Kann man kommunizieren, obwohl jemand gendert?

Über misslungene Argumente zu gelungener Kommunikation

Der VDS – in ausgeschriebener Form ‚Verein für deutsche Sprache‘ – setzt sich sprachpflegerisch für die deutsche Sprache ein. Ein zentrales Anliegen des Vereins ist der Kampf gegen das Gendern. Unter anderem bietet der Verein eine Argumentationshilfe ‚Zwanzig Argumente gegen das Gendern‚ an, auf die ich an anderer Stelle bereits kritisch eingegangen bin. Diesmal möchte ich mir ein weiteres ‚Argument‘ vornehmen und zwar Nummer 7 der Liste:

Gendern ist dysfunktional. Es ist eine Form der misslungenen Kommunikation. Sätze werden mit irrelevanten Informationen überfrachtet. Gendern verliert durch die Fixierung auf den Aspekt Geschlecht die Kernaussage aus dem Blick.

Es lohnt sich genauer auf das ‚Argument‘ einzugehen:

  • Gendern ist eine dysfunktionale Verwendung von Sprache, bei der die Kommunikation misslungen ist.
  • Sätze werden mit irrelevanten Informationen überfrachtet.
  • Durch Gendern verlieren wir die Kernaussage aus dem Blick und es findet eine Fixierung auf das Geschlecht statt.

Misslungene Kommunikation

Wann ist Kommunikation gelungen und wann misslungen? Kommunikation hat verschiedene Funktionen: sie kann zur Übermittlung von Informationen dienen; sie kann zur Erfragung von Informationen dienen; sie kann dazu dienen, dass Mensch einen Auftrag erteilt; sie kann rein sozialen Zwecken – etwa der Festigung sozialer Beziehungen – dienen. Und vieles, vieles mehr. Gelungen ist die Kommunikation dann, wenn das mit der Kommunikation intendierte Ziel erreicht wurde.

Wenn ich mitteilen möchte, dass in einem Verein Menschen Mitglied sind, die keine Ahnung vom Thema gendern haben, dann kann ich das folgendermaßen machen: Die Männer im VDS haben keine Ahnung vom Thema gendern. Mag zutreffen, aber die Äußerung wirft de Frage auf, ob die Frauen im VDS denn Ahnung vom Thema gendern haben. Ich könnte also stattdessen sagen: Die Männer und Frauen im VDS haben keine Ahnung vom Thema gendern. Die Beidnennung – Männer und Frauen – ist eine Form geschlechtergerechter Sprache und im Falle des Beispielsatzes wird die Verwendung der Beidnennung auch – zumindest sehe ich es so – den Tatsachen gerecht.  

Anderes Beispiel: Ich bin der Meinung, dass die Krankenpfleger*innen einen unterbezahlten Job machen. Wer dies liest und weiß, dass ich der Meinung bin, dass Personen, die in der Krankenpflege arbeiten, zu wenig Geld verdienen, hat die kommunikative Absicht dieser Äußerung verstanden. Glaubt jemand ernsthaft, dass Kommunikation misslingt – meine sprachliche Äußerung also gar nicht erst interpretierbar ist – , wenn ich ein Gendersternchen schreibe? Das Gendersternchen ist nach den aktuell geltenden Regeln der amtlichen Rechtschreibung ein Rechtschreibfehler, da dieser Form der wortinternen Interpunktion nicht zugelassen ist [dazu hier mein Kommentar]. Aber sind Rechtschreibfehler – selbst dann, wenn sie absichtlich sind – ein Grund, warum Kommunikation misslingt? Wenn ja, dann sollte folgender Satz niemandem vom VDS stören dürfen, denn er stellt eine misslungene Form der Kommunikation dar: Gändärkritika sind dof.

Wenn durch das Gendern Kommunikation misslingt, dann nur, weil ein Kommunikationsteilnehmer oder eine Kommunikationsteilnehmerin die Kommunikation bewusst scheitern lässt. Kleiner Hinweis: das ist nicht die Person, die gendert.     

Irrelevante Informationen

Wir sind den ganzen Tag immer wieder mit Informationen konfrontiert, die wir als irrelevant einschätzen. Aber, das ist wesentlich, Relevanz ist eine subjektive Einschätzung. Was für die eine relevant ist, ist für den anderen irrelevant. Manche Menschen finden es relevant zu wissen, ob nur Männer oder alle Geschlechter gemeint sind. Haben nur die Männer im VDS keine Ahnung vom Gendern oder auch die Frauen? Betrifft meine Kritik nur einen Teil der VDS-Mitglieder oder alle?

In verschiedenen Studien wurde gezeigt, dass geschlechtergerechte Sprache keine irrelevanten Informationen beisteuert sondern für das Verständnis wichtige Informationen. Frauen fühlen sich nicht immer angesprochen, wenn das ‚generische Maskulinum‘ verwendet wird. Sie müssen dazu nicht bewusst sagen: „Damit bin ich jetzt aber nicht gemeint“. Es reicht, wenn sie zum Beispiel Stellenanzeigen als weniger relevant erachten, nur weil die verwendete Form ein ‚generisches Maskulinum‘ ist. Wenn durch geschlechtergerechte Sprachen sich Frauen weniger ausgeschlossen fühlen – vielleicht nicht alle, aber doch hinreichend viele – , dann sind die damit beigesteuerten Informationen definitiv nicht irrelevant. Oder soll es heißen, dass Frauen weniger relevant sind?

Kernaussage

Ein Satz wie Die Männer im VDS haben keine Ahnung vom Gendern macht eine Aussage über das Subjekt die Männer im VDS. Die Aussage, die über das Subjekt gemacht wird, ist ‚keine Ahnung vom Gendern zu haben‘. Die Kernaussage ändern sich nicht, egal ob eine Beidnennung oder eine Form mit Genderstern oder was auch immer verwendet wird. Wieso sollte irgendwer glauben, dass sich die Bedeutung einer Aussage sofort zu ‚GESCHLECHT‘ ändert, nur weil Frauen explizit mitgenannt werden? Die Männer und Frauen im VDS haben keine Ahnung vom Gendern und Die Angehörig*innen des VDSs haben keine Ahnung vom Gendern bedeuten etwas ganz Ähnliches wie das erste Beispiel, nur ein bisschen mehr. Nämlich das nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen im VDS keine Ahnung vom Gendern haben. Kommt das Thema ‚Geschlecht‘ ins Spiel? Ja, denn die Personenreferenz wird eindeutig: nicht nur männliche, auch weibliche Personen sind gemeint. Ändert sich die Kernaussage? Nein! Findet eine Fixierung auf das Geschlecht statt? Nein!

‚Geschlecht‘ ist aber bei Personenreferenz nun einmal ein wichtiger Aspekt, denn es gibt – dies wird auch im VDS niemand leugnen wollen – verschiedene Geschlechter. Dass ‚Geschlecht‘ also durch Gendern thematisch in eine Äußerung beigesteuert wird, ist natürlich. Damit wird ein wichtiger Aspekt der Personenreferenz – Personen haben verschiedene Geschlechter – einfach nur explizit.

Gut gemeinter Hinweis: Fragen die Expert*innen

Gerade zu den Themen ‚Funktionalität‘ und ‚gelungene Kommunikation‘ wäre noch viel zu sagen, klar sollte aber sein: Gendern hat nichts mit gelungener Kommunikation oder gar Dysfunktionalität zu tun, sondern mit Rücksicht über Personen unterschiedlichen Geschlechts. Wenn man Höflichkeit als Teil einer gelungenen Kommunikation ansieht – Unhöflichkeit ist durchaus ein Grund zum Abbruch von Kommunikation – , dann stellt Gendern einen positiven Beitrag zu gelungener Kommunikation dar. Wer gendert, nimmt die Diskriminierungsempfindungen von u.a. Frauen ernst.

Das ‚Dysfunktionalitätsargument‘ des VDS schlägt also fehl. Abschließend möchte ich aber gerne noch einen Hinweis anbringen: Lieber auf die Expertise der Experten hören. Glücklicherweise gibt es zum Thema Sprache Expert*innen: Sprachwissenschaftler*innen. In der Mehrzahl sieht diese den VDS sehr kritisch, Gendern dagegen aber nicht. Das hat Gründe: gute Gründe, die wissenschaftlich motiviert sind. Bevor Mensch also den ‚Argumenten‘ des VDSs traut, wäre eine Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Fachliteratur zu empfehlen.

Nachtrag (30.12.2022): Als Beispiel habe ich oben die Nomen Mann und Frau immer wieder verwendet. Klar, da ist eine Beidnennung nötig, da diese Nomen in ihrer Bedeutung den Bezug auf ein bestimmtes Geschlecht drin haben. Anders sieht es mit Angehörig*innen oder Nomen wie Ärzt*innen, Lehrer*innen, Expert*innen und Sprachwissenschaftler*innen aus. Das oben geschrieben trifft, wie ja auch teilweise gezeigt, auch für diese Nomen zu. Spricht Mensch von Sprachwissenschaftler*innen oder Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen wird deutlich gemacht, dass nicht nur die männlichen Vertreter, sondern eben auch die weibliche Vertreterinnen (und Personen anderen Geschlechts bei der Form mit *) gemeint sind.

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