Strikte und abgeschwächte Genderkritik
Mit dem Begriff ‚Gendern‘ wird die sprachliche Suchtbarmachung der Geschlechter bezeichnet. Konkret: sichtbar wird gemacht, welches Geschlecht die Referenten sprachlicher Ausdrücke haben, also ob ich mich auf Männer, Frauen, Personen nicht binären Geschlechts, alle davon oder nur eine Gruppe beziehe.
In der öffentlichen Debatte wird das Gendern gerne auf bestimmte sprachliche Formen reduziert. Bevor im Fokus der öffentlichen Auseinandersetzung steht dabei der Genderstern, wie etwa bei Politiker*innen. Aber das ist ein verkürzter Blick auf das Thema, denn alle Formen, die zur sprachlichen Sichtbarmachung der Geschlechter – oder zur Neutralisation – führen, gehören dazu. Auch die mittlerweile ziemlich normale Beidnennung (Politikerinnen und Politiker).
Die Beidnennung ist besonders spannend. Hartnäckige Vertreter der Idee, dass das maskuline Nomen immer geschlechtsneutral gebraucht werden können (die These des sogenannten ‚generischen Maskulinums‘) sind der Meinung, dass die Beidnennung überflüssig ist. Die Politikerinnen, so das Argument, sind durch den sprachlichen Ausdruck Politiker mitgemeint. Aber wenn mensch nun die Politikerinnen explizit nennt, dann scheint es dafür einen Grund zu geben. Vielleicht der, dass sichergestellt werden soll, die Politikerinnen auch wirklich mit zu meinen?
Wer nun hartnäckig das ‚Gendern‘ ablehnt, der sollte auch die Beidnennung ablehnen. Nennen wir dies einmal die ’strikte‘ Position der Genderkritik. Daneben können wir auch eine ‚abgeschwächte‘ Genderkritik identifizieren, die die Beidnennung akzeptiert, aber den Genderstern (und äquivalente Formen) ablehnt.
Die strikte Position unterscheidet sich also vor allem im Bezug auf die Frage, ob Frauen sprachlich sichtbar gemacht werden sollten. Der Bezug auf das vermeintlich generische Maskulinum spielt in der abgeschwächten Variante der Genderkritik keine so große Rolle. Relevanter ist der vordergründige Bezug auf die amtliche deutsche Rechtschreibung. Gelegentlich steht aber auch ein bestimmtes Geschlechterkonzept im Hintergrund der Argumentation. Und zwar geht es um die Ablehnung der Nicht-Binarität. Kritik an der ‚Gendersprache‘ wird verwendet, um ein binäres Geschlechtermodell zu verteidigen.
Die Unterscheidung zwischen den beiden Positionen ist nicht immer eindeutig und auch den Genderkritiker*innen nicht immer klar. Der Grund ist, denke ich, dass die Beidnennung von vielen Menschen gar nicht als Ausdruck geschlechtergerechter Sprache interpretiert wird. Ein prominentes Beispiel ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß. Immer wieder macht Ploß durch genderkritische Aussagen auf sich aufmerksam und ist in sozialen Medien diesbezüglich auch immer wieder aktiv. Auf X schrieb er am 14.07.2024: „Es darf nicht sein, dass eine kleine linke Minderheit gegen die große vernünftige Mehrheit in staatlichen Einrichtungen die ideologische #Gendersprache verbreitet. Es braucht dringend Gesetze, mit denen #Gendern in Behörden und Schulen gestoppt wird!“ (https://x.com/christophploss/status/1812537769136165188).
Lassen wir den Inhalt dieses Postings einmal außen vor und nehmen wir es als das, was es auch ist: eine Ablehnung der Gendersprache. Im Posting selbst legt sich Ploß nicht darauf fest, was Gendersprache genau sein soll. Er verlinkt jedoch einen Artikel, der sich der Frage widmet, warum der Genderstern immer noch gebraucht wird, obwohl er doch so drastisch abgelehnt werde. Dies legt nahe, dass sich Ploß gegen die Verwendung des Gendersterns aussprechen will.
Schaut mensch sich konkrete sprachliche Äußerungen von Ploß an, dann fällt auf, dass er gendert. Im stenografischen Bericht der 176. Sitzung des Bundestages (14.06.2024) findet sich folgende Äußerung von Ploß: „Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!“ (S. 96). (Das Dokument ist hier zu finden) Statt nur Liebe Kollegen zu sagen, spricht Ploß seine lieben Kolleginnen explizit als solche an. Er verwendet keine vermeintlich generische maskuline Form, sondern eine Beidnennung. Außerdem sagt er nicht Frau Präsident, sondern nutzt die davon abgeleitete Form Präsidentin zur Bezeichnung weiblicher Referenten.
Kurz gesagt: Ploß macht – zumindest in diesem Fall – weibliche Referenten sichtbar und das ist genau das Ziel, das hinter der Verwendung geschlechtergerechter Sprache steht. Basierend auf diesem singulären Beispiel würde ich Ploß als Vertreter einer abgeschwächten Genderkritik einordnen. Für die genderkritische Debatte wäre es wichtig, dass wir die einzelnen Positionen deutlicher trennen und explizit machen, welche Aspekte der ‚Gendersprache‘ abgelehnt und welche akzeptiert werden. Die Debatte würde dadurch transparenter werden und geschlechtergerechte Sprache würde ich in der öffentlichen Wahrnehmung anders dastehen. Die Beidnennung ist weniger umstritten als der Genderstern und das Bewusstsein, dass dies auch eine Form des Genderns ist, könnte dazu führen, dass eine positivere Einstellung zum Gendern entsteht.
Vielleicht weiß Ploß ja gar nicht, dass er (zumindest teilweise) gendert. Ich wäre nicht überrascht, denn mein Eindruck ist, dass gerade die Politiker*innen, die ‚Gendersprache‘ am nachdrücklichsten ablehnen, sich am wenigsten mit ihr auseinandergesetzt haben.
Dem sogenannten ‚generischen Maskulinum‘ habe ich mehrere Beiträge gewidmet: etwa diesen hier, aber auch diesen. In beiden Beiträgen setze ich mich mit der Frage auseinander, was das vermeintlich generische Maskulinum eigentlich ist.