Archiv für den Monat: Dezember 2022

Kann man kommunizieren, obwohl jemand gendert?

Über misslungene Argumente zu gelungener Kommunikation

Der VDS – in ausgeschriebener Form ‚Verein für deutsche Sprache‘ – setzt sich sprachpflegerisch für die deutsche Sprache ein. Ein zentrales Anliegen des Vereins ist der Kampf gegen das Gendern. Unter anderem bietet der Verein eine Argumentationshilfe ‚Zwanzig Argumente gegen das Gendern‚ an, auf die ich an anderer Stelle bereits kritisch eingegangen bin. Diesmal möchte ich mir ein weiteres ‚Argument‘ vornehmen und zwar Nummer 7 der Liste:

Gendern ist dysfunktional. Es ist eine Form der misslungenen Kommunikation. Sätze werden mit irrelevanten Informationen überfrachtet. Gendern verliert durch die Fixierung auf den Aspekt Geschlecht die Kernaussage aus dem Blick.

Es lohnt sich genauer auf das ‚Argument‘ einzugehen:

  • Gendern ist eine dysfunktionale Verwendung von Sprache, bei der die Kommunikation misslungen ist.
  • Sätze werden mit irrelevanten Informationen überfrachtet.
  • Durch Gendern verlieren wir die Kernaussage aus dem Blick und es findet eine Fixierung auf das Geschlecht statt.

Misslungene Kommunikation

Wann ist Kommunikation gelungen und wann misslungen? Kommunikation hat verschiedene Funktionen: sie kann zur Übermittlung von Informationen dienen; sie kann zur Erfragung von Informationen dienen; sie kann dazu dienen, dass Mensch einen Auftrag erteilt; sie kann rein sozialen Zwecken – etwa der Festigung sozialer Beziehungen – dienen. Und vieles, vieles mehr. Gelungen ist die Kommunikation dann, wenn das mit der Kommunikation intendierte Ziel erreicht wurde.

Wenn ich mitteilen möchte, dass in einem Verein Menschen Mitglied sind, die keine Ahnung vom Thema gendern haben, dann kann ich das folgendermaßen machen: Die Männer im VDS haben keine Ahnung vom Thema gendern. Mag zutreffen, aber die Äußerung wirft de Frage auf, ob die Frauen im VDS denn Ahnung vom Thema gendern haben. Ich könnte also stattdessen sagen: Die Männer und Frauen im VDS haben keine Ahnung vom Thema gendern. Die Beidnennung – Männer und Frauen – ist eine Form geschlechtergerechter Sprache und im Falle des Beispielsatzes wird die Verwendung der Beidnennung auch – zumindest sehe ich es so – den Tatsachen gerecht.  

Anderes Beispiel: Ich bin der Meinung, dass die Krankenpfleger*innen einen unterbezahlten Job machen. Wer dies liest und weiß, dass ich der Meinung bin, dass Personen, die in der Krankenpflege arbeiten, zu wenig Geld verdienen, hat die kommunikative Absicht dieser Äußerung verstanden. Glaubt jemand ernsthaft, dass Kommunikation misslingt – meine sprachliche Äußerung also gar nicht erst interpretierbar ist – , wenn ich ein Gendersternchen schreibe? Das Gendersternchen ist nach den aktuell geltenden Regeln der amtlichen Rechtschreibung ein Rechtschreibfehler, da dieser Form der wortinternen Interpunktion nicht zugelassen ist [dazu hier mein Kommentar]. Aber sind Rechtschreibfehler – selbst dann, wenn sie absichtlich sind – ein Grund, warum Kommunikation misslingt? Wenn ja, dann sollte folgender Satz niemandem vom VDS stören dürfen, denn er stellt eine misslungene Form der Kommunikation dar: Gändärkritika sind dof.

Wenn durch das Gendern Kommunikation misslingt, dann nur, weil ein Kommunikationsteilnehmer oder eine Kommunikationsteilnehmerin die Kommunikation bewusst scheitern lässt. Kleiner Hinweis: das ist nicht die Person, die gendert.     

Irrelevante Informationen

Wir sind den ganzen Tag immer wieder mit Informationen konfrontiert, die wir als irrelevant einschätzen. Aber, das ist wesentlich, Relevanz ist eine subjektive Einschätzung. Was für die eine relevant ist, ist für den anderen irrelevant. Manche Menschen finden es relevant zu wissen, ob nur Männer oder alle Geschlechter gemeint sind. Haben nur die Männer im VDS keine Ahnung vom Gendern oder auch die Frauen? Betrifft meine Kritik nur einen Teil der VDS-Mitglieder oder alle?

In verschiedenen Studien wurde gezeigt, dass geschlechtergerechte Sprache keine irrelevanten Informationen beisteuert sondern für das Verständnis wichtige Informationen. Frauen fühlen sich nicht immer angesprochen, wenn das ‚generische Maskulinum‘ verwendet wird. Sie müssen dazu nicht bewusst sagen: „Damit bin ich jetzt aber nicht gemeint“. Es reicht, wenn sie zum Beispiel Stellenanzeigen als weniger relevant erachten, nur weil die verwendete Form ein ‚generisches Maskulinum‘ ist. Wenn durch geschlechtergerechte Sprachen sich Frauen weniger ausgeschlossen fühlen – vielleicht nicht alle, aber doch hinreichend viele – , dann sind die damit beigesteuerten Informationen definitiv nicht irrelevant. Oder soll es heißen, dass Frauen weniger relevant sind?

Kernaussage

Ein Satz wie Die Männer im VDS haben keine Ahnung vom Gendern macht eine Aussage über das Subjekt die Männer im VDS. Die Aussage, die über das Subjekt gemacht wird, ist ‚keine Ahnung vom Gendern zu haben‘. Die Kernaussage ändern sich nicht, egal ob eine Beidnennung oder eine Form mit Genderstern oder was auch immer verwendet wird. Wieso sollte irgendwer glauben, dass sich die Bedeutung einer Aussage sofort zu ‚GESCHLECHT‘ ändert, nur weil Frauen explizit mitgenannt werden? Die Männer und Frauen im VDS haben keine Ahnung vom Gendern und Die Angehörig*innen des VDSs haben keine Ahnung vom Gendern bedeuten etwas ganz Ähnliches wie das erste Beispiel, nur ein bisschen mehr. Nämlich das nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen im VDS keine Ahnung vom Gendern haben. Kommt das Thema ‚Geschlecht‘ ins Spiel? Ja, denn die Personenreferenz wird eindeutig: nicht nur männliche, auch weibliche Personen sind gemeint. Ändert sich die Kernaussage? Nein! Findet eine Fixierung auf das Geschlecht statt? Nein!

‚Geschlecht‘ ist aber bei Personenreferenz nun einmal ein wichtiger Aspekt, denn es gibt – dies wird auch im VDS niemand leugnen wollen – verschiedene Geschlechter. Dass ‚Geschlecht‘ also durch Gendern thematisch in eine Äußerung beigesteuert wird, ist natürlich. Damit wird ein wichtiger Aspekt der Personenreferenz – Personen haben verschiedene Geschlechter – einfach nur explizit.

Gut gemeinter Hinweis: Fragen die Expert*innen

Gerade zu den Themen ‚Funktionalität‘ und ‚gelungene Kommunikation‘ wäre noch viel zu sagen, klar sollte aber sein: Gendern hat nichts mit gelungener Kommunikation oder gar Dysfunktionalität zu tun, sondern mit Rücksicht über Personen unterschiedlichen Geschlechts. Wenn man Höflichkeit als Teil einer gelungenen Kommunikation ansieht – Unhöflichkeit ist durchaus ein Grund zum Abbruch von Kommunikation – , dann stellt Gendern einen positiven Beitrag zu gelungener Kommunikation dar. Wer gendert, nimmt die Diskriminierungsempfindungen von u.a. Frauen ernst.

Das ‚Dysfunktionalitätsargument‘ des VDS schlägt also fehl. Abschließend möchte ich aber gerne noch einen Hinweis anbringen: Lieber auf die Expertise der Experten hören. Glücklicherweise gibt es zum Thema Sprache Expert*innen: Sprachwissenschaftler*innen. In der Mehrzahl sieht diese den VDS sehr kritisch, Gendern dagegen aber nicht. Das hat Gründe: gute Gründe, die wissenschaftlich motiviert sind. Bevor Mensch also den ‚Argumenten‘ des VDSs traut, wäre eine Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Fachliteratur zu empfehlen.

Nachtrag (30.12.2022): Als Beispiel habe ich oben die Nomen Mann und Frau immer wieder verwendet. Klar, da ist eine Beidnennung nötig, da diese Nomen in ihrer Bedeutung den Bezug auf ein bestimmtes Geschlecht drin haben. Anders sieht es mit Angehörig*innen oder Nomen wie Ärzt*innen, Lehrer*innen, Expert*innen und Sprachwissenschaftler*innen aus. Das oben geschrieben trifft, wie ja auch teilweise gezeigt, auch für diese Nomen zu. Spricht Mensch von Sprachwissenschaftler*innen oder Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen wird deutlich gemacht, dass nicht nur die männlichen Vertreter, sondern eben auch die weibliche Vertreterinnen (und Personen anderen Geschlechts bei der Form mit *) gemeint sind.

Gendern, Sexismus und die Brüder Grimm

Der Verein für deutsche Sprache findet Gendern sexistisch

Kein sprachwissenschaftliches Thema erzielt so viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wie die geschlechtergerechte Sprache, die auch gerne unter der Bezeichnung ‚Gendern‘ diskutiert wird. Die öffentliche Diskussion wird leider sehr von Laien dominiert; die Fachwissenschaftler, die sich mit diesem Thema beruflich aus einer ideologiefreien, wissenschaftlichen Perspektive auseinandersetzen, gehen dabei häufig unter.

Einer der wortstarken Meinungsführer, der sich ideologisch gegen das Gendern ausspricht, ist der Verein für deutsche Sprache. Unter anderem hat der Verein einige ‚Argumentationshilfen‘ im Angebot, beispielsweise seine ‚20 Argumente gegen das Gendern‚.

Ich will mich nicht mit allen diesen ‚Argumenten‘ zugleich auseinandersetzen, aber hin und wieder gerne einem von ihnen. Interessant finde ich das vierte ‚Argument‘, das folgendermaßen lautet:

Gendern ist sexistisch, weil es über die Sexualisierung der Sprache Geschlechterdifferenzen zementiert. Weil es Menschen auf ihr Geschlecht reduziert. Weil es die reaktionäre Erzählung von der Frau als ewigem Opfer fortschreibt – und die anachronistische Erzählung vom Mann als ewigem Täter.

In diesem ‚Argument‘ stecken folgende Aussagen:

  • (i) Gendern ist sexistisch, denn Gendern stellt eine Sexualisierung der Sprache dar.
  • (ii) Durch die Sexualisierung der Sprache werden Geschlechterdifferenzen zementiert.
    • (iii) Geschlechterdifferenzen werden zementiert, weil Menschen auf ihr Geschlecht reduziert werden.
      • (iv) Geschlechterdifferenzen werden zementiert, weil die reaktionäre Erzählung von Frauen als ewigem Opfer fortgeführt wird.
        • (v) Geschlechterdifferenzen werden zementiert, weil die anachronistische Erzählung vom Mann als ewigem Täter fortgeführt wird.

Sexualisiert das Gendern die Sprache?

Was wird unter Gendern verstanden? Im einfachsten Fall ist damit die Sichtbarmachung von Frauen, etwa in Form einer Beidnennung Idiot und Idiotin gemeint. Zugleich kann aber auch gerade die Nichtfokussierung auf das Geschlecht, durch die Verwendung eines nominalisierten Partizips Lehrende statt Lehrer und Lehrerinnen, erfolgen.

Hinter der Genderthematik steckt selbstverständlich noch sehr viel mehr, insbesondere die Diskussion um das soziale Geschlecht und nicht-Binärität spielen eine wichtige Rolle. Beides klammere ich an dieser Stelle aus, da in dem ‚Argument‘ auch nur verkürzt über Männer und Frauen – also die klassischen binären Geschlechter – gesprochen wird.

Führt also die sprachliche Sichtbarmachung von Frauen zu einer Sexualisierung der Sprache? Die Antwort ist ganz klar Nein, denn das Deutsche wird dadurch nicht stärker sexualisiert als es vorher schon war. Gerne wird behauptet, dass es keinen Zusammenhang zwischen Genus (einer grammatikalischen Kategorie zur Klassifikation von Nomen) und Sexus (einer biologischen/sozialen Kategorie) gibt. Partiell ist das auch so, denn das Tisch ein maskulines Nomen ist, hat nichts mit dem Geschlecht oder Sexus des Nomens zu tun. Aber zugleich gibt es im Bereich der belebten Natur – relevant sind vor allem Menschen und einige höhere Säugetiere – einen Zusammenhang zwischen Genus und Sexus. Nomen, die auf männliche Menschen, bzw. Tiere referieren, sind in aller Tendenz Maskulina. Umgekehrt gilt: Nomen, die auf weibliche Menschen und Tiere referieren, sind in der Regel Feminina. Wir können zwar das Nomen Katze (ein Femininum) für die Bezeichnung der Art verwenden (und verwenden das Nomen auch dann, wenn wir das Geschlecht eines Individuums nicht kennen), aber wenn das Geschlecht bekannt ist, wird die feminine Form Katze für die weiblichen Tiere und die maskuline Form Kater für männliche Tiere verwendet.

Alle Nomen, die nicht in den genannten Bereich fallen, sind schlichtweg irrelevant. Das Gabel ein feminines Nomen ist, obwohl Gabeln eindeutig keine Frauen sind, ist egal. Warum? Weil sie kein Geschlecht haben. Die Genuszuweisung erschöpft sich nicht in einer Korrelation zwischen (natürlichem) Geschlecht und Genus, aber dies ist ein Faktor, der das Genus von Nomen mit belebten Referenten determiniert.

Sexualisierte Kindergeschichten

Viele Leute würden sicherlich zustimmen, dass Kindergeschichten ein Platz sind, wo eine Sexualisierung nach Möglichkeit unterbleiben sollte. Viele Menschen lesen ihren Kindern Grimms Märchen vor. Die Grimms haben ihre Märchen systematisch sexualisiert, wie folgendes Beispiel aus ‚Die sechs Schwäne‘ zeigt:

Er tat ihm seinen Mantel um, nahm es vor sich aufs Pferd und brachte es in sein Schloß. Da ließ er ihm reiche Kleider antun, und es strahlte in seiner Schönheit wie der helle Tag, aber es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Er setzte es bei Tisch an seine Seite, und seine bescheidenen Mienen und seine Sittsamkeit gefielen ihm so sehr, daß er sprach ‚Diese begehre ich zu heiraten und keine andere auf der Welt‘, und nach einigen Tagen vermählte er sich mit ihr.

(Link zum Text)

Zuerst ist das Mädchen, um das es in dem Märchen geht, ein ‚es‘. Die Textpassage fängt damit an, dass mit ihm und es auf das Mädchen Bezug genommen wird. Erst am Ende des Absatzes wird das Mädchen zu einer ’sie‘. Der Wechsel nach ‚es‘ zu ’sie‘ erfolgt in dem Moment, in dem sie begehrt wird und sich jemand mit ihr vermählen will. Orrin Robinson spricht davon, dass bei den Grimms Mädchen zu einer ’sie‘ werden, wenn sie als heiratsfähig und damit als Frau angesehen werden. Wenn das keine Sexualisierung der pronominalen Referenz darstellt, was dann?

Die Grimms haben nicht gegendert, sexualisiert war ihre deutsche Sprache dennoch. Wer sich also gegen eine Sexualisierung der Sprache ausspricht, sollte erst einmal einen Blick in die Sprachgeschichte und den Kanon der Kinderliteratur werfen.

Zementiert das Gendern Geschlechterdifferenzen?

Was sind denn eigentlich Geschlechterdifferenzen? Eines ist klar, Geschlechterdifferenzen sind erst einmal kein sprachwissenschaftliches Phänomen. Dafür aber ein soziologisches und bezieht sich, so würde ich es interpretieren, auf systematische Ungleichheiten bedingt durch das Geschlecht. Als erstes fallen mir da geschlechtsbedingte Unterschiede beim Einkommen ein.

Wer der Meinung ist, dass solche Unterschiede durch das Gendern zementiert werden, soll mir bitte erklären, wie. Warum sollte der diskriminierende Status quo durch die Verwendung geschlechtergerechter Sprache zementiert werden?

Werden Menschen durch Gendern auf ihr Geschlecht reduziert?

Der Gegenvorwurf ist, dass Frauen sprachlich nicht sichtbar sind und häufig nicht mitgemeint sind. Diese Frage berührt ein anderes der 20 ‚Argumente‘ des Vereins für deutsche Sprache, daher möchte ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen. Aber dennoch kurz: eine Ärztin ist nicht einfach ’nur‘ eine Frau, sondern Ärztin und weiblich. Zwei Eigenschaften des Referenten werden ausgesagt, die Profession und das Geschlecht. Eine Reduktion auf das Geschlecht erfolgt aber nicht.

Die reaktionäre Erzählung der Frau als ewigem Opfer und die anachronistische Erzählung des Mannes als ewiger Täter

Reaktionär bedeutet ‚fortschrittsfeindlich‘, wenn also ‚die Erzählung der Frau als ewigem Opfer‘ als „reaktionär“ bezeichnet wird, dann wird diese Erzählung abgewertet. Sie ist dieser Sichtweise nach überholt und gehört vergangenen Zeiten an. Ganz ähnlich die Bedeutung von anachronistisch. Was also gesagt wird ist: die Erzählungen von Frauen als Opfer und Männern als Täter sind überholt und gehören in frühere, überwundene Zeiten. Also gilt beides nicht, in unserer Zeit sind Frauen keine ewigen Opfer und Männer keine ewigen Täter.

Das Bundeskriminalamt führt eine Statistik zu Partnerschaftsgewalt, in der für das Jahr 2021 rund 143000 Delikte geführt werden. Rund 80% der Opfer waren Frauen, fast 80% der Täter Männer! So anachronistisch ist ein Bericht über das Jahr 2021 nicht, oder?

Hat Gewalt gegen Frauen denn nun irgendwas mit Gendern zu tun? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Die Frauen wurden sicherlich nicht Opfer von Partnerschafsgewalt, weil sie oder ihre Partner gegendert oder nicht gegendert haben. Gendern wird Partnerschaftsgewalt auch nicht beseitigen. Sprache stellt aber ein Spiegel der Gesellschaft dar und sowenig wie Frauen sprachlich gleichberechtigt sind, sind sie es gesellschaftlich. Nicht die Erzählung von der Frau als Opfer und dem Mann als Täter ist anachronistisch, sondern das Leugnen der sprachlichen und gesellschaftlichen Geschlechterdiskriminierung.      

Der Verein für deutsche Sprache stellt mit seinem Sexismusvorwurf die sprachliche Realität auf den Kopf. Nicht das Gendern ist sexistisch, sondern die Argumentation des Vereins für deutsche Sprache.

Hier noch die Literaturangabe zu dem sehr spannenden Buch von Robinson: Orrin Robinson. 2010. Grimm Language. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins. Ich möchte aber auch Damaris Nüblings Text Genus und Geschlecht empfehlen, der das Thema gut verständlich behandelt und dem ich unter anderem den Hinweis auf Robinsons Buch und die Brüder Grimm verdanke.

Nachtrag: Die 20 Argumente gegen das Gendern, auf die sich der VDS bezieht, stammen aus dem Buch ‚Von Menschen und Mensch*innen‘ geschrieben von F. Payr.

Genderideologie der CDU

Geschlechtergerechte Sprache, gesetzliche Festellungen und Laienlinguisten

Christoph Ploß – Mitglied des deutschen Bundestages für die CDU – fordert, dass es an deutschen Schulen und Universitäten keinen Genderzwang geben darf. In einem Redebeitrag im Bundestag spricht er davon, dass Schüler*innen und Studierende – die gegenderte Form stammt nicht von ihm – bei Prüfungen Angst haben müssten, wenn sie nicht in ‚Gendersprache‘ ihre Prüfungen schreiben [hier ein Video des Beitrags bei Twitter]. Als Konsequenz fordert er, dass es eine gesetzliche Klarstellung darüber dass an deutschen Schulen die deutsche Grammatik gilt und nicht eine ‚ideologische Gendersprache‘ geben muss.

Von welchen Fällen redet er? In welchen Fällen müssen Schüler*innen und Studierende Angst haben, wenn sie nicht gendern? Ich will nicht in Abrede stellen, dass es vielleicht den ein oder anderen Dozierenden gibt, der oder die gegenderte Personenbezeichnungen gerne verwendet sehen möchte. Vielleicht mag es auch Prüfende geben, die das Nichtverwenden geschlechtergerechter Sprache bei der Korrektur berücksichtigen. Aber wenn, dann sind dies Einzelfälle. Von hypothetischen Einzelfällen ausgehend – hypothetisch, da mir keine belegten Fälle bekannt sind – eine gesetzliche Regelung fordern, ist dann doch mehr als übertrieben.

Wer schreibt die Rechtschreibung vor?

Aber was wäre gesetzlich eigentlich möglich? Die amtliche deutsche Rechtschreibung wird durch den Rechtschreibrat (korrekt: Rat für deutsche Rechtschreibung) festgelegt. Wie auf der Seite des Rats nachzulesen ist, ist dieser ein zwischenstaatliches Gremium, das unter anderem mit der Weiterentwicklung der Orthographie betraut ist. Dem Rat gehören 41 Mitglieder an, die aus der Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen stammen.

Das aktuelle amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung ist online hier abzurufen. Im Vorwort steht zu lesen, welchen Geltungsbereich das Regelwerk überhaupt hat. Dieser ist sehr eingeschränkt, nämlich diejenigen Institutionen, für die der Staat hinsichtlich der Rechtschreibung Regelungskompetenz besitzt. Das sind Schulen, Verwaltung und Rechtspflege. Firmen, Druckereien, Verlage, Privatpersonen sind davon nicht erfasst und kÖnnen schraiben wia sia wolen. Was ist mit Universitäten? Hier sieht der wissenschaftliche Dienst des Bundestags einen Graubereich, bedingt durch die Wissenschaftsfreiheit. Mir scheint es so zu sein, dass nach Einschätzung des Dienstes die Regelungskompetenz des Bundes hier nicht unbedingt gilt. Der Rechtschreibrat scheint anderer Meinung zu sein und schreibt:

„Für den Hochschulbereich erscheint fraglich, ob die Forderung einer „gegenderten Schreibung“ in systematischer Abweichung vom Amtlichen Regelwerk der deutschen Rechtschreibung für schriftliche Leistungen der Studierenden und die Berücksichtigung „gegenderter Schreibung“ bei deren Bewertung durch Lehrende von der Wissenschafts-freiheit der Lehrenden und der Hochschulen gedeckt ist.“    

(Geschlechtergerechte Schreibung; Seite 1)

Im Rahmen der Regelungskompetenz gilt also die amtliche deutsche Rechtschreibung, aber eben nur in diesem Rahmen. Was sagt denn die amtliche deutsche Rechtsschreibung zu geschlechtergerechter Sprache? Nichts konkretes. Es gibt aber eine klare Empfehlung des Rechtschreibrats, die besagt, dass „allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen“ (Quelle). Die unterschiedlichen Mittel zum Ausdruck geschlechtergerechter Sprache, z.B. Asterisk Schüler*innen, Unterstrich Schüler_innen, Doppelpunkt Schüler:innen, usw. sind nicht in das Regelwerk aufgenommen worden. Warum nicht? Auch hier hat der Rechtschreibrat eine nachvollziehbare Position und schreibt: „Dies [gemeint ist, die Verwendung geschlechtergerechter Sprache] ist allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann“.

Bezüglich der konkreten Verwendung geschlechtergerechter Sprache stellt der Rechtschreibrat nachvollziehbare Forderungen, die durch Formen wie Schüler*innen nur bedingt erfüllt werden. Dazu gehört u.a. (Vor-)Lesbarkeit, Rechtssicherheit, Übersetzbarkeit. Damit ist das Thema aber nicht beendet, denn der Rechtschreibrat ist sich seiner Verantwortung bewusst und schreibt:

„Dazu gilt es, die Entwicklung des Schreibgebrauchs aufgrund der Beobachtung der geschriebenen Sprache durch Empfehlungen oder möglicherweise Regeln so zu beeinflussen, dass er den Vorstellun-gen und Gewohnheiten einer Mehrheit der Schreiberinnen und Schreiber entspricht, aber gleichzeitig die fundierte sprachwissenschaftliche Verankerung besitzt, die vom Rat seinem öffentlichen Auftrag entsprechend erwartet wird.“

(Geschlechtergerechte Schreibung seit 2018; Seite 5)

Aktuell wären damit geschriebene Formen wie Schüler*innen ein Verstoß gegen die orthografische Norm. Daher muss Herr Ploß gar nicht fordern, dass an den Schulen die Verwendung des Gendersterns verboten werden sollte. Die amtliche deutsche Rechtschreibung, die für Schulen gilt, setzt das Gendersternchen sowieso außerhalb der Norm.

Normen heute müssen nicht die Normen morgen sein

Herr Ploß kann also beruhigt sein, kein Kind muss gendergerechte Sprache in der Schule verwenden. Aber – der Rechtschreibrat sagt es deutlich – , der Sprachgebrauch soll beobachtet und die Rechtschreibregeln eventuell angepasst werden. Legt der Sprachgebrauch eine Akzeptanz der Formen nahe, wird sich der Rechtschreibrat in der Notwendigkeit sehen, dies auch in den Rechtschreibregeln zu kodifizieren. Eigentlich totla demorkatisch, wenn dem Volk so auf’s Maul (oder auf die Schreibung) geschaut wird.

Sprache ist sowieso eine ziemliche demokratische Sache, denn sie gehört niemandem. Sprecher*innen verwenden Sprache so, wie sie es mögen. Das können sie machen, denn wer will es ihnen verbieten? Sprache passt sich im Gebrauch den Bedürfnissen der Sprecher an. Wer das verkennt, verkennt ein wesentliches Element von Sprache: sie ist nicht starr, sondern dynamisch. Wie jeder Studierende im ersten Semester lernt: Sprache verändert sich. Nur tote Sprachen verändern sich nicht mehr.

Sprache ist auf eine gewisse Weise aber auch entblößend. Durch die eigene Sprachverwendung sagt Sprecher*in einiges über das eigene Weltbild aus. Sprecher, die auf geschlechtergerechte Sprache achten, zeigen, dass ihnen dieses Thema wichtig ist. Dass es ihnen auch wichtig ist, keine Person auf Grund des Geschlechts auszugrenzen oder zu diskriminieren. Sprecher*innen, die keine geschlechtergerechte Sprache verwenden, zeigen, dass ihnen dies nicht wichtig ist. Demokratisch ist, dass Sprecher*innen wählen können, entblößend ist, dass sie durch ihre Wahl ihre Weltsicht offenlegen.

Grammatik ist nicht gleich Rechtschreibung

Herr Ploß spricht davon, dass an deutschen Schulen die deutsche Grammatik gelten soll. Er spricht nicht von deutscher Rechtschreibung, sondern von Grammatik. Die Rechtschreibregeln, die der Rechtschreibrat festlegt, regeln die Zuordnung von Lauten zu Buchstaben, die Getrennt- und Zusammenschreibung, Verwendung von Bindestrichen, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung. Geregelt ist der Bereich der RechtSCHREIBUNG. Die Grammatik der deutschen Sprache ist davon nicht betroffen. Für diese gibt es auch kein Norminstanz, die sagt, dies ist ein Verstoß gegen eine offizielle Grammatikregel. Eine solche Regel könnte etwa sein, dass das Komparandum bei Komparativen mit als und nicht mit wie eingeleitet wird (Mein Hund ist größer als mein Goldfisch und nicht Mein Hund ist größer wie mein Goldfisch). Eine amtliche deutsche Grammatik gibt es aber nicht.

Die Gleichsetzung von Orthografie und Grammatik ist ein häufiger laienlinguistischer Fehler. Laienlinguistik ist hier das wichtige Stichwort.

Genderideologie

Unter einer Ideologie wird ein in der Regel recht starres Weltanschauungssystem. Verfechter geschlechtergerechter Sprache werden gerne als „Genderideologen“, so auch Herr Ploß, bezeichnet. Umgekehrt lässt sich aber treffend sagen, dass die eigentlichen Genderideologen diejenigen sind, die geschlechtergerechte Sprache mit aller Vehemenz bekämpfen. Sie wollen, dass Menschen sich einer bestimmten Sprachnorm fügen. Sie wollen, dass Sprache sich nicht wandelt, sondern sprachlich ein konservatives Wertesystem reflektiert wird. Die christliche Familienideologie – zwei Geschlechter und der Mann ist der Chef der Familie – unterliegt dem Sprachsystem, das mit aller Vehemenz verteidigt werden soll. Welche Argumente werden dafür hervorgebracht? Ehrlich gesagt sind die Argumente zweifelhaft und in aller Regel vor allem eines, nämlich nicht sprachwissenschaftlich. Solche „Argumente“ finden sich etwa auf den Seiten des Vereins für deutsche Sprache. Unter anderem heißt es, dass ‚Gendern unwissenschaftlich sei‘, wobei Jahrzehnte sprachwissenschaftlicher Forschung zu dieser Thematik geflissentlich ignoriert werden. Auch die Idee, dass ‚Gendern grundgesetzwidrig sei‘, kann durch nichts gedeckt werden. Diese Argumente stammen in aller Regel von Laienlinguisten, was auch sehr gut erklärt, warum sie keine linguistischen Argumente sind.

Wenn mir mein 80jähriger Nachbar rät, dass ich mir ein totes Eichhörnchen um die Brust binden sollte, wenn ich keine Luft kriege, sollte ich das tun? Mein Nachbar könnte sich darauf berufen, dass er Laienpneumologe ist, da er seit 80 Jahren erfolgreich atmet. Aber ganz ehrlich, reicht das? Ich würde dann doch lieber einen echten Pneumologen aufsuchen und meine Atemprobleme vom Experten behandeln lassen. Warum sollte wir dann den Laienlinguisten in Bezug auf geschlechtergerechte Sprache vertrauen? Nur weil sie sprechen können? Die Fähigkeit grammatikalisch wohlgeformte Sätze zu bilden macht niemanden zu einem Linguisten.

Abschließend eine Bitte an Herr Ploß und andere Politiker, die sich mit Sprache beschäftigen wollen: Wissenschaft ist keine Ideologie, sondern liefert intersubjektiv nachvollziehbare Daten und deren Interpretation. Vertrauen Sie also denen, die Ahnung haben und nicht dem schrulligen Nachbarn, der nicht mehr vorweisen kann als schon Jahrzehnte erfolgreich gesprochen zu haben.

Abschließender Hinweis: Wer glaubt, dass das Gendern unwissenschaftlich sei, sollte einmal das Einführungsbuch Genderlinguistik von Damaris Nübling & Helge Kotthoff (Narr Verlag) lesen.

P.S. Wann sprechen wir eigentlich von Rechtschreibfehlern und wann bewegen wir uns im recht(schreib)freien Raum? Wie auch immer: Dies ist kein Text aus Schule, Verwaltung oder Rechtspflege, daher steht er eigentlich außerhalb des Zwangs der amtlichen deutschen Rächtsschraibung.

Wer steht mir da im Weg herum? Und warum?

Über Blockaden von Autos und Blockaden mit Autos

Die ‚Letzte Generation’‘‘ hat mit ihren Aktionen eine breite Öffentlichkeit erreicht. Insbesondere die Straßenblockaden haben ein großes mediales Echo gefunden. Aber nicht nur das, auch politisch wird gehandelt. Politiker erklären die Aktivisten der ‚Letzten Generation‘ zu Kriminellen. Der RND berichtet über entsprechende Äußerungen von Friedrich Merz. Und juristisch wird gegen sie wegen der möglichen Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgegangen (z.B. im Spiegel oder auf N-TV).  

In den sozialen Medien gibt es zahlreiche Videos der friedlichen Proteste, unter anderem dieses hier. Auf diesem Video ist aber auch zu sehen, wie die Autofahrer, die durch die Aktivisten blockiert werden, reagieren. Nicht gerade sanft werden die Aktivisten von der Straße gezerrt, beschimpft und eingeschüchtert. Worüber regen sich die Autofahrer auf? Darüber, dass sie im Stau stehen müssen.

Auf dem verlinkten Video sieht man einen Paketboten bei der ‚Entfernung‘ von Aktivisten von der Straße. Paketboten bieten sich als Diskussionsobjekt gut an. Sie haben ziemlichen Zeitdruck und müssen, damit sie Geld verdienen, herumfahren. Im Stau stehen ist für Paketboten definitiv ein finanzieller oder zumindest zeitlicher Verlust.

Als ich eben meinen ältesten Sohn von der Schule abholte, parkte ein Paketbote mitten auf einem Fußgängerüberweg und lieferte Pakete aus. Dadurch stand er nicht nur den Fußgängern mitten im Weg, sondern blockierte auch vollkommen die Sicht. Die ganze Angelegenheit dauert rund 5 Minuten. Wie hätte der Paketbote reagiert, wenn ihn nun jemand gebeten hätte wegzufahren? Vielleicht sogar mit der Begründung, dass er ja mitten im Weg steht? Ein paar Mal hatte ich eine solche Diskussion, die Antwort war immer, dass er ja nur kurz etwas ausliefern müsse. Einsicht, dass dies für Fußgänger – insbesondere Kinder – gefährlich sein kann? Nein! Einsicht, dass man nicht einfach so die Straßenseite wechseln kann – mit Kindern –, weil auf der anderen Straßenseite alles vollgeparkt ist? Nein!

Gelegentlich halten die Paketboten mitten auf unserer einspurigen Straße und liefern in Ruhe ihre Pakete aus. Nachkommende Autos müssen sich gedulden. Und wie häufig werden Radwege blockiert? Zwar ist der Übeltäter diesmal kein Paketbote, aber in einer Nachbarstraße ist jeden Morgen (am Wochenende ganztägig) der Fußweg mit einem Auto vollgestellt. Dass am Ende der Straße eine KITA ist und einige Kinder diesen Weg zu Fuß meistern müssen, ist dem Fahrer egal.      

Warum empören sich Autofahrer darüber, dass einzelne (!) Straßen blockiert werden, aber nicht darüber, dass andere Autofahrer Fuß- und Radwege blockieren? Warum empören sich so viele darüber, dass sie blockiert werden, obwohl sie selbst blockieren? Die ‚Letzte Generation‘ setzt sich nicht aus Spaß auf die Straße, sondern um ein Anliegen zu transportieren. Ihnen geht es darum deutlich zu machen, dass wir uns in einer Klimakrise befinden, die entsprechendes Handeln seitens aller (!) erfordert. Ihre Aktionen sind also Klimaprotest. Dieser Protest ist mit den Forderungen der ‚Letzten Generation‘ eng verbunden. So heißt es auf der Homepage der Gruppe: „Im Angesicht des Klimakollaps brauchen wir jetzt ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket“. Sie fordern also verkehrspolitische Maßnahmen. Der Protest auf der Straße – im wörtlichen Sinne – liegt somit auf der Hand.   

Und die Autofahrer, die auf Rad- und Fußwegen parken, die Straßen blockieren? Warum machen die das? Haben sie ein Anliegen? Bestimmt haben sie eines. Aber keines, das als ‚Protest‘ bezeichnet werden kann. Die medialen Reaktionen zeigen, dass es einen enormen Unterschied macht, ob man Autos blockiert oder mit Autos blockiert. Ersteres ist empörenswert – selbst wenn es als Klimaprotest ein wichtiges Anliegen verfolgt –, letzteres ist anscheinend das Recht zumindest einiger Autofahrer.