Rechte Argumentationsmuster am Beispiel der AfD Nettetal
Die Argumentationsmuster rechter Parteien sind gut bekannt, dennoch lohnt es sich, immer wieder auf die Argumentationen zu schauen und aufzuzeigen, welche Ideen und wie wenig substantielle Argumente tatsächlich hinter diesen Argumentationsmustern stehen. Dies möchte ich an dieser Stelle anhand einer verbalen Auseinandersetzung um eine Flüchtlingsnotunterkunft vornehmen.
Widerstand gegen Flüchtlingsunterkünfte ist kein Phänomen aus Ostdeutschland, auch tief im Westen findet sich solcher Protest. Ganz im Westen – an der Grenze zu den Niederlanden – liegt Nettetal. Im März 2023 wurde durch den Rat der Stadt Nettetal entschieden, dass eine neue Notunterkunft für geflüchtete Menschen bereitgestellt werden soll. In einer solchen Notunterkunft sollen geflüchtete Menschen zeitweilig unterkommen, die Notunterkünfte sollen sie wieder verlassen, sobald sie in reguläre Einrichtungen unterkommen können. Als Ort für die Notunterkunft wurde eine alte, nicht mehr genutzt Hauptschule im Stadtteil Kaldenkirchen ausgewählt.
Mittlerweile gibt es eine Bürgerinitiative, die Unterschiften gegen den Standort der Notunterkunft sammelt. Natürlich mischt die AfD bei diesem Thema auch mit. Auf der Internetseite der AfD-Fraktion Nettetal ist eine Stellungnahme zu der geplanten Unterkunft veröffentlicht. Was spricht nach AfD-Meinung gegen diese Flüchtlingsunterkunft?
Es ist unverantwortlich, im näheren Umfeld eines Kindergarten, der Realschule, der Grundschule und des Schwimmbades eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten, wo keiner der Verantwortlichen über die Herkunft der „neuen Bürger“ Bescheid weis [sic!]. Und nicht zu vergessen das Finlantis in unmittelbarer Nähe, welches auch von jungen Damen besucht wird.
Die AfD schreibt, dass es unverantwortlich sei, die Flüchtlingsunterkunft in der Nähe von Orten, an denen Kinder und „junge Damen“ sind, entstehen soll. Warum unverantwortlich? Die AfD ist diesbezüglich nicht explizit, es scheint aber damit zu tun haben, dass die Herkunft der Geflüchteten im Vorfeld nicht bekannt sei. Soll dies heißen, dass es Menschen gibt, die aufgrund ihrer Herkunft für Kinder und „junge Damen“ besonders problematisch sind? Wenn ja, welche sollten das sein und warum? Und vor allem, was ist daran unverantwortlich, dass Geflüchtete Menschen vorher unbekannter Herkunft in der Nähe von Kindern und „jungen Damen“ sind? In einem später folgenden Textstück wird deutlich, was die AfD als unverantwortlich ansieht. Sie spricht explizit davon, dass die Geflüchteten eine Gefahr für „unsere Kinder“ seien. Es gibt bereits andere Notunterkünfte und durch diese haben sich bislang keine Gefahren für Kinder und „junge Damen“ ergeben.
Das Konzept der Flüchtlingsunterkunft sieht vor, dass die diese rund um die Uhr und zwar die ganze Woche durch einen Sicherheitsdienst begleitet wird. Der Sicherheitsdienst hat unter anderem die Funktion, dass nur die Bewohner in die Unterkunft kommen, die dort auch untergebracht sind. Dazu schreibt die AfD:
Kein Bürger soll sich wegen der Sicherheit unserer Kinder Gedanken machen, da ein Sicherheitsdienst für Ordnung sorgen soll. Echt jetzt? Das klingt wie blanker Hohn, weis [sic!] doch mittlerweile jeder Nettetaler Bürger, das z. Bsp. der Ordnungsdienst der Stadt unterbesetzt ist und noch nicht einmal an den Brennpunkten in Nettetal (z.Bsp. Ingenhovenpark oder am Doerkesplatz im Sparkassenumfeld etc.) für Sicherheit und Ordnung sorgen kann. Will uns der Bürgermeister allen Ernstes erzählen, dass die beauftragte Sicherheitsfirma auch außerhalb der Unterkunft 24/7 die Sicherheit unserer Kinder gewährleisten kann?
Weder haben der Ordnungsdienst der Stadt noch die privater Sicherheitsdienst die Aufgabe, für Sicherheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu sorgen. Dies ist Aufgabe der Polizei. Hier wirft die AfD verschiedene Dienste ungeachtet ihrer unterschiedlichen Aufgaben in einen Topf. Zugleich bringt sie möglicherweise vorhandene Problembereiche mit bislang noch nicht einmal in Nettetal befindlichen Geflüchteten in Beziehung. Welcher Zusammenhang besteht zwischen „Brennpunkten“ in Viersen und der geplanten Flüchtlingsunterkunft? Die AfD nutzt ein vielleicht in Nettetal teilweise vorhandenes gefühl fehlender Sicherheit – zumindest wird eine fehlende Sicherheit durch die angeblichen „Brennpunkte“ suggeriert – und überträgt dieses von ihr festgestellte Sicherheitsdefizit auf ganz andere Bereiche. Auch wenn es keinerlei Rechtfertigung gibt, wird eine Ablehnung einer zukünftigen Einrichtung durch aktuell gefühlte Unsicherheit begründet. Zwischen beidem steht keinerlei Bezug.
Wenn die AfD ein Sicherheitsdefizit in Nettetal sieht, dann ist die richtige Adresse, dies anzusprechen, die Polizei und eventuell städtische Sozialarbeit, nicht aber der Sicherheitsdienst, der sich um die Notunterkunft wird kümmern sollen.
Das erste „Argument“ der AfD ist also, dass es ein Sicherheitsproblem gäbe. Die AfD suggeriert eine nicht belegbare Gefahr durch geflüchtete Menschen und erzeugt somit fremdenfeindliche Vorurteile.
Im Frühjahr 2023 war die Aufnahmekapazität für Geflüchtete bereits fast vollständig erreicht. Warum lässt sich der Bürgermeister jetzt weitere 100 Menschen vom Land zuweisen. Ein richtiger Bürgermeister hätte sich massivst gewehrt.
Die Verteilung Geflüchteter erfolgt über das Land. Dies als Bürgermeister nicht zurückzuweisen ist ein Zeichen der Solidarität mit anderen Kommunen. Wenn Aufnahmekapazitäten ausgeschöpft sind, dann müssen neue Unterkünfte errichtet werden. Das ist es ja gerade, was in diesem Fall geschehen soll. Die AfD greift den Bürgermeister greift auch wieder die angebliche Spaltung zwischen Bürger*innen und Politik auf und behauptet, dass der Nettetaler Bürgermeister nicht nur falsche Entscheidungen trifft, sondern auch noch wie ein unechter oder falscher Bürgermeister agiert. Damit findet eine persönliche Diffamierung des Bürgermeisters statt, der gegenüber den Lesern als unfähig oder auch unwillig zu „richtigem“ Handeln dargestellt wird.
Das zweite „“Argument“ der AfD ist, dass bereits zu viele Geflüchtete aufgenommen worden wären und die Kapazitäten ausgeschöpft seien. Zum Schluss geht es dann noch ums Geld:
Von der Finanzierung ganz zu schweigen. Der Umbau der Hauptschule wird nach unseren Berechnungen mind. 1.000.000,00 € verschlingen zzgl. jährlicher Folge- und Betriebskosten von mind. 360.000,00 €.
Die AfD nennt Kosten für Umbau und den Betrieb der Einrichtung, obwohl der aktuelle Stand ist, dass die nötigen Maßnahmen zum Umbau erst noch geprüft werden müssen. Eine Anfrage bei der Grünen Fraktion der Stadt, die Rücksprache mit dem Bürgermeister nahm, ergab, dass bislang keinerlei Zahlen zu den Kosten vorliegen. Wie kommt die AfD auf diese Zahlen, die seitens der angefragten Stellen als „Fake News“ bezeichnet werden? Jedenfalls ist das dritte „Argument“ klar: Das kostet uns alles zu viel. Ich habe bei der AfD angefragt, wie sie auf die oben genannten Zahlen kommt, bislang habe ich dazu aber keine Antwort erhalten.
Die AfD vermengt in ihrer Stellungnahme fremdenfeindliche Vorurteile („gefährlich“), unbelegte Behauptungen (Kosten) und stellt falsche Zusammenhänge her (gefühltes Sicherheitsdefizit), damit greift sie die klassischen Argumente, die seitens rechter Kreise gegen die Unterbringung geflüchteter Menschen immer wieder vorgebracht werden, auf: „Die“ sind gefährlich, wir haben schon genug von „denen“ und das kostet alles zu viel. Es werden unhaltbare und unbelegbare Aussagen genutzt, um unter dem Deckmantel der Sicherheit und hoher Kosten Stimmungsmache gegenüber geflüchteten Menschen zu machen.
Begriffe sind oftmals vage: was fällt alles unter einen Begriff und was nicht mehr? Stellt ein Brett auf zwei Steinen einen Tisch dar? Die Antwort kann Ja oder Nein sein, je nach Kontext. Die Vagheit sprachlicher Ausdrücke ist immer dann ein Problem, wenn Begriffe exakt sein soll, zum Beispiel in der Wissenschaft oder der Rechtsprechung. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Gerichte manchmal damit beschäftigen müssen, ob ein bestimmer Begriff etwa irreführend gebraucht wird. Dies ist insbesondere im Marektingkontext der Fall: Darf Firma A Bezeichnung XY wirklich verwenden oder täuscht sie damit die Verbraucher?
Das Begriff ‚klimaneutral‘ war kürzlich Gegenstand eines juristischen Urteils des Landgerichts Karlsruhe (hier nachzulesen). Konkret gibt es um sogenannte ‚klimaneutrale Seife‘ des Discounters dm. Der Vorwurf gegenüber dm: es werde zwar das Labek ‚klimaneutral‘ verwendet, CO2-Emissionen werden jedoch kaum eingespart. Stattdessen nimmt dm sogenannte Klimakompensationen, also die Investition in bestimmte Typen von Klimaschutzprojekten – etwa Aufforstungsmaßnahmen – vor. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe, deren Pressemitteilung zur Klage hier zu finden ist.
Das Urteil des Landgerichts war – knapp zusammengefasst- , dass dm die hinter dem Label ‚klimaneutral‘ stehenden Maßnahmen nur intransparent darstellt, kaufrelevante Informationen nicht geliefert werden würden und Waldschutz nicht dasselbe wie Klimaschutz ist. An dieser Stelle fing es nun an, dass mich das Thema interessierte. So hatte ich doch kürzlich Kontakt zur Firma GLS, die auf einem alten Verbrenner die Werbeaufschrift „100% klimaneutral“ fahren ließ. Mein Beitrag dazu ist hier zu finden. Was laut Homepage von GLS unter ‚Klimaneutralität‘ zu verstehen ist – insbesondere auch hier Kompensationsmaßnahmen – , hatte ich in dem Beitrag diskutiert. Der Beitrag hatte jedenfalls eine Reaktion seitens GLS bewirkt.
In einer Nachricht an mich hieß es, dass GLS die Werbung auf dem fotografierten Fahrzeug entfernen ließ und nach weiteren ähnlichen Fahrzeugen mit solcher Werbung im Bestand suchen würde, damit auch dort die Werbung entfernt werden würde. Das ist schon einmal ein guter Schritt, finde ich.
Weiterhin wurden mir aber auch weitere Informationen zu den Maßnahmen, die GLS zum Erreichen der Klimaneutralität umsetzt, zugeschickt. Zudem hatte ich die Möglicheit weitere Nachfragen zu stellen. Damit ergibt sich ein etwas dezidiertes Bild bezüglich der von GLS durchgeführten Maßnahmen, die sich hinter dem Begriff ‚klimaneutral‘ verbergen.
Auf der letzten Meile, also dem abschließenden Paketzustellen, setzt GLS vermehrt auf alternative Zustellmöglichkeiten und Antriebe. Unter alternativen Zustellmöglichkeiten sollen unter anderem Lastenräder zu verstehen sein, unter alternativen Antrieben sind vor allem batteriebetriebene und Brennstoffzellenfahrzeuge zusammengefasst. Auf der Homepage der Firma heißt es dazu, dass bereits 600 Elektrofahrzeuge eingesetzt werden würden. Der Strom für die Elektrofahrzeuge soll zu 100% aus Wasserkraft stammen. Die Umstellung der Fahrzeuge erfolgt sukzessive, sodass noch nicht alle Fahrzeuge auf der letzten Meile klimaneutral unterwegs sind.
Für die weiteren Strecken plant GLS den Umstieg auf andere Antriebsmodelle, die sind – so Aussage der Firma – aber noch nicht marktreif. Ich verstehe dies so, dass in diesem Bereich somit noch die klassischen Verbrenner unterwegs sind. Die dabei entstandenen Emissionen, wurde mir gesagt, sollen zu 100% kompensiert werden. Kompensation ist aber einzweischneidiges Schwert. Die CO2-Emissionen erfolgen punktuell, Neupflanzungen nehmen CO2 im Laufe ihren Lebenszyklus auf. Die Emissionen werden damit nicht zum Zeitpunkt ihrer Emission ausgeglichen.
Im Urteil des Landesgerichts Karlsruhe steht: „Der Claim der Klimaneutralität des Produkts geht nämlich prinzipiell über das hinaus, was mittels CO2-Zertifikaten aus Waldschutz erreichbar ist. Der Verbraucher erwartet, dass eine Kompensation von Emissionen, die im Ergebnis zur Klimaneutralität des Produkts führen soll, diese auch tatsächlich bewirkt. Das produktbezogen emittierte Treibhausgas muss also dauerhaft bilanziell neutralisiert worden sein. CO2 besitzt jedoch in der Atmosphäre eine Verweildauer, die weit über die Laufzeit der Waldschutzprojekte hinausgeht. Wald bindet und speichert CO2 demgegenüber nur vorübergehend. Wenn ein Baum gefällt wird und vermodert oder auch abbrennt, setzt er das gespeicherte Treibhausgas wieder frei. Erreicht wird durch – erfolgreiche, korrekt aufgesetzte – Waldschutzprojekte sicherlich, dass mehr Wald für längere Zeiträume erhalten wird, wodurch in den entsprechenden Zeiträumen die CO2-Speicherkapazität des geschützten Waldes höher ist als im hypothetischen Szenario ohne das Projekt. Dies ist allerdings ein völlig anderer Effekt als der, den der Verbraucher aufgrund des Klimaneutral-Claims erwartet. Die produktbedingten, anthropogenen, zusätzlichen CO2-Emissionen sind hunderte oder tausende Jahre nachweisbar, gebunden und gespeichert wird die entsprechende Menge an CO2 durch das konkrete Waldschutzprojekt nur für Jahrzehnte. Danach ist die vorübergehend ausgeglichene CO2-Bilanz des Produkts wieder unausgeglichen. Um sie dauerhaft auszugleichen, müssten kontinuierlich – auch in 100 oder 1000 Jahren – weitere entsprechende Waldschutzbemühungen unternommen werden“.
Zwei der vier Klimakompensationsprojekte, die GLS laut eigener Homepage unterstützt, sind ebenfalls Waldschutzprojekte. Damit gilt für GLS wie auch für dm, dass das Label ‚klimaneutral‘ irreführend ist.
Sprachliche Begriffe müssen eine gewisse Vagheit aufweisen, damit wir Sprache auch flexibel verwendet können. In manchen Bereichen ist Vagheit aber ein großes Problem, da Begriffe auch – neutral gesprochen – manipulierend oder – negativ gesprochen – irreführend gebraucht werden können. Gerade im Hinblick auf Klimaschutz ist es wichtig, dass Begriffe wie ‚klimaneutral‘ sehr präzise gebraucht werden, sodass sie keinen Spielraum für Greenwashing erlauben, sondern deutlich machen, wo echte CO2-Reduktion erfolgt und wo nur kompensiert wird. Urteile wie die des Landesgerichts Karlsruhe sind wichtig, damit solche Begriffe in bestimmten Kontexten – hier Marketing – präziser verwendet werden und Verbraucher*innen, die sich bewusst für ein klimaneutral agierendes Unternehmen entscheiden, am Ende auch das bekommen, was sie unter ‚klimneutral‘ verstehen: nämlich ein Unternehmen, dessen CO2-Bilanz neutral ist und nicht eines, das weiterhin CO2 emittiert.
Negatives Framing von Klimaaktivisten in Politik und Polizeigewerkschaft
Welche Rolle spielen Äußerungen von Politiker*innen und Polizist*innen bezüglich der öffentlichen Wahrnehmung von Klimaaktivist*innen? Keine unwesentliche, denn sowohl Politiker*innen als auch Polizist*innen – letztere zumindest, wenn sie Vorsteher*innen einer Gewerkschaft sind – sind öffentliche Personen. Ihnen wird in ihrer Funktion beispielsweise als Innenminister*in Kompetenz zugetraut und ihre Äußerungen finden ein Medienecho. Daher ist es nicht unerheblich, wenn solche Personen sich zur Gruppe der Letzten Generation äußern.
Dies haben Joachim Herrmann, Innenminister Bayerns und Mitglied der CSU, sowie Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), gegenüber der Deutschen Pressseagentur getan. Die Rheinische Post hat dazu am 16.07.2023 berichtet. Die Aussagen dieser beiden Personen enthalten einige Formulierungen, die es sich genauer anzusehen lohnt.
Joachim Herrmann möchte sich, so heißt es, mit seinen Länderkollegen für „die erforderliche härtere Bestrafung krimineller Klimaaktivisten“ einsetzen. An dieser Aussage sind mehrere Aspekte bemerkenswert: 1. Es gibt, in seinen Augen, kriminelle Klimaaktivist*innen. Aber wer sind diese? Geht es dabei nur um die Gruppe der Letzten Generation oder sind auch andere Klimaaktivist*innen kriminell? Es ist also unklar, wer gemeint ist. 2. Es gibt Klimaaktivist*innen, die kriminell sind. Sicherlich gibt es kriminelle Klimaaktivist*innen, wie es auch kriminelle Lehrer*innen, kriminelle Politiker*innen oder kriminelle Polizist*innen gibt. Irgendein*e Klimaaktivist*in wird sicherlich einmal etwas geklaut haben oder gar eine Vorstrafe aufweisen. Aber das meint Herrmann nicht, wenn er von ‚kriminellen Klimaaktivisten‘ spricht. Er bewertet damit das Engagement der Klimaaktivist*innen, bzw. die Mittel, die sie für ihre Aktivitäten wählen, als kriminell. Das ist eine gewagte Einschätzung, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden sind da nicht unbedingt auf seiner Seite. Hier ein Artikel aus der Süddeutchen Zeitung zu diesem Thema. 3. Härtere Strafen für kriminelle Klimaaktivist*innen sind nötig. Dies bedeutet, dass die bestehenden Strafen nicht ausreichen würden. An welchen Stellen müssen Strafen härter werden? Und zu welchem Grad müssen sie härter werden? Die Intention hinter einer solchen Verschärfung dürfte sein, dass härtere Strafen Klimaaktivist*innen vor weiteren Aktionen abschrecken sollen. 4. Härtere Strafen sind erforderlich. Warum sollten härtere Strafen erforderlich sein? Sicherlich, weil weitere Proste auf diese Weise abgewürgt werden sollen. Herrmanns Aussage verbleibt an vielen Stellen im vagen und ist an ebenso vielen Stellen angreifbar.
Das koordinierte juristische Vorgehen gegen die Letzte Generation ist aber nur eines der Ziele von Herrmann. Er will auch, dass Blockaden – gemeint sind wohl vor allem Straßenblockaden – schneller beseitigt werden können. Seine Motivation ist: „Je geringer die Auswirkungen, desto geringer der „Erfolg“ der Aktivisten und letztlich auch der Ärger in der Bevölkerung.“ An dieser Stelle hat Herrmann die Letzte Generation klar missverstanden. Ihr Ziel ist nicht die Blockade, sondern unter anderem die Einführung eines bundesweiten 9 Euro-Tickets. Der Letzten Generation geht es um Klimaschutz und nicht um möglichst lange Straßenblockaden. Herrmann stellt die Straßenblockaden als einen Selbstzweck dar, der sie nicht sind. Eine Frage, die offen bleibt, ist, wie sollen Blockaden denn schneller beseitigt werden? Sollen Klimaaktivist*innen stärker überwacht werden, sodass die Polizei unmittelbar zu Beginn einer Aktion vor Ort sein kann? Sollen Autofahrer*innen legitimiert werden, gegen die Klimaaktivist*innen vorzugehen?
Die beiden Äußerungen von Herrmann haben einen Effekt: Der Fokus wird vom eigentlichen Anliegen der Aktivist*innen auf die Wahl ihrer Mittel gelegt und diese werden als kriminell geframt. Statt über Klimaschutz wird somit über härtere Gesetze gegenüber Klimaaktivist*innen gesprochen. Es findet eine Diskursverschiebung statt, die im Falle des Redens von ‚kriminellen Klimaaktivisten‘ auch diffiziler ist, als wenn von ‚Klimaterroristen‘ oder gar einer ‚Klima-RAF‘ gesprochen wird. Dass die Aktivist*innen der Letzten Generation nicht gut unter die Bezeichnung ‚Terroristen‘ fallen, sollte relativ leicht zu erkennen sein. ‚Kriminell‘ ist jedoch eine Eigenschaftszuschreibung, die schwerer zu evaluieren und damit auch schwerer zurückzuweisen ist. Aus meiner Sicht stellt die sprachliche Kriminalisierung der Letzten Generation damit ein effektiveres negatives Framing als die Verwendung von Bezeichnungen wie ‚Klimaterroristen‘ dar. Durch das stetig wiederholte Framing als ‚kriminell‘ wird sich in den Köpfen der Menschen festsetzen, dass die Aktionen der Klimaaktivist*innen kriminell seien und zwar unabhängig davon, ob Gerichte die Aktionen oder einzelne Aktionen tatsächlich als ‚kriminell‘ bewerten.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, geht argumentativ in eine ähnliche Richtung. Er spricht davon, dass die Gruppe ‚kriminelle Aktionen‘ betreibe und dies mit einer ‚penetranten Rücksichtslosigkeit‘. Gerade diese Rücksichtslosigkeit ist, so Kopelke, Ursache dafür, dass die Aktionen die Akzeptanz des Klimaschutzes nicht steigern würden. Ist Herr Kopelke wirklich besorgt um die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen? Möglich ist es, aber das Framing – die Aktionen der Letzten Generation sorgen dafür, dass Klimaschutzmaßnahmen an Akzeptanz verlieren – wird von Wissenschaftler*innen nicht unterstützt (hier ein Artikel zu diesem Thema auf tagesschau.de). Klar, die Letzte Generation kann mit ihren Aktionen sicherlich nicht Klimawandelskeptiker*innen überzeugen, aber die Aktionen halten das Thema Klimakrise konstant in der öffentlichen Wahrnehmung und machen deutlich, mit welcher Härte Vertreter*innen bestimmter politischer Positionen gegen Klimaaktivist*innen bereit sind vorzugehen.
Sollte Herr Kopelke tatsächlich um die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen besorgt sein, dann wäre es sicherlich hilfreicher, er würde die Aktionen der Letzten Generation nicht als ‚kriminell‘ und die Gruppe nicht als ‚penetrant rücksichtslos‘ bezeichnen. Das konstante negative Framing von Klimaaktivist*innen, das unkritisch in einigen Medien aufgegriffen wird, ist möglicherweise problematischer für die Akzeptanz möglicher Maßnahmen als die Aktionen der Letzten Generation. Aber ich gebe zu, dies sollten geeignete Wissenschaftler*innen mit empirischen Methoden überprüfen und weder spekulativ von mir oder dem Vorsitzen der Polizeigewerkschaft behauptet werden.
Kleine Randbemerkung: dass sich einzelne Polizeibeamte oder -beamtinnen bei der Letzten Generation engagieren sollen, sieht Herr Kopelke kritisch. Dazu äußert er sich wie folgt: „Ein solches Engagement ist hochproblematisch, dienstrechtliche Konsequenzen hochwahrscheinlich.“ Ähnliche Formulierungen wünscht mensch sich da natürlich auch bezüglich der Mitgliedschaft von Polizist*innen in rechten Chatgruppen.
In dem Artikel der Rheinischen Post werden auch Äußerungen weiterer Politiker*innen angeführt. Interessant ist da noch eine Äußerung von Claudia Roth, die folgendermaßen wiedergegeben wird: „Mit Blick auf frühere Aktionen, bei denen Lebensmittel auf Kunstwerke geschmiert worden waren, sagte sie, wenn sich die Debatte um die fragwürdigen Aktionsformen der Gruppierung drehten, überlagere dies die wichtige Diskussion über Maßnahmen gegen die Klimakrise“. Es stimmt schon, dass es sinnvoller wäre, wenn über konkrete Klimaschutzmaßnahmen und nicht über die Aktionsformen der Letzten Generation gesprochen werden könnte. Aber dies ist kein Vorwurf, der der Letzten Generation gemacht werden kann. In diesem Kontext sollte der Fokus weg von den Aktionen der Letzten Generation und hin auf die Reaktionen, die diese Aktionen hervorrufen, gelegt werden. Wir erleben eine immense verbale Kriminalisierung, in der Politiker verschiedenster Parteien und auch Vertreter der Polizei Klimaaktivist*innen gemeinsam als kriminell framen.
Zurück zum Ausgangspunkt: welche Rolle spielen Äußerungen von Politiker*innen und Polizist*innen bezüglich Klimaaktivisten und Klimaaktivismus? Insbesondere Politiker*innen, gerade dann, wenn sie ein ministerielles Amt ausüben, wirken durch ihre Äußerungen auf den öffentlichen politischen Diskurs ein. Sie machen politische Aussagen und sprechen mit diesen natürlich auch ihre (potentielle) Wählerschaft an. In Bayern stehen in nicht nähere Zeit Landtagswahlen an, daher lassen sich Forderungen nach repressive Maßnahmen gegen Klimaaktivist*innen unter den Oberbegriff ‚Law & Order‘ subsumieren, ein Feld in dem sich CDU und CSU seit jeher gerne profilieren. Die Äußerungen des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei sind, meiner Meinung nach, besonders kritisch zu sehen. Zwar entscheiden Polizist*innen nicht, was als ‚kriminell‘ gilt, aber gemeinhin würde mensch ihnen doch eine gewissen Kompetenz bezürlich dieses Themenbereichs zusprechen. Wenn nun nicht nur irgendein Polizist sondern der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei sagt, dass die Aktionen der Letzten Generation kriminell seien, dann steht das Gewicht der deutschen Polizei hinter einer solchen Aussage. Dies wirkt auf Menschen, auch auf die, die als Polizist*innen direkt mit der Letzten Generation zu tun haben.
Neben dem Aspekt, dass die oben genannten Personen einen besonderen Status im öffentlichen Diskurs haben (vermeindliche Kompetenz, Reputation), ist die aktuelle Debatte über die Letzte Generation unter zwei Gesichtspunkten sehr kritisch zu sehen. Erstens werden gerne allgemeine Formulierung der Form ‚die kriminellen Klimaaktivist*innen‘ verwendet, wobei nicht klar ist, ob damit nicht eventuell alle Klimaaktivist*innen gemeint sein sollen (die Formulierung lässt es jedenfalls zu). Zweitens wird von ‚Kriminellen‘ und nicht mehr von ‚Terrorist*innen‘ gesprochen. Dies ist diffiziler und nicht so offensichtlich falsch wie die Bezeichnung ‚Klimaterrorist*innen‘. Damit erregt eine solche Formulierung möglicherweise weniger Widerspruch und wird eher akzeptiert als eine Bezeichung wie ‚Klimaterrorist*in‘. Daher finde ich diese verbale Kriminalisierung als durchaus gefährlicher als leichter zu durchschauende Terrorist*innenframing.
Nachtrag: Zu diesem Thema habe ich ein Radiointerview bei Radio Dreyeckland gegeben, hier der Link zum Beitrag.
Ein Kleintransporter eines Logistikunternehmens mit der Aufschrift „GLS versendet alle Ihre Pakete 100% klimaneutral“. Durch Großdruck ist „100% klimaneutral“ hervorgehoben. Als ich dann sah, dass es sich bei dem Fahrzeug um einen VW Crafter – also einen kleineren LKW mit Verbrennungsmotor – handelt, fragte ich mich, was denn „100% klimaneutral“ hier bedeuten soll.
Wie kann GLS 100 klimaneutral sein, wenn die Lieferfahrzeuge der Firma mit Verbrennungsmotor fahren? Auf der Homepage der Firma findet sich eine Erklärung, wie „100% klimaneutral“ zu verstehen sind. Dort heißt es: „Mit Klima Protect stellen wir Pakete sowohl in Deutschland als auch im Ausland klimaneutral durch Kompensation zu.“ GLS will also Klimaneutralität durch Kompensation erreichen. Die verursachten CO2-Emissionen sollen durch die Investition in bestimmte Projekte ausgeglichen werden.
Bezüglich der Kompensationsprojekte ist GLS transparent und gibt an, dass sie Waldschutz und den Ausbau erneuerbarer Energien unterstützen. Konkreter: GLS unterstützt den Ausbau von Windenergie in Indien, zwei Waldschutzprojekt im Amazonas, die ein Abholzen des Regenwalds verhindern sollen, sowie ein Solarenergieprojekt. Das sind tolle Projekte und wenn GLS tatsächlich zur Finanzierung dieser Projekte beiträgt, finde ich das prima. Aber ist es legitim zu behaupten, dass GLS Pakete wirklich klimaneutral zustellen würde?
Wie stelle ich mir ganz naiv Klimaneutralität vor? Im Idealfall bezeichnet ‚klimaneutral‘ einen Vorgang, der bezüglich der CO2-Emissionen neutral ist. Darunter würde ich verstehen, dass dieser Vorgang keine CO2-Emissionen verursacht. Die Paketzustellung würde also mit 0 (= Null) CO2-Emissionen erfolgen. Auf die reine Zustellung bezogen: keines der seitens von GLS beteiligten Fahrzeuge verursachte CO2-Emissionen. Das wäre möglich, wenn die gesamte GLS-Flotte aus Elektrofahrzeugen bestünde, die zum Beispiel Solarstrom tanken. Da GLS aber Fahrzeuge mit Verbrennermotor in der Flotte halt, ist dieses Verständnis von ‚Klimaneutralität‘ zu strikt.
‚Klimaneutralität‘ könnte auch bedeuten, dass es Maßnahmen gibt, die eine direkte CO2-Aufnahme im Umfang des emittierten CO2 verursachen. Dies könnte beispielsweise in Aufforstungsprojekten bestehen, sodass eine entsprechende Menge Bäume, die das emittierte CO2 binden, gepflanzt werden. Damit gäbt es ein Gleichgeweicht zwischen CO2-Ausstoß und der CO2-Aufnahme. Aber die von GLS angeführten Projekte sind keine Aufforstungsprogramme. Zwar schützen die von GLS unterstützten Programme den Regenwald, aber dadurch wird nicht unmittelbar mehr CO2 gebunden. Genauso sieht es mit den Ökostromprojekten aus. Auf diese Weise kann CO2-neutral Strom erzeugt werden, ob aber wirklich ein Ausgleich in der CO2-Bilanz stattfindet – also soviel CO2 eingespart wird, wie GLS emittiert hat – , ist eine ganze andere Frage. Der Ausbau erneuerbarer Energieproduzenten kann dazu führen, dass fossile Kraftwerke weniger gebraucht und damit deren Emissionen zurückgefahren werden. Aber diesnergibt sich nichts zwangsweise. Eventuell kommen die Windräder auch nur als zusätzliche Stromproduzenten hinzu, sodass sich kein Rückgang mit den Emissionen ergibt.
Die von GLS unterstützten Projekte mögen ökologisch sinnvoll sein, sie gleichen aber nicht direkt die CO2-Emissionen der Firma aus. An keiner Stelle folgt unmittelbar, dass CO2-Einsparungen oder gar eine CO2-Aufnahme auf dem gleichen Niveau entsprechend der GLS-Emissionen folgt. Die Bezeichnung „100% klimaneutral“, die GLS sich selbst gibt, trifft nicht zu.
Aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit, wie ‚Klimaneutralität‘ zu verstehen sein könnte. Das ist die Kompensation von CO2-Emissionen in einem Sektor durch Investitionen in einem anderen Sektor, zum Beispiel der Investition in Windparkanlagen. Dies ist das Verständnis, das zum Beispiel auch das Europaparlament hat. Das Problem dabei ist: GLS emittiert weiterhin CO2 und investiert in Projekte, die nicht zwingend eine Verminderung von CO2-Emissionen nach sich ziehen. Netto kann es am Ende bedeuten, dass GLS seine eigenen Emissionen ausgleichen kann. Es muss aber nicht sein, dass die Klimakompensation im vollen Umfang zur Aufnahme von CO2 im von GSL emittierten Umfang beiträgt. Der Schutz des Amazonas – so wichtig dies auch ist – ist nicht dasselbe wie eine Wiederaufforstung. Der Bau von Windkrafträdern muss nicht dazu führen, dass irgendwie in Indien CO2-Emissionen reduziert werden. Dann sieht es mit der Netto-Null bei GLS deutlich kritischer aus. Diese Form der Klimakompensation ist damit kompatibel, dass am Ende mehr statt weniger CO2 in der Atmosphäre ist. Das ist alles, aber sicherlich nicht klimaneutral.
Klimakompensation ist zudem eine Strategie, die suggeriert, dass klimaschädliche Technologien bedenkenlos weiterverwendet werden können, wenn an anderer Stelle dafür Klimaschutzprojekte unterstützt werden. Auf diese Weise lassen sich die schlimmsten CO2-Emittenten, wenn sie denn nur Klimakompensation betreiben, als klimaneutral bezeichnen. Tatsächlich bedarf es aber der Reduktion von CO2-Emissionen und nicht ihres Ausgleichs. Wir brauchen den Schutz des Amazonas sowie Ökostrom, aber ohne, dass im Ausgleich dafür Logistikunternehmen weiterhin CO2 emittieren dürfen.
GLS geht einen üblichen Weg, in dem das Label ‚klimaneutral‘ mit Klimakompensation in zertifizierten Umweltprojekten verknüpft ist. Der Begriff ‚klimaneutral‘ meint jedoch in diesem Kontext nicht, dass ein Vorgang wie die Paketzustellung wirklich neutral im Bezug auf klimaschädliche Emissionen ist. Denn das, was GLS an CO2 emittiert, wird nicht (im gleichen Ausmaß) der Atmosphäre wieder entzogen. Mit dem Label ‚Klimaneutralität‘ wird greenwashing betrieben, mit dem Unternehmen sich ein ökologisches Image geben trotz klimaschädlichem Verhaltens geben können.
Das Label ‚klimaneutral‘ hat bereits in der Vergangenheit die Wettbewerbszentrale beschäftigt, da es zu einem wichtigen Werbelabel geworden sei. Es muss, so die Wettbewerbszentrale, in der Werbung erkenntlich sein, ob ein Unternehmen die angestrebte Klimaneutralität durch eigene Maßnahmen (Verringerung der Emissionen) oder durch Kompensationsmaßnahmen erreicht. In einer Pressemitteilung der Wettbewerbszentrale dazu heißt es: „Es führt zu Wettbewerbsverzerrungen, wenn Unternehmen, die konventionell weiter wirtschaften und ausschließlich Zertifikate kaufen, ohne weitere Aufklärung mit „klimaneutral“ werben, während andere Unternehmen auch mit „klimaneutral“ werben, aber mit großem Aufwand ihren CO2-Ausstoß erheblich verringert haben.“
Die Bezeichnung ‚100% klimaneutral‘ empfinde ich als Werbeslogan auf dem Fahrzeug von GLS als irreführend, erst der Blick auf die Homepage macht deutlich, dass GLS Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreichen will. Vielleicht ist das ausreichend, um das zu beurteilen fehlt mir die nötige Expertise. Aber es zeigt sich, dass bei jedem Unternehmen, das von sich als ‚klimaneutral‘ wirbt, genau hingesehen werden muss, was das Unternehmen denn unter ‚Klimaneutralität‘ versteht, welche Maßnahmen konkret ergriffen werden – und wie diese wirklich zur CO2-Reduktion beitragen – und welche CO2-Emissionen durch dieses Label eigentlich grün gewaschen werden sollen.
Wie die RP den Umgang dem festgeklebten Klimaaktivist*innen empfiehlt
Wir befinden uns mitten in der Klimakrise, daher ist es begrüßenswert, wenn Zeitungen praktische Hilfestellungen anbieten. Dankenswerterweise hat auch die Rheinische Post reagiert und gibt nun eine Hilfestellung, wie Mensch in der Klimakrise agieren kann. Unter dem Titel „Darf man Klima-Kleber als Autofahrer selbst wegtragen?“ geht die RP genau dieser Frage nach.
Befragt wird ein – wie es heißt – renommierter Düsseldorfer Rechtsanwalt. Er räumt ein, dass Autofahrer*innen nicht einfach so selbstständig eine Straße räumen dürfen, wenn „Klima-Kleber“ diese blockieren. Aber, so heißt es im Verlauf des Artikels, es gibt durchaus Anlässe, in denen Autofahrer*innen aktiv werden dürfen. Hier die entsprechende Stelle aus dem Artikel:
„Anders könnte es sein, wenn über die bloße körperliche Anwesenheit der Kleber ein besonderer Druck auf mich ausgeübt wird, weil ich etwa durch die feste Verbindung der Personen mit der Straße tatsächlich und nicht nur psychisch am Weiterfahren gehindert werde. Dann dürfte ich unter Notwehrgesichtspunkten versuchen, die Personen zu entfernen“, so Bott weiter.
Also: sitzt ein Klimaaktivist oder eine Klimaaktivistin auf der Straße, dann dürfen Autofahrer*innen nicht selbstständig aktiv werden und versuchen die Straße zu räumen. Kleben sich Klimaaktivist*innen auf die Straße, sieht die Sache anders aus. Im Artikel heißt es, dass bislang Polizist*innen die an der Straße festgeklebten Klimaaktivist*innen von der Straße gelöst hätten. Im Artikel fehlt aber ein Hinweis, dass man festgeklebte Aktivist*innen nicht einfach so entfernen kann. Das Klebemittel muss sorgsam gelöst werden, damit es nicht zu Verletzungen kommt. Es wäre interessant gewesen, wie sich Herr Bott – aber noch mehr die RP – über mögliche Verletzungen der Klimaaktivist*innen durch unsachgemäßes Wegtragen durch Autofahrende äußern würde.
Ich glaube ja nicht, dass die RP möchte, dass Klimaaktivist*innen absichtlich verletzt werden. Aber es wäre doch nicht verkehrt gewesen zu sagen, dass festgeklebte Aktivist*innen nicht einfach weggetragen werden können. Um es deutlichzu sagen: Menschen, die sich festgeklebt haben, können nicht einfach weggeztragen werden, ohne sie zu verletzten. Das Lösen der festgeklebten Hände sollte der Polizei überlassne werden, die – wie es auch im Atrtikel heißt – dazu explizit geschult wird. Liebe RP, bitte weist doch auf diesen Umstand explizit hin und macht deutlich, dass das Wegtragen festgeklebter Personen zu Verletzungen führt!
In dem Artikel der RP wird immer wieder von „Klima-Klebern“ gesprochen, die Klimaaktivist*innen werden auf einen Umstand – sie kleben sich aus Protest u.a. auf Straßen fest – reduziert. Die RP schreibt explizit: „[…] dabei kleben sich Mitglieder der Bewegung regelmäßig auf Hauptstraßen fest, um den Verkehr zu blockieren“. Diese Aussage suggeriert, dass es der Letzten Generation lediglich um eine Verkehrsblockade geht. Das ist aber nicht das Anliegen, es geht um eine Störung der normalen Abläufe, um auf klimapolitische Ziele aufmerksam zu machen. Die Anliegen der Letzten Generation sind recht einfach zusammenzufassen: (i) Tempolimit von 100 hm/h auf Autobahnen und (ii) ein dauerhaftes 9 Euro-Ticket.
Das Framing der RP nimmt den Aktivist*innen der Letzten Generation ihre klimapolitische Ziele und reduziert sie zu bloßen Störer*innen. Dieses Framing ist nicht dazu geeignet, Autofahrer*innen von unnötigen Maßnahmen gegen festgeklebte Klimaaktivist*innen abhalten. Es ist zu hoffen, dass Autofahrer*innen den Bericht der RP einzuschätzen wissen und sich nicht dazu veranlasst fühlen, Klimaaktivist*innen ohne sachgemäße Lösung von der Straße zu tragen.
Die RP und alle Autofahrer*innen, die sich durch die Aktionen der Letzten Generation gestört fühlen, könnten auch etwas tun, damit diese Aktionen beendet werden. Setzt euch für ein Tempolimit von 100 km/h auf Bundesautobahnen und ein 9 Euro-Ticket ein. Beides hätte deutliche Klimaschutzeffekte und – im Nebeneffekt – würde die Erreichung dieser Ziele die Letzte Generation (vermutlich) von der Straße bringen.
In der Rheinischen Post, aber auch in anderen Medien, gab es einen Artikel mit dem Titel „In Lützerath hat längst der harte Kern das Sagen“ (veröffentlicht am 26.10.2022). Grundlegend geht es in dem Artikel um die wohlmögliche Räumung Lützeraths. Der Artikel ist ein Interview zwischen Maximilian Plück – Leiter Redaktion Landespolitik – und Michael Mertens, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei.
Die Fehler aus dem Hambacher Forst dürfen nicht wiederholt werden
Grundtenor der Aussagen Mertens ist: aus den Fehlern, die im Hambacher Forst gemacht wurden, müssen wir lernen. Statt alles auf einmal zu räumen und dann aufwändig zu bewachen, lieber in kleineren Etappen räumen und direkt roden. Interessant, dass dies die wesentliche Erkenntnis Mertens von der Räumung des Hambacher Forsts ist. Andere Menschen denken eher daran, dass die Räumung von Baumhäusern im Jahr 2018 nachträglich als rechtswidrig eingestuft wurde (z.B. hier in der ZEIT nachzulesen). Statt an Polizeitaktik denken viele Menschen auch eher an den Tod von Steffen Meyn (etwa hier in der TAZ nachzulesen).
Lützerath: Tunnel, Festung und harter Kern
In dem Interview geht es unter anderem um die Frage, was die Polizei bei einer Räumung zu erwarten habe. Mertens spricht von Tunneln und dem Ausbau Lützeraths als Festung. Er spricht davon, dass dort der ‚harte Kern‘ tonangebend sei und es zu einer Verbarrikadierung kommen dürfte.
Unklar ist, wer mit ‚harter Kern‘ genau gemeint sein soll? Sind damit Menschen gemeint, die sich seit Jahren für den Erhalt Lützeraths und einen Ausstieg aus dem Braunkohletagebau einsetzen? Mertens bleibt vage. Er verwendet jedoch das Wort ‚Besatzer‘, das momentan auch häufiger im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg verwendet wird. Dieser Begriff hat eine deutlich militärische Konnotation. Über diese ‚Besatzer‘ sagt Mertens, dass er nicht verstehen kann, warum von ihnen das Eckpunktepapier zum Kohleausstieg „so klein gemacht wird“. Eine Erklärung warum dieses Eckpunktepapier nicht nur klein gemacht wird, sondern abgelehnt wird, habe ich hier anzubieten. Mertens Meinung nach fehlen also weitere Gründe für den Protest, denn er gäbe ja einen guten Ausstiegskompromiss.
Interessant sind aber vor allem die Tunnel, die es in Lützerath geben könnte. Denn solche Tunnel werden nicht zum ersten Mal erwähnt.
Schon wieder diese Tunnel
Die Rheinische Post schrieb 2018 schon einmal über Tunnel schrieb. Damals soll es Tunnel im Hambacher Forst gegeben haben, die „an Anlagen aus dem Vietnamrieg“ erinnern sollten. Der Spiegel hat darüber berichtet, aber auch über die verantwortliche Polizeibehörde in Aachen. Diese twitterte, dass sie den Bericht nicht bestätigen könne und von der Existenz solcher Tunnel nichts wisse. Die RP besteht jedoch darauf, dass es diese Tunnel – zumindest laut internen Polizeidokumenten – gegeben haben soll. Beispielsweise N-TV berichtet zwar von Gruben, in denen sich Klimaaktivisten ‚verschanzt‘ hatten. Die angeblichen „Schmuggelrouten, um Waffen und Krawallmacher in den Forst zu bringen“ – so die RP – waren das aber nicht.
Nun wird also wieder vor Tunnel in der RP gewarnt. Diesmal muss sich die RP nicht auf interne Polizeidokumente beziehen, sondern hat Michael Mertens, der diese Aussage nun vornimmt. Wörtlich sagt er: „Es steht zu befürchten, dass auch in Lützerath wieder Tunnel gegraben worden sind“. Der Vergleich mit dem Vietnamkrieg fehlt diesmal, aber Belege für eine solche Aussage werden auch diesmal nicht vorgebracht.
Verbale Vorbereitung eines harten Polizeieinsatzes
Es ist kritisch zu sehen, wenn ein jemand in der Position von Herrn Mertens die Klimaaktivisten in Lützerath pauschal als ‚harten Kern‘ – gemeint ist wohl radikal und gewaltbereit – bezeichnet und ohne Belege vor erneuten Tunneln warnt, obwohl es diese Tunnel schon im Hambacher Forst nicht gab. Sogar die
Dieser Beitrag wurde am von J20E06 in Framing, Rheinischer Braunkohletagebau veröffentlicht. Schlagworte: Framing, Lützerath, Rheinische Post.
In letzter Zeit wird viel darüber diskutiert, ob Lützerath ein Symbol ist. Kritisch heißt es dazu in der Presse, beispielsweise in der Rheinischen Post am 6. Oktober 2022, dass „Lützerath […] das falsche Symbol für die Klimapolitik“ sei. Ein Symbol ist ein Zeichen. Ein bekanntes Symbol ist die Abbildung eines Herzens, das für ‚Liebe‘ oder etwa in sozialen Medien (z.B. Twitter) für ‚Gefallen‘ steht.
Wenn Lützerath ein Symbol ist – wenn auch nach Meinung einiger ein ‚falsches‘ – , wofür steht Lützerath denn dann? Der Autor des RP-Meinungsartikels spricht davon, dass Lützerath ein (falsches) Symbol für die Klimapolitik sei. Warum? Der Kompromiss zwischen Bundes- und Landesregierung auf der einen Seite – genauer den Wirtschaftsministerien im Bund und im Land NRW – und RWE sieht einen vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung vor: 2030 statt 2038. Dadurch wird weniger Braunkohle abgebaut und 280 Millionen Tonnen CO2 werden eingespart. Zudem werden unter anderem die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts gerettet. Lediglich, so der Autor, Lützerath werde abgebaggert.
Die Situation ist aber doch komplexer. Es werden Dörfer nicht abgebaggert, die eigentlich abgebaggert werden sollen. Aber das heißt nicht, dass die Dörfer gerettet sind. Gerettet ist Grund und Boden, nicht aber das dörfliche Leben. Das ist durch die vorhergehenden Umsiedlungsmaßnahmen deutlich gestört worden, dörfliche Infrastruktur ging verloren. Dass die Dörfer als lebendige Ortschaften gerettet sind, kann man also nicht sagen. [Das Thema habe ich auch in einem anderen Beitrag angerissen.]
Genauso wenig kann man sagen, dass nur Lützerath abgebaggert wird. Abgebaggert wird mehr Fläche und es geht nicht nur um die Fläche, sondern um die Intention hinter dem Abbaggern. Das Abbaggern erfolgt um Braunkohle zu gewinnen. Die Braunkohle soll verstromt werden. Richtig, es wird weniger Braunkohle verstromt als bei einem späterem Kohleausstieg, aber die genauere Menge ist noch unklar. Denn über 2030 hinaus wird es einen Reservebetrieb bei der Braunkohleverstromung geben. Wie viele Kraftwerksblöcke in die Reserve gehen werden, ist noch unklar. Aber das kann bedeuten, dass über 2030 hinaus Braunkohleverstromung möglich sein wird. Die dafür benötigten Kohlemengen dürfen auch nach 2030 abgebaut werden. [Siehe dazu auch meinen Beitrag zum Eckpunktepapier.]
Werden also wirklich 280 Millionen Tonnen CO2 eingespart? Unklar, denn es sollen Gaskraftwerke errichtet werden, die Mitte der 2030er Jahre vollständig auf Wasserstoff umgestellt sein sollen. Durch die Gasverstromung werden weitere Emissionen erzeugt. Und der Wasserstoff? Wenn er nicht ‚grün‘ produziert wird, sind mit seiner Produktion ebenfalls weitere Emissionen verbunden. Dass er ‚grün‘ produziert werden wird, ist im Eckpunktepapier nicht deutlich festgelegt. Es ist also vollkommen unklar, wie hoch die Einsparungen, die durch das Eckpunktepapier zustande kommen könnten, wirklich sein werden.
Für die Klimabewegung geht es weniger darum, was eingespart wird, als darum, was nicht eingespart wird. Ungefähr so viele Tonnen Kohle wie eingespart werden sollen, sollen auch noch verstromt werden. Ein Teil dieser Kohle – aber eben nur ein Teil – liegt unter Lützerath. Zentral ist, dass das Eckpunktepapier die Intention hat, dass Deutschland das 1,5 Grad-Ziel nicht verfehlt. Das Ziel kann (hypothetisch) nur erreicht werden, wenn die CO2-Emissionen deutlich verringert werden. Statt 280 Millionen Tonnen Kohle dürfen maximal 70 Millionen Tonnen Braunkohle verstromt werden.
„Der Verlust Lützeraths mag schmerzlich sein, ist aber zu verkraften“, heißt es in dem RP-Artikel. Schmerzlich ist nicht der Verlust von Lützerath, sondern die zu große Kohlemenge, die abgebaggert und verstromt werden darf. Verkraften kann das Klima dies nicht.
„An der Erreichung des 1,5-Grad-Zieles – selbst heruntergebrochen auf das Land NRW – ändert die Rettung des Weilers so gut wie nichts“, wird weiter in dem Artikel gesagt. Für die Klimaschutzbewegung ist Lützerath aber der Ort, an dem die 1,5 Grad-Grenze symbolisch verteidigt wird. Natürlich liegt diese nicht physisch in Lützerath und natürlich ist es egal, ob Lützerath abgebaggert wird oder nicht. Die 1,5 Grad-Grenze könnte auch noch gehalten werden, wenn Lützerath abgebaggert wird. Aber nur, wenn die Kohlemengen, die RWE abbaggern und verstromen darf, noch weitergehend beschränkt werden.
Das Wirtschaftsministerium NRW schreibt ergänzend zu dem Eckpunktepapier , dass der frühere Kohleausstieg alleine nicht für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels ausreicht, eben auch weil erst einmal höhere Emissionen erfolgen werden. Folgendes interessante Zitat findet sich dort auf Seite 3:
„Diese zusätzlichen Emissionen bedeuten, dass auch in den anderen Sektoren kurzfristig substanzielle Emissionsminderungen erfolgen müssen, um das Ziel zu erreichen, NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion zu machen. Der Kohleausstieg alleine reicht hierfür nicht aus. Das 1,5 Grad Ziel bleibt global ein wichtiges Ziel.“
(Fragen und Antworten zum Eckpunktepapier)
Um die eigenen Klimaziele zu erreichen, müssen andere Bereiche nun mehr Einsparungen bringen. Konkret wird aber nicht genannt, wie das erfolgen soll. Klar sollte sein: wer keine Ziele definiert, kann sie auch nicht erreichen. Nur zu sagen, woanders müssen Einsparungen erfolgen, kompensiert noch keine Mehremissionen. Es müssen klare Einsparziele – und am besten auch die Wege zu ihrer Erreichung – benannt werden, damit die Mehremissionen der Braunkohleverstromung, die in den nächsten Jahren anstehen, kompensiert werden können.
Ist Lützerath also, wie es in dem RP-Artikel heißt, das falsche Symbol für die Klimapolitik? Taugt das ‚leergeräumte Dorf‘, wie es im Artikel formuliert ist, überhaupt als Symbol? ‚Leergeräumt‘ ist Lützerath nicht wirklich, vielmehr ist Lützerath voll Kreativität, Leben und Bereitschaft die 1,5 Grad-Grenze zu verteidigen. Denn Lützerath ist ein Symbol für den Versuch die 1,5 Grad-Grenze einzuhalten. Das Abbaggern von Lützerath wird aber unweigerlich auch zum Symbol werden, zu einem Symbol dafür, dass die Politik einen Weg eingeschlagen ist, der die Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze – egal ob dies überhaupt noch realistisch ist – unmöglich macht. Lützerath steht also nicht nur für den kleinen Ort, der nun abgebaggert werden soll, sondern symbolisch für eine Klimapolitik, die entweder konsequent dem 1,5 Grad-Ziel verpflichtet ist oder eben nicht.
Symbole haben ihre Bedeutung aufgrund einer Konvention, sie werden symbolisch von Menschen für etwas verwendet. Es ist zu spät Lützerath nicht zum Symbol zu machen, denn zumindest für Klimaaktivisten ist Lützerath bereits ein Symbol. Die Symbolik wird dem Ort aber auch durch die Presse zugeschrieben, wenn es beispielsweise im Spiegel heißt, dass Lützerath der Ort sei, „den Greta Thunberg heiliggesprochen hat“. Greta Thunberg wird hier metaphorisch als Kirchenoberhaupt dargestellt, denn nur solche können ‚heilig sprechen‘. Die Klimabewegung wird durch diese Metapherals religiöse Bewegung (Sekte?) angesehen. Charakteristisch an Religion ist aber, dass es ein Glaubenssystem ist, welches nicht an die Wissenschaft gebunden ist. Fridays for Future, die von Greta Thunbergs Schulstreikts inspiriert sind, haben aber kein Oberhaupt und stehen fest auf dem Boden der modernen Wissenschaft. Einer der zentralen Sätze Thunbergs ist es immer wieder, dass die politischen Entscheider der Wissenschaft zuhören sollen! Die Bezeichnung ‚Klimasekte‘ findet sich in rechten Kreisen öfter einmal, wenn über Klimaaktivisten gesprochen wird. Beispielsweise in einem Beitrag der Tagespost. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff ist auf www.volksverpetzer.de zu finden.
In einem anderen Spiegelbeitrag wird sogar ein Abkommen, nämlich der vorgezogene Klimaausstieg, von Gerald Traufetter als Symbol bewertet. Aufgrund dieses Symbols, so schreibt er in seinem Meinungsartikel, können „[d]ie Klimaaktivisten […] deshalb ruhig von den Bäumen kommen“. Man könnte glatt den Eindruck gewinnen, dass der Autor implizit Klimaaktivisten als Affen, die den ganzen Tag auf Bäumen ‚rumsitzen‘, bezeichnen möchte. Aber das ist eine andere Frage.
Rund um das Thema ‚Lützerath‘ mangelt es nicht an Symbolbildung und Symbolen. Zum Schluss aber noch einmal zurück zum RP-Artikel, dieser spricht Lützerath eine symbolische Bedeutung ab: Lützerath muss weg, andernfalls ist die Energiesicherheit in Gefahr. Egal ob das stimmt oder nicht, es hat nichts mit dem Anliegen der Klimaaktivisten zu tun. Der Klimaschutzbewegung geht es darum, dass die Emissionen drastisch gesenkt werden müssen, was nicht geht, wenn Lützerath abgebaggert wird. Energiesicherheit wird verbal gegen die Klimakrise ausgespielt.
Die Kritik an Lützerath als ‚falschen Symbol‘ ist stark verkürzt, da die eigentliche Problematik – zu geringere Reduktion der Kohlemengen und zu hohe Emissionen – in dem Artikel (wie auch in vielen anderen) gar nicht angesprochen wird. Sicherlich ist der frühere Kohleausstieg ein Erfolg, da es zu Einsparungen in den CO2-Emissionen kommt. Aber es ist nur ein kleiner Schritt in Zeiten, in denen riesige Schritte notwendig wären.
Reden wir über Symbole, reden wir auch über Bedeutung. Welche Bedeutung Lützerath für Klimaaktivisten hat, habe ich oben geschildert. Wenn aber nun jemand davon spricht, dass Lützerath ein ‚falsches Symbol‘ sei, dann ist im Fall des genannten RP-Artikels gemeint, dass die Maßnahmen, die im Eckpunktepapier skizziert sind, ausreichen. Sprachlich wird weiteren Protesten zum Erhalt Lützeraths – und damit zur weiteren Eindämmung der Abbaumengen – delegitimisiert und als nicht notwendig dargestellt. Wer dem glaubt, der wird nicht nur den Abriss, sondern auch die Räumung Lützeraths befürworten und der Meinung sein, dass ein Kompromiss mit RWE ein großer Erfolg für den Klimaschutz sei. Weil Klimaaktivisten aber anderer Meinung sind, ist Lützerath genau das richtige Symbol!
Ein Blick auf das Eckpunktepapier zum vorgezogenen Kohleausstieg in NRW
Die schwarz-grüne Landesregierung hat es geschafft: es gibt einen Konsens mit RWE bezüglich der Weiterführung des rheinischen Braunkohletagebaus. RWE will den Ausstieg aus den Braunkohletagebau 2030. Acht Jahre früher als bislang geplant. Die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts sollen nicht mehr in Anspruch genommen – also abgebaggert – werden. Soweit, so gut. Lützerath soll jedoch abgebaggert werden können.
Diskussionen über die Interpretationen des Konsens setzen ein, sobald dieser auch nur bekannt war. Die zentrale Frage dabei ist: wie hältst du es mit Lützerath? Dass RWE Lützerath abbaggern darf – und wohl wird –, haben einige Klimaaktivisten als Bruch für den Grünen und der Klimaschutzbewegung gesehen. Ander sagen dagegen, dass die Grünen (als kleiner Koalitionspartner im Bund und in NRW) einen riesigen Erfolg erreicht haben, denn der vorgezogene Braunkohleausstieg sei ein großer Gewinn.
Es lohnt sich einmal einen Blick in das Eckpunktepapier mit dem sperrigen Titel „Politische Verständigung zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dem Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen und der RWE AG zum vorgezogenen Kohleausstieg 2030 im Rheinischen Revier“ zu werfen. Hier der Link zum Dokument: https://t.co/SulG3MtfAY.
Die Präambel
In der Präambel wird sich dazu bekannt, dass der menschengemachte Klimawandel eine der größten Herausforderungen unserer Zeit sei (Seite 1). Dadurch, dass der Klimawandel als eine der größten Herausforderungen dargestellt wird, ist Platz für weitere große Herausforderungen. Je nach Blickwinkel ist dies eine Ab- oder Aufwertung der Klimaproblematik. Man kann sagen, dass die Bedeutung der Klimakrise relativiert wird, da sie das alles dominierende Problem darstellt. Dies wäre die Sichtweise der Klimaaktivisten. Im Gegenzug kann man sagen, dass eine Anerkennung der Klimakrise als eine der größten Herausforderungen vorgenommen wird. Aus dieser Perspektive könnte man sagen, dass CDU und RWE einen Schritt in Richtung Akzeptanz der Bedeutung des Problems gemacht haben.
Sprachlich geht es sogar noch einen Schritt weiter, denn im zweiten Satz wird das Wort Klimakrise verwendet. Diese, so heißt es da, können wir nur gemeinsam bewältigen. Das Wort Klimakrise hat die CDU in ihrem Wahlprogramm noch gekonnt umschifft, die Grünen konnten es aber in den Koalitionsvertrag einbringen. [Dazu etwa mein Beitrag zu diesem Thema hier.] Sicherlich liegt es auch wieder an ihnen, dass das Wort in dem Eckpunktepapier auftaucht. Aber wer ist das wir, das die Klimakrise gemeinsam bewältigen muss? Einerseits soll es wohl für die Gemeinschaft stehen, anderseits steht es hier aber gerade auch für die Grünen, die CDU und RWE.
Als Ziel gibt die Präambel die Einhaltung des 1,5 Grad Zieles an. An diesem Ziel muss dann auch das Eckpunktepapier inhaltlich gemessen werden. Bieten die Vereinbarungen, die das Eckpunktepapier enthält, die Möglichkeit das genannte Ziel zu erreichen? Oder sorgen die Vereinbarungen dazu, dass das Ziel verfehlt wird?
Später sparen
Angenommen ich habe hohe Schulden und mir droht der Verlust meiner Wohnung. Mir ist klar, dass ich unnötige Ausgaben einsparen muss, damit ich mich nicht mehr verschulde und möglichst Schulden abzahlen kann. Nun frage ich zwei Freunde, wie ich mit meinen Schulden weitermachen soll. Der erste Freund rät mir, dass ich sofort so viele Ausgaben wie möglichst einsparen sollte und nicht mehr über meine Verhältnisse leben darf. Der zweite Freund rät mir, dass ich sparen sollte und dazu zwei Optionen habe. Erstens: in 16 Jahren könnte ich drastisch sparen oder – Option 2 – ich spare schon in acht Jahren drastisch, aber das soll ich damit kompensieren, dass ich die nächsten acht Jahre noch einmal über meine Verhältnisse lebe.
Klar, dass der erste Freund den besseren Vorschlag gemacht hat, oder? Die Autoren des Eckpunktepapier wurden jedoch von Freund 2 beraten. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat als eine Konsequenz, dass Deutschland versucht russisches Erdgas einzusparen. Als Folge sollen Braunkohlekraftwerke von RWE nicht abgeschaltet werden. Dazu heißt es auf Seite 1: „Um die Klimaschutzziele für 2030 trotz temporär steigender CO2-Emissionen einhalten zu können, kommt der weiteren Beschleunigung des Kohleausstiegs auf 2030 eine ungleich größere Bedeutung zu“. Konkret: erst einmal haben wir höhere Emissionen, dafür steigen wir aber auch acht Jahre früher aus. Hier wird aber verkannt, dass wir uns höhere Emissionen nicht erlauben können, sondern sofort eine Reduktion der Emissionen notwendig ist. Wir können uns keine kurzfristigen höheren Emissionen durch Einsparungen in der Zukunft erkaufen: die Klimakrise ist jetzt, nicht erst 2030.
Konkret
Die Kraftwerksblöcke Neurath D & E sollten eigentlich 2022 vom Netz gehen, werden aber voraussichtlich bis 31.03.2024 weiterlaufen dürfen. Dabei wird die Möglichkeit eingeräumt, dass die Kraftwerksblöcke bei Bedarf auch bis zum 31.03.2025 weiterlaufen könnten. Es ist somit unklar, wie hoch die tatsächlichen Emissionen, die der Weiterbeitrieb mit sich bringen wird, am Ende sein werden.
Die Vereinbarung rechnet aber vor, welche Kohlemengen im Boden bleiben und somit nicht verstromt werden sollen. Eigentlich sollte RWE bis 2038 noh bis zu 560 Millionen Tinne Kohle abbauen dürfen, nun ist die Menge auf 280 Millionen Tonnen halbiert worden. Für einige weitere Kraftwerksblöcke (Neurath F & G, Niederaußem K) soll damit die Abschaltung auf 2030 vorgezogen werden.
Aber der Weiterbetrieb der eigentlich Ende 2022 abgeschalteten Kraftwerkblöcke hat Folgen: es muss genügend Kohle bereitgestellt werden. Unter anderem muss deshalb Lützerath abgebaggert werden. Es wird auf Seite 2 wörtlich gesagt, dass „die notwendige Kohlebereitstellung insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Gasmangellage, […] eine kurzfristige Inanspruchnahme der von den ursprünglichen Bewohnern verlassenen und vollständig im Eigentum bzw. im Besitz von RWE stehenden Siedlung erforderlich macht“.
Lützerath muss gehen, damit die anderen Dörfer bleiben können
Lützerath muss aber nicht nur wegen der Kohle abgebaggert werden. Es wird Abraum zur Verfüllung des östlichen Restlochs gebraucht. Dieser muss aus dem laufenden Betrieb gewonnen werden. Das heißt: es liegt nicht noch genügend Abraum woanders herum und er kann auch nicht woanders her bezogen werden. „Die vereinbarten Abstandsflächen von rund 400 Metern zu Keyenberg und den weiteren Dörfern des 3. Umsiedlungsabschnitts und die 500 Meter zu Holzweiler sowie das Stehenlassen der Feldhöfe (Eggeratherhof, Roitzerhof, Weyerhof) führen dazu, dass wegen der benötigten Abraummengen keine Möglichkeit mehr besteht, um – entgegen der gerichtlichen Entscheidung – mit der Nichtinanspruchnahme von Lützerath praktisch eine Insellage für die Siedlung im Tagebau Garzweiler II herzustellen“ (Seite 2). Für mich liest sich dies folgendermaßen: weil die anderen Dörfer bleiben, muss der Boden unter Lützerath genutzt werden.
Was soll aus den Dörfern werden?
Wenn nun die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts erhalten bleiben sollen, was bedeutet das dann konkret? Die Dörfer haben Teile ihrer Infrastruktur verloren, viele Menschen haben bereits ihre Heimat verkauft und sich ein neues Zuhause aufgebaut. [Dazu auch mein Beitrag hier.] Die Vereinbarung sieht vor, dass RWE das Land „zu angemessenen Konditionen“ zur Verfügung stellen wird (Seite 4), damit jemand die Entwicklung und Revitalisierung übernimmt. Eine Möglichkeit des Rückkaufs ehemaliger Eigentümer wird ebenfalls angeführt.
Es bleibt abzuwarten, wie dieser Prozess am Ende ablaufen wird ob die Dörferdamit wieder belebt werden können.
Der für die Klimabewegung wichtige Hambacher Forst soll aus dem Besitz von RWE an das Land oder eine Stiftung übergehen. Im Text heißt es nur, dass der Besitz „übertragen““werden soll (Seite 4), es findet sich aber kein Hinweis darauf, ob dies gegen eine Bezahlung erfolgen soll.
Kompensation der fehlenden Kraftwerke
Wenn ab 2030 Kraftwerke abgeschaltet werden sollen, wo kommt dann der Strom her? Es sollen neue Kraftwerke gebaut werden, die auf Wasserstoffbasis tätig sind. Das große ABER kommt noch, denn die Kraftwerke sollen erst spätestens 2035 100% mit Wasserstoff laufen, ab 2030 immerhin zu 50%. Zunächst sollen die Kraftwerke mit Erdgas laufen und ab 2030 dann mind. 50% Wasserstoff, der Rest wohl weiterhin Erdgas. Erdgas? Sollen nicht die Braunkohlekraftwerke weiterlaufen, damit Erdgas eingespart wird? Ja, aber hier auch wieder zu verschiedenen Zeiten. Wir sparen jetzt (also bis 2024?) Erdgas ein, dafür nutzen wir mehr Kohle. Dafür wird es neue Kraftwerke geben, die erst einmal mit Erdgas laufen, aber wohl erst nach 2024.
Wichtig ist, dass der Wasserstoff CO2-frei sein soll. Wobei es nur heißt: „Die Umstellung auf CO2-freien Wasserstoff/Ammoniak soll so schnell wie möglich realisiert werden“ (S. 5). Wasserstoff ist CO2-frei, die Wasserstoffgewinnung aber nicht unbedingt. Die Formulierung ist daher zu unpräzise, denn wenn der Wasserstoff nicht ohne CO2-Emissionen gewonnen wird, dann ist es kein ‚grüner‘ Wasserstoff. Jedenfalls liest sich diese Passage nicht wie eine Verpflichtung zu ‚grünem‘ Wasserstoff.
Weitere Vagheiten finden sich bezüglich des Ausbaus ‚erneuerbarer‘ Energien. RWE „wird jedes Projekt in Deutschland realisieren, das machbar ist“ (Seite 5). Was bedeutet denn ‚machbar‘? Wer bewertet die Machbarkeit? Und wer ist für die Machbarkeit verantwortlich? Wird dies ’nur‘ eine Frage von Genehmigungsverfahren sein?
Immerhin gibt es ein Mindestziel an ‚erneuerbarer‘ Energie seitens RWE, das in der Vereinbarung genannt wird: 1 Gigawatt bis 2030 in NRW. [Zu meiner Kritik an dem Begriff ‚erneuerbare Energie‘ hier.] Die geplanten Gas-/Wasserstoffwerke sollen eine Kapazität von 3 Gigawatt haben. So richtig ist RWE also nicht auf Linie der ‚erneuerbaren‘ Energien eingeschwenkt. Auf einer Webseite von RWE liest man sogar, dass RWE in Deutschland im Bereich Solar- und Windenergie von gegenwärtig 600 Megawatt auf 5 Gigawatt bis 2030 wachsen will. Gehören die 1 Gigawatt in NRW in die Planung, die RWE sowieso hatte oder sind dies zusätzliche 1 Gigawatt ‚erneuerbare‘ Energien? Möglich das RWE dieses Ziel sowieso erfüllt hätte.
Ist 2030 denn wirklich Schluss?
Nicht unbedingt. Es wird eine Überprüfung geben, ob die modernsten der Kohlekraftwerke nach 2030 für ein paar Jahre in eine Reserve übergeben werden. Für einen Kraftwerkblock ist eine solche Reserve sowieso vorgesehen, 2026 wird entschieden, ob weitere in die kostenbasierte Reserve gehen müssen. RWE wird wohl über 2030 hinaus mit Kohlestrom – zumindest einer Kohlestromreserve – im rheinischen Revier Geld verdienen. Und die Kohle? „Die gegebenenfalls erforderliche Kohle kann im Bedarfsfall während des nach 2030 noch laufenden Rekultivierungsbetriebs des Tagebaus Garzweiler für einen begrenzten, mehrjährigen Zeitraum noch zu Verfügung gestellt werden, ohne dass sich die Wiedernutzbarmachung verändert“ (Seite 6). Klingt nach: ein eventuell nötiger Abbau kann auch nach 2030 noch erfolgen.
Eindruck
Die gesamte Vereinbarung ist sehr stark unter dem Eindruck einer „Gasmangellage“ verfasst worden. Auf diese wird häufig Bezug genommen und dabei ein Kompromiss zwischen Energiesicherheit und Kohleausstieg vorgenommen. Dabei sind ein paar gute Aspekte herausgekommen: zeitlich früherer Kohleausstieg, klare Perspektive für die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts. Aus Perspektive des Klimaschutzes ist insbesondere die kurzfristige erhöhte Emission durch das Weiterbetreiben von Kohlekraftwerken über 2022 hinaus grausam. Zudem ist in der Eckpunkteerklärung einiges vagen gehalten, was präziser sein muss, damit am Ende keine im Hinblick auf die Klimakrise halbgare oder gar negative Maßnahmen ergriffen werden.
Das Eckpunktepapier ist ein Kompromiss, Klimawissenschaftler müssen nun bewerten, ob dieser Kompromiss das Ziel – die 1,5 Grad-Grenze nicht zu überschreiten – zu erreichen erlaubt.
Was ist nun mit Lützerath?
Manche sagen, Lützerath stellt die 1,5 Grad-Grenze dar. Andere sagen, Lützerath ist doch nur ein Symbol der Klimabewegung. Ohne Frage, Lützerath ist ein Symbol und es sollte jedem – besonders bei den Grünen – klar sein, wie wichtig dieses Symbol für die Klimabewegung ist. Hätte es einen Kohleausstieg 2030 ohne die Proteste im Hambacher Forst und in Lützerath gegeben? Vielleicht ja, aber beide Proteste haben viele Menschen mobilisiert und auch einige der Grünen, die nun in Regierungsverantwortung sind, haben sich vor der Wahl in Lützerath gezeigt. Ja, Lützerath ist ein Symbol, aber es ist ein Symbol, das die Grünen genutzt haben und das, so empfinden es viele in der Klimabewegung, nun nach der Wahl von einigen Grünen fallengelassen wird.
Kann die 1,5 Grad-Grenze eingehalten werden, wenn Lützerath abgebaggert wird? Das sollen Klimawissenschaftler beantworten, dabei geht es aber weniger um den Symbolwert Lützeraths als um die tatsächlichen Auswirkungen auf das Weltklima.
Nachtrag (06.10.2022): Langsam sammeln sich doch noch einige Bedenken und Fragen bei mir, die ich hier gerne noch anführen möchte:
Es werden zwar Zahlen für die noch abzubauenden maximalen Kohlemengen angegeben, aber sind in diesen auch die Mengen für den Reservebetrieb beinhaltet?
Ist das aktuell laufende Bewilligungsverfahren für die Fortführung der Entwässerungsmaßnahmen damit hinfällig? Muss der Antrag angepasst werden? Dazu fehlt eine deutliche Aussage. Ein Kommentar zu diesem Antrag habe ich hier verfasst.
Warum wird nicht mehr auf Photovoltaikanlagen und Windenergie gesetzt, stattdessen soll Gas als Übergangslösung her. Das Verbrennen von Gas ist wiederum klimaschädlich und trägt damit nicht dazu bei, dass der Konsens zur Erreichung des 1,5 Grad-Ziels führt. Sind RWEs versprochene Investiationen in ‚erneuerbare‘ Energien eine Zusatzleistung oder sowieso in RWEs Plänen zum Ausbau dieser Energien enthalten gewesen? Musste RWE hier wirklich einen Kompromiss eingehen oder konnte das Unternehmen Ziele, die es sowieso schon hatte, in die Waagschale werfen?
Insgesamt erscheint mir der Kompromiss wie eine Mogelpackung. Einen Ausstieg 2030 wird es geben, aber mit einem unklaren Reservebetrieb. Kohlekraftwerke werden früher abgeschaltet, dafür dürfen ältere Kraftwerke erst einmal länger laufen und dazu auch mehr Emissionen produzieren. Die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts sollen erhalten bleiben, aber ein klares Bekenntnis dazu, dass die vorherigen Eigentumsverhältnisse wieder hergestellt werden, fehlt. Es ist einfach unklar, welche ‚Gewinne‘ die politische Koalition wirklich gegenüber RWE herausholen konnte, denn der Kohleausstieg 2030 war sowieso politisch schon gewollt. Es scheint, dass RWE gut gepokert hat und nicht zu sehr durch den Konsens belastet wird.
Einige Menschen kleben sich auf Autobahnen fest, andere besetzen ein Kohlekraftwerk. Klimaaktivist*innen wollen nicht nur freitags auf die Straße gehen und demonstrieren, sondern ihren Anliegen durch verschiedene Protestformen, die darauf ausgelegt sind, das niemand verletzt wird, Öffentlichkeit zu verschaffen. Solche Protestformen gefallen nicht jedem, vor allem nicht denen, die mit den Zielen der Aktivist*innen nicht (vollkommen) übereinstimmen. Aber bedeutet dies, dass die Klimaschutzbewegung – oder zumindest Teile – sich radikalisieren? Gibt es Extremismustendenzen in der Bewegung? Ja, wenn man dem Regensburger Extremismusforscher Prof Dr. Straßner folgt.
Radikalisierungstendenzen?
Zuletzt wurde diese Äußerung in einem Artikel der Rheinischen Post am 21. September 2022 veröffentlicht. Dies ist aber nicht das erste Mal, dass sich Straßner so über die Klimaschutzbewegung äußert. Im Jahr 2019 gab es einen Meinungsbeitrag in der WELT zu diesem Thema. Aber der Reihe nach. Der Beitrag 2019 hatte den Titel: „Ein Hilfeschrei der Jugend? Eher ein Vorbote extremistischen Denkens“. Straßners zentraler Punkt ist, dass die Klimaschutzbewegung – namentlich kritisiert in Form von Luisa Neubauer und Greta Thunberg – einer „gleichsam religiösen Logik“ folge und abweichende Meinungen als „Häresie“ ansehen würden. In dem Artikel liest man: „Befeuert von Klimageografen, die mitunter eine kritische Distanz zu ihrem Forschungsfeld vermissen lassen, werden Wissenschaftler als Heilige betrachtet, solange sie die eigenen Standpunkte teilen“. Die Äußerung Straßners suggeriert, dass die genannten Klimaaktivistinnen – die womöglich stellvertretend für die Klimaschutzbewegung stehen sollen – selektiv vorgehen und nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse akzeptieren, die ihrer Meinung entsprechen. Dabei wird aber ignoriert, dass hier keine selektive Wahl wissenschaftlicher Positionen vorliegt, sondern die Klimaschutzbewegung – auch gerade die genannten Aktivistinnen – sich auf dem Boden der Wissenschaft bewegen und hinter sich eine absolute Mehrheit aller relevanten Wissenschaftler vereint. Hier liegt also keine religiöse Logik vor, es geht nicht um subjektiven Glauben. Es geht um eine Klimaschutzbewegung, die auf dem Boden des Konsens der modernen Wissenschaft steht.
In dem jüngeren Artikel, der in der RP erschien, geht Straßner noch einen Schritt weiter. „Die Bewegung trage in Teilen Züge einer Sekte und erhebe einen absoluten Wahrheitsanspruch“ zitiert die Rheinische Post Straßner. Wird der Klimabewegung Sektierertum vorgeworfen, dann muss derselbe Vorwurf auch der absoluten Mehrheit aller (relevanten) Wissenschaftler gemacht werden. Oder soll der Vorwurf nicht so allgemein gelten, sondern sich auf einzelne Aussagen oder Forderungen beziehen? Im Artikel wird das nicht deutlich, die Kritik ist sehr pauschal.
Erinnerungen an die RAF
In dem Artikel heißt es weiter, dass sich Straßner durch einige Aktionen – genannt werden Straßen- und Kraftwerkblockaden – an die erste Generation der Rote Armee Fraktion erinnert fühlt. Also: auf der einen Seite die RAF, auf der anderen Seite ‚Extinction Rebellion‘, ‚Ende Gelände‘ und ‚Letzte Generation‘ – die drei Gruppen werden namentlich genannt. Macht ein solcher Vergleich Sinn? Straßner müsste es wissen, denn als Extremismusforscher hat er sich intensiv mit der RAF beschäftigt. Bislang aber, wie ein Blick auf seine Homepage zeigt, fehlen noch wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Klimabewegung. Wie kommt Straßner also zu diesem Vergleich? So heißt es seitens Straßners in dem Artikel: „Die Aktivisten behaupten von sich selbst, für eine ganze Generation zu sprechen. So diskriminieren sie systematisch andere Meinungen, und auch das ist ein Kennzeichen einer Radikalisierung“.
Es gibt also, so Straßner, Anzeichen einer Radikalisierung. Grund: Diskriminierung anderer Meinungen und den Anspruch für eine ganze Generation zu sprechen. Für die Diskriminierung fehlen mir bislang noch die Belege? Ist es Diskriminierung, wenn unwissenschaftliche Positionen, also Positionen, die in der Wissenschaft nicht akzeptiert werden, abgelehnt werden?
Der Vergleich zwischen der RAF und Klimaaktivisten ist, wie ich finde, sehr gewagt. Die RAF trat für eine politische Ideologie ein, die Klimaaktivisten für Klimaschutz. Im großen Unterschied zur RAF steht die Klimaschutzbewegung auf dem Boden der modernen Wissenschaft. Es geht also nicht um Ideologie oder einen vermeintlichen Wahrheitsanspruch, sondern um Behauptungen auf dem Boden der modernen, empirischen Wissenschaft, die auf einen enormen Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft stoßen.
Der RP-Artikel redet eine Entwicklung der Klimaschutzbewegung hin zu einer terroristischen Organisation bei. Zunächst wird ganz allgemein von Klimaaktivisten gesprochen, später einige Gruppen exemplarisch genannt. Es ist unklar, ob damit die gesamte Klimaschutzbewegung gebrandmarkt werden soll oder ob die terroristischen Tendenzen auf die drei genannten Gruppen beschränkt werden sollen. Vielleicht ist diese Unklarheit durchaus gewollt. Jedenfalls hoffe ich, dass sich Herr Straßner und die RP bewusst sind, dass alleine sein Titel und sein Forschungsschwerpunkt schon dafür sorgen, dass seinen Worten von einigen Menschen besondere Bedeutung beigemessen wird. Daher ist von jemandem, der sich als Extremismusforscher profiliert hat, zu erwarten, dass er nicht leichtfertig verkürzte Gleichsetzungen vornimmt, die (zumindest) Teile der Klimaschutzbewegung mit der ersten Generation der RAF gleichstellt. Dies ist eine Darstellung der Klimaschutzbewegung, die entweder eine Spaltung der Bewegung oder ihre Dämonisierung als Extremisten bewirken soll. Die RAF-Keule ist eine der stärksten rhetorischen Keulen, die in Deutschland zur Verfügung steht und zieht eine ganz Reihe negativer Assoziationen mit sich, die dadurch auf die Klimaschutzbewegung übertragen werden.
Die grüne RAF
Von einer grünen RAF sprechen einige andere Medien auch, zum Beispiel das RedaktionsNetzwerk Deutschland, und verweisen dabei auf Tadzio Müller, der in einem Spiegelinterview vor dem entstehen einer grünen RAF warnte. Man muss es deutlich sagen, er droht nicht damit, dass eine solche entstehen wird, sondern macht eine Aussage über das Frustrationspotential, das einige Klimaaktivist*innen haben und das sich als Folge eine solche Gruppe entwickeln könnte. Müller selbst spricht sich für zivilen Ungehorsam und die Störung von Betriebsmaschinen aus. Deutlich, das steht in eindeutigem Kontrast zur RAF, macht er aber klar, dass die Gefährdung von Menschenleben eine Grenze darstellt, zum Beispiel in einem Interview mit dem ZDF. „Völlig aufgehetzte und verblendete Klimaaktivisten, die in wahnhaften apokalyptischen Vorstellungen gefangen sind, könnten irgendwann diese Grenze überschreiten“, schreibt die Preußische Allgemeine. Groß wird auch hier gefragt, ob es zur Bildung einer grünen RAF komme. Klar, die Preußische Allgemeine ist eine Zeitung der Landsmannschaft Ostpreußen und eher im neurechten Spektrum zu verorten. Das Reden von einer grüne RAF passt hier natürlich gut ins Bild, da es die vermeindliche Gefahr, die von der Klimaschutzbewegung ausgeht, noch einmal schön betont.
Kann man auch anders über Radikalisierung sprechen?
Interessant ist, wie andere Medien die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung thematisieren. Die TAZ stellt 2021 unter der Überschrift „Radikalisierung der Klimabewegung“ etwa die Frage, ob nun die Zeit für mehr zivilen Ungehorsam gekommen sei. Ziviler Ungehorsam ist nicht gleichzusetzen mit Terrorismus. Im Deutschlandfunk hat sich ein anderer Politologe zur Radikalisierung der Klimaschutzbewegung geäußert. Man kann dort lesen, dass die Aktionen der ‚Letzten Generation‘ möglicherweise militante Minderheiten mobilisieren könnte. Er, das ist Michael Wehner (Universität Freiburg), hält radikale Gewaltakte – die man vielleicht eher mit der RAF in Verbindung bringen würde – für unwahrscheinlich. Gerade der letzte Beitrag zeigt, dass man auch kritisch mit den Aktionsmethoden der Klimaschutzbewegung umgehen kann, ohne auf ein negatives Framing zurückgreifen zu müssen.
Die Frage nach der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung kann und sollte gestellt werden. Denn wenn sich die Bewegung radikalisiert, wenn vielen alle halbe Jahr ein Klimastreik nicht mehr reicht, dann sagt dies etwas aus. Es sagt etwas darüber aus, dass Menschen der Meinung sind, die Schritte, in denen beim Klimaschutz vorangegangen wird, viel zu klein sind. Die Frage nach der Radikalisierung der Klimaschutzbewegung kann und sollte also gestellt werden, aber ohne falsche Gleichsetzungen und Vorverurteilungen einer (bislang) absolut friedlichen Protestbewegung. Die TAZ macht in dem oben genannten Artikel einen guten und ausgewogenen Job, dabei berücksichtigt sie insbesondere Beweggründe für die Radikalisierung von Teilen der Klimaschutzbewegung. Aber vor allem spricht die TAZ nicht (implizit) von Terrorismus, sondern von zivilem Ungehorsam, was juristisch eine ganz andere Hausnummer ist.
Wir können über Radikalisierung sprechen, aber ohne zu dämonisieren
Wenn von einer Radikalisierung der Klimaschutzbewegung gesprochen wird, sollte dies – insbesondere auch von den Medien – mit Vorsicht getan werden. Es gibt sehr wichtige Nuancen in der Radikalisierung, Terrorismus, wie er mit dem Begriff einer grünen RAF assoziiert wird, ist ein Extrem, das man den Klimaschutzbewegung nicht leichtfertig unterstellen sollte. Für die Klimaschutzbewegung, die ja sehr heterogen ist, sollte klar sein, dass man dieses negativen Framing, das in rechten Kreisen gerne auch aufgegriffen wird, nicht unwidersprochen stehen lassen darf. Eine Pauschalkritik an der Klimaschutzbewegung und Vergleich mit der RAF, wie sie in der RP leider jüngst zu lesen waren, bewirken nur eines und zwar eine Dämonisierung einer friedlichen, globalen Bewegung.
Von Wissenschaftlern ist zu erwarten, dass sie ihre Extremismuswarnungen untermauern können, von Medien ist zu erwarten, dass sie sich ihrer Sprachwahl bewusst sind und klar verstehen, was es bewirkt, wenn sie groß titeln, dass ein Extremismusforscher „Parallele zwischen Klimaschützern und RAF“ sieht.
Zum Ende ein paar Worte an die RP
Liebe RP, gerne dürft ihr die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung thematisieren, das ist ja auch euer Auftrag. Aber bitte nehme Bezug auf belastbare wissenschaftliche Untersuchungen, bitte unterlasst Pausalurteile über eine heterogene Bewegung und bitte unterlasst eine Berichterstattung, deren einziges Ziel ist es, Ängste vor der Klimaschutzbewegung zu schüren. Wie ich auch schon einmal an anderer Stelle schrieb: Reden ist Silber, Schweigen ist Klimaschutz. Für das Weltklima wäre es besser gewesen, wenn ihr geschriegen und nicht dämonisiert hättet. Vor allem, liebe RP, beantwortet mir eine Frage: War der Veröffentlichungszeitpunkt des Artikels, zwei Tage vor dem Klimastreik, Zufall oder Kalkül?
Wie die Rheinische Post für klimaschädliche Autos wirbt
In den 80er Jahren hatten meine Eltern die Westdeutsche Zeitung abonniert, mir war die Wochenendausgabe der Zeitung am liebsten. Diese Ausgabe war besonders dick und enthielt immer eine Witzseite, mit mal mehr und mal weniger gelungenen Witzen. Beim Suchen der Witzeseite habe ich meistens die Autoseiten gestreift, auf denen unter anderem die neuesten Kraftfahrzeuge vorgestellt wurden. Jetzt wurde mir ein Foto einer Seite der Rheinischen Post (vom 17.09.2022) zugeschickt, das mich gleich wieder in die 80er zurückversetzte. Unter der Überschrift Understatement aus Korea befindet sich das farbige Foto eines Autos und ein Text, der dieses Auto in höchsten Tönen lobt. Er geht dabei um einen Genesis, eine Automobilmarke, die zu Hyundai gehört. Das vorgestellte Auto – ein Genesis G80 – ist, wie es im Text heißt, „kein alltäglicher Wagen“. Das kann man alleine schon an den Werten, die zu dem Fahrzeug aufgelistet werden, erkennen: 304 PS, maximale Geschwindigkeit 250 km/h, Verbrauch 9,3 Liter und CO2-Ausstoß 205,4g/km. Das Umweltbundesamt berichtet, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß bei zugelassenen Neuwagen 2017 rund 118,5g/km betrug. Der vorgestellte Wagen liegt bei seinen Emissionen also jenseits des Durchschnitts.
Was schreibt denn die RP über diesen Wagen? Zum Beispiel folgendes: „Anonym und unerkannt vorbeifahren ist mit diesem Gefährt schwer möglich. Passanten drehen sich um und nickend anerkennend“. Das Urteil der RP ist deutlich, wer ein solches Fahrzeug fährt, der verdient Anerkennung. Nicht nur von den Redakteuren, auch die Passanten – vermutlich nicht alles Redakteure der RP – zollen dem Fahrer ihre Anerkennung für das Fahren dieses Fahrzeugs. Aber wofür denn genau? Dafür, dass man ein Luxusauto fährt? Dafür, dass man sich ein modernes koreanisches Statussymbol gegönnt hat? Ganz klar wird mir dies nicht, aber eines ist sicher. Anerkennung gibt es nicht für eine klimafreundliche Form der Fortbewegung.
Die RP versieht ihren Artikel mit dem Hinweis, dass der Redaktion der Wagen zu Testzwecken von Genesis zur Verfügung gestellt wurde. Der Artikel liest sich auch entsprechend wie eine Werbung für eine Luxuskarosse, die überteuert, übergroß, zu schnell und mit viel zu hoher Schadstoffemission daherkommt. Leider ist das nur meine Interpretation, denn die RP verhält sich dem Fahrzeug gegenüber vollkommen unkritisch. Muss ich kritischen Journalismus in einer solchen Art gesponsorter Berichterstattung erwarten? Nein, das wäre utopisch. Hätte die RP geschrieben: „Das Auto ist klimaschädlicher als der Durchschnitt der Autos“, wäre das für Genesis, die das Auto ja zu Testzwecken zur Verfügung stellten, ziemlich doof gewesen. Noch einmal hätte es bestimmt kein solches Testauto gegeben. Also, erwarten muss man nicht zu viel. Zugleich habe ich aber doch hohe Erwartungen. Ich erwarte, dass Zeitungen im Jahr 2022 realisiert haben, dass es wir gerade ein ganz ernstzunehmendes Problem haben: Klimawandel! Wir stecken mitten drin und eines der großen Themen, das im Zuge der Debatte rund um die Klimakrise dominant ist, ist, welchen Beitrag kann und muss der Verkehrssektor leisten. As große Stichwort ist hier: Mobilitätswende. Ich gestehe der RP gerne zu, dass sie das Thema Klimakrise nicht in jedem Artikel behandeln muss. Aber die Medien müssen ihre Verantwortung anerkennen und sich gut überlegen, ob ein Artikel, wie der über die Emissionsschleuder von Genesis, wirklich dieser Verantwortung gerecht wird.
Die Medien spielen eine zentrale Rolle darin, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Dies hat insbesondere damit zu tun, wie Medien – aber nicht nur diese – über die Welt sprechen, bzw. schreiben. Mit einem Artikel wie den über den Genesis G80 transportiert die RP eine bestimmte Wahrnehmung von Kraftfahrzeugen: das Fahren mit teuren, luxuriösen und klimaschädlichen Autos wird mit Prestige assoziiert. Das Fahrzeug wird dekontextualisiert präsentiert, es findet keine Einbettung in die wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen statt, wodurch der Artikel sehr deutlich in die Nähe von Werbung gerückt wird, die unter dem Deckmantel eines objektiven Tests verschleiert wird. Nicht einmal eine Kontextualisierung der Verbrauchswerte findet statt. So wird lediglich der CO2-Ausstoß des Fahrzeugs angeführt, einen Hinweis auf den Durchschnittswert der Neuzulassungen findet sich nicht. Die RP stellt also Auto, das klimaschädlicher als der Durchschnitt der zugelassenen Neuwagen ist, als Prestigeobjekt dar, um das der Fahrer von den Passanten bewundert wird. Durch dieses positive Framing werden die negativen Aspekte vollkommen ausgeblendet.
Durch das positive Autoframing wird die RP ihrer medialen Verantwortung nicht gerecht, genau das Gegenteil ist der Fall. Es gibt Medien, die gehen einen anderen Weg. Die Frankfurter Rundschau bündelt ihre Klimaberichterstattung und stellt diese dadurch fokussierter dar. Mehr als 500 Französische Journalisten haben eine Charta für Klimaberichterstattung unterzeichnet (hier ein Artikel des Spiegels zu dem Thema). Diese beinhaltet nicht nur die Klimaberichterstattung, sondern auch die Verringerung des eigenen CO2-Ausstoßes. Wichtig ist, dass nicht nur die Klimakrise in ihrem weltweiten und lokalen Kontext ausreichend thematisiert wird, es ist auch wichtig, dass kein positives Framing klimaschädlicher Technologie oder Energieträger vorgenommen wird. Manchmal gilt eben auch in den Medien: Reden ist Silber, Schweigen ist Klimaschutz.
Anmerkung 19.09.2022: Der oben genannte Artikel aus der RP ist auch online lesbar, jedoch fehlen einige Angaben – etwa die Auflistung der Werte -, die sich in der Printversion des Artikels finden.
Leseempfehlung: Nicht zum ersten Mal [hier] möchte ich auf Elisabeth Wehlings Buch Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht hinweisen. In dem Buch arbeitet sie sehr gut verständlich die Grundlagen des politischen Frames aus und zeigt auf, wie sich Sprache auf unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit (oder unsere Konzeptualisierung der Welt) auswirkt.