Generisches Maskulinum: Was ist das? – Teil 2

Wie kann ‚Schüler‘ auch ‚männlicher Schüler‘ bedeuten?

In letzter Zeit habe ich viele Diskussionen mit „Genderkritikern“ – also Menschen, die die Verwendung geschlechtergerechte Sprache ablehnen – geführt. Gerne wurden mit dann mehr oder weniger linguistische Argumente um die Ohren gehauen, die sich meistens wiederholten.

Das erste Argument, das ich in der Regel zu hören bekam, war: Aber maskuline Formen sind generisch. Dahinter steckt die Annahme eines ‚generischen Maskulinums‘. Damit habe ich mich an anderer Stelle ausführlich auseinandergesetzt. Jedenfalls ist die Idee, dass Schüler nicht ‚männlicher Schüler‘ bedeute. Vielmehr sei es eine geschlechtsneutrale Form – ‚generisch‘ –, die auf Personen jeglichen Geschlechts Bezug nehmen könne.  

Dem muss nicht widersprochen werden, denn in seiner Ausdrucksbedeutung ist Schüler nicht auf ein spezifisches Geschlecht seines Referenten – desjenigen, auf den es sich in der Welt bezieht – beschränkt. Auf Ebene der Äußerungsbedeutung – was bedeutet das Wort als Bestandteil einer konkreten Äußerung? – ist dies aber anders. Dann kann Schüler durchaus als ‚männlicher Schüler‘ interpretiert werden.

Oftmals habe ich zu hören bekommen, dass Schüler gar nicht ‚männlicher Schüler‘ bedeuten kann, denn sonst könnte mensch ja nicht sinnvoll eine Form wie Schülerin bilden. Schülerin bedeutet ganz klar ‚weiblicher Schüler‘. Würde Schüler ‚männlicher Schüler‘ bedeuten, so die Argumentation, dann müsste Schülerin somit ‚weiblicher männlicher Schüler‘ bedeuten. Klar, das tut es nicht. Aber die ganze Geschichte ist dann doch noch ein wenig genauer zu beschreiben.

Schüler ist ein konzeptuell unterspezifiziertes Nomen, es bedeutet – vereinfacht – ‚Person, die Schüler ist’‘‘. Das Nomen selbst legt nicht fest, wie oben schon ausgeführt, ob der Referent männlich, weiblich oder divers ist. Soweit stimmt dies mit der Story der Genderkritiker überein. Nun aber das große ABER: ein Schüler ist eine Person und wir haben als kompetente Sprachnutzer Wissen über Personen. Laut dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache ist eine Person u.a. ein ‚menschliches Wesen‘. Über Menschen wissen wir eine ganze Menge, zum Beispiel, dass sie eine bestimmte Größe, ein Gewicht, eine Augenfarbe, einen bestimmten Körperaufbau und so weiter haben. Wir wissen aber auch, dass Menschen ein Geschlecht haben. Können wir uns einen Menschen ohne Geschlecht denken? Also einen Menschen, der keinem der Geschlechter angehört? Vielleicht ja, aber das ist eine ungeheure Abstraktion. Damit ist auch klar, dass es solche Menschen jenseits aller Geschlechtskategorien nicht gibt. Reden wir über Menschen, dann reden wir über konkrete Personen und konkrete Personen haben ein Geschlecht.

In einem spezifischen Äußerungskontext muss ein Nomen interpretiert werden. Wird ein Nomen referentiell gebraucht – also so, dass es auf etwas in der Welt verweist –, dann nehmen wir an, dass es einen Referenten gibt. Damit inferieren wir ein Geschlecht. In einer konkreten Verwendung wird Schüler wird damit geschlechtsspezifisch interpretiert. Wir können annehmen, dass der Eigenschaft ‚Geschlecht‘ ein Wert zugewiesen wird. Wenn es keine sprachlichen Indikatoren (z.B. das Suffix -in oder ein Adjektiv wie männlich) gibt, müssen wir das Geschlecht erschließen. Dazu habe ich mehr an anderer Stelle geschrieben.

Es ist also möglich, dass das Nomen Schüler in seiner Ausdrucksbedeutung nicht auf ein Geschlecht festgelegt ist, aber dennoch als ‚männlicher Schüler‘ interpretiert werden kann. Und dabei entstehen nicht einmal Probleme für die Wortbildung, sodass Schülerin in diesem Modell nicht ‚weiblicher männlicher Schüler‘ bedeutet (und auch nicht bedeuten kann).

Gibt es denn nun gar keine geschlechtsunspezifischen Verwendungen? Am ehesten kommt einer geschlechtsunspezifischen Verwendung eine generische Verwendung nahe. In einer generischen Verwendung referiert ein Nomen nicht auf konkrete Individuen, sondern bezeichnet eine Klasse. Wir sehen den Unterschied zwischen Der Schüler kam heute wieder zu spät [ein konkreter, im Kontext spezifizierter Schüler] und Ein Schüler braucht immer ein gutes Frühstück. Im zweiten Satz geht es nicht um einen konkreten Schüler. Hier haben wir eine generische Verwendung, die wir aber auch mit der Form Schülerin hinbekommen (Eine Schülerin braucht immer ein gutes Frühstück). In einer generischen Verwendung bezieht sich Schülerin zwar nur auf die Klasse der Schülerinnen, aber das ist irrelevant.

Unter ‚generisch‘ ist also eine spezifische Verwendung von Nomen zu verstehen. Die meisten – vielleicht alle? – Nomen können generisch gebraucht werden. Das hat nichts mit ihrem Genus zu tun. Und viele Nomen können konzeptuell unterspezifiziert sein. Die Unterspezifikation muss nicht immer das Geschlecht betreffen, aber in einigen Fällen tritt dies auch bei Feminina auf, etwa die berühmte Leiche, die ja nicht immer weiblich sein muss. Auch damit haben die Genderkritiker Recht, denn das Nomen Leiche ist auch konzeptuell unterspezifiziert bezüglich des Geschlechts. Aber, wie Schüler,verlangt das Nomen eine Auflösung der Unterspezifikation, wenn es in einem konkreten referentiellen Äußerungskontext verwendet wird.

Für die Verwendung geschlechtergerechter Sprache spricht also nicht, dass Nomen wie Schüler sich nur auf männliche Referenten beziehen würden. Es liegt also keine semantische Motivation vor. Für die Verwendung geschlechtergerechter Sprache spricht, dass in ausreichend vielen Fällen maskuline Nomen (mit menschlichen Referenten) als ‚männlich‘ interpretiert werden. Die Motivation ist also, linguistisch gesprochen, auf der Ebene der Pragmatik – also der Sprachverwendung – angesiedelt. Dementsprechend gäbe es eine Alternative zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache: gäbe es keinen Anlass maskuline Formen als tendenziell männlich zu interpretieren, dann wären sie in ihrer Verwendung auch eher als geschlechtsneutral zu verstehen. Das hieße aber, dass die Geschlechterstereotype, die wir in unseren Köpfen haben (und die ein Spiegel der Gesellschaft sind), verschwinden oder durch neue ersetzt werden müssten. Geschlechtergerechte Sprache könnte ein Weg sein, diese Geschlechterstereotype, die die Interpretation von Äußerungen beeinflussen, zu verändern. Aber wichtig ist auch, dass es einen entsprechenden gesellschaftlichen Wandel gibt. Geschlechtergerechte Sprache kann ein Anstoß für den nötigen gesellschaftlichen Wandel bieten und sollte deshalb nicht regulativen staatlichen Eingriffen und ideologisch motivierten Attacken von rechts unterlegen sein.       

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