlich gerettet sein, wenn denn mal beschlossen wird, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden. Für das Klima wird es gut sein, wenn die Kohle im Boden bleibt, aber ein Dorf ist mehr als Boden und Landfläche. Was bleibt wirklich von den Dörfern?

Mir kommt an dieser Stelle die Redewendung Die Kirche im Dorf lassen in den Kopf. Damit ist gemeint, dass man einen Sachverhalt ruhig bewertet und nicht übertreibt. Sicherlich kann man sagen: Lass doch mal die Kirche im Dorf, die Absicht zur Rettung der Tagebaudörfer ist im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, also werden die schon gerettet. Aber das Sprichwort trifft es sehr genau, denn die Kirchen wurden nicht in den Dörfern gelassen. RWE hat die Kirche in Keyenberg 2019 gekauft. Als Kirche hat sie damit keine Funktion mehr, als Gebäude droht ihr der Abriss.

Ergänzung (11.09.2022): Wie ich eingangs schrieb, werden die Tagebaudörfer in einigen Medien als ‚gerettet‘ bezeichnet. Unabhängig davon, ob nur Dörfer oder nur die Landfläche gerettet wird, die Berichterstattung stellt die Rettung als einen Fakt dar. Soweit ist es aber noch nicht. Das Problem, das von einer solchen Darstellung ausgeht, ist, dass sich in den Köpfen der Leser*innen festsetzt: ‚Alles in Ordnung, die Dörfer sind gerettet‘. Das Ziel, das einige Menschen eventuell haben, die Rettung der Dörfer, scheint damit erreicht zu sein. Die Situation ist vergleichbar mit der einer Marathonläuferin, die aufhört zu laufen, sobald sie die Ziellinie sieht. Das Ziel ist erst mit Überquerung der Linie erreicht und die Dörfer sind erst gerettet, wenn es eine neue Leitentscheidung gibt, die rechtsverbindlich festlegt, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden!

Literaturtipp: Wer sich dem Thema Tagebaudörfer literarisch nähern will, kann einmal zu Ingrid Bachérs Roman „Die Grube“ greifen, der das Thema sehr anschaulich und gut lesbar behandelt.

Danksagung: Ich möchte mich gerne bei der Stadt Erkelenz und dem Aktionsbündnis ‚Alle Dörfer bleiben‘ für die schnelle und ausführliche Beantwortung meiner Fragen bedanken.