Genderideologie der CDU

Geschlechtergerechte Sprache, gesetzliche Festellungen und Laienlinguisten

Christoph Ploß – Mitglied des deutschen Bundestages für die CDU – fordert, dass es an deutschen Schulen und Universitäten keinen Genderzwang geben darf. In einem Redebeitrag im Bundestag spricht er davon, dass Schüler*innen und Studierende – die gegenderte Form stammt nicht von ihm – bei Prüfungen Angst haben müssten, wenn sie nicht in ‚Gendersprache‘ ihre Prüfungen schreiben [hier ein Video des Beitrags bei Twitter]. Als Konsequenz fordert er, dass es eine gesetzliche Klarstellung darüber dass an deutschen Schulen die deutsche Grammatik gilt und nicht eine ‚ideologische Gendersprache‘ geben muss.

Von welchen Fällen redet er? In welchen Fällen müssen Schüler*innen und Studierende Angst haben, wenn sie nicht gendern? Ich will nicht in Abrede stellen, dass es vielleicht den ein oder anderen Dozierenden gibt, der oder die gegenderte Personenbezeichnungen gerne verwendet sehen möchte. Vielleicht mag es auch Prüfende geben, die das Nichtverwenden geschlechtergerechter Sprache bei der Korrektur berücksichtigen. Aber wenn, dann sind dies Einzelfälle. Von hypothetischen Einzelfällen ausgehend – hypothetisch, da mir keine belegten Fälle bekannt sind – eine gesetzliche Regelung fordern, ist dann doch mehr als übertrieben.

Wer schreibt die Rechtschreibung vor?

Aber was wäre gesetzlich eigentlich möglich? Die amtliche deutsche Rechtschreibung wird durch den Rechtschreibrat (korrekt: Rat für deutsche Rechtschreibung) festgelegt. Wie auf der Seite des Rats nachzulesen ist, ist dieser ein zwischenstaatliches Gremium, das unter anderem mit der Weiterentwicklung der Orthographie betraut ist. Dem Rat gehören 41 Mitglieder an, die aus der Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen stammen.

Das aktuelle amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung ist online hier abzurufen. Im Vorwort steht zu lesen, welchen Geltungsbereich das Regelwerk überhaupt hat. Dieser ist sehr eingeschränkt, nämlich diejenigen Institutionen, für die der Staat hinsichtlich der Rechtschreibung Regelungskompetenz besitzt. Das sind Schulen, Verwaltung und Rechtspflege. Firmen, Druckereien, Verlage, Privatpersonen sind davon nicht erfasst und kÖnnen schraiben wia sia wolen. Was ist mit Universitäten? Hier sieht der wissenschaftliche Dienst des Bundestags einen Graubereich, bedingt durch die Wissenschaftsfreiheit. Mir scheint es so zu sein, dass nach Einschätzung des Dienstes die Regelungskompetenz des Bundes hier nicht unbedingt gilt. Der Rechtschreibrat scheint anderer Meinung zu sein und schreibt:

„Für den Hochschulbereich erscheint fraglich, ob die Forderung einer „gegenderten Schreibung“ in systematischer Abweichung vom Amtlichen Regelwerk der deutschen Rechtschreibung für schriftliche Leistungen der Studierenden und die Berücksichtigung „gegenderter Schreibung“ bei deren Bewertung durch Lehrende von der Wissenschafts-freiheit der Lehrenden und der Hochschulen gedeckt ist.“    

(Geschlechtergerechte Schreibung; Seite 1)

Im Rahmen der Regelungskompetenz gilt also die amtliche deutsche Rechtschreibung, aber eben nur in diesem Rahmen. Was sagt denn die amtliche deutsche Rechtsschreibung zu geschlechtergerechter Sprache? Nichts konkretes. Es gibt aber eine klare Empfehlung des Rechtschreibrats, die besagt, dass „allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen“ (Quelle). Die unterschiedlichen Mittel zum Ausdruck geschlechtergerechter Sprache, z.B. Asterisk Schüler*innen, Unterstrich Schüler_innen, Doppelpunkt Schüler:innen, usw. sind nicht in das Regelwerk aufgenommen worden. Warum nicht? Auch hier hat der Rechtschreibrat eine nachvollziehbare Position und schreibt: „Dies [gemeint ist, die Verwendung geschlechtergerechter Sprache] ist allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann“.

Bezüglich der konkreten Verwendung geschlechtergerechter Sprache stellt der Rechtschreibrat nachvollziehbare Forderungen, die durch Formen wie Schüler*innen nur bedingt erfüllt werden. Dazu gehört u.a. (Vor-)Lesbarkeit, Rechtssicherheit, Übersetzbarkeit. Damit ist das Thema aber nicht beendet, denn der Rechtschreibrat ist sich seiner Verantwortung bewusst und schreibt:

„Dazu gilt es, die Entwicklung des Schreibgebrauchs aufgrund der Beobachtung der geschriebenen Sprache durch Empfehlungen oder möglicherweise Regeln so zu beeinflussen, dass er den Vorstellun-gen und Gewohnheiten einer Mehrheit der Schreiberinnen und Schreiber entspricht, aber gleichzeitig die fundierte sprachwissenschaftliche Verankerung besitzt, die vom Rat seinem öffentlichen Auftrag entsprechend erwartet wird.“

(Geschlechtergerechte Schreibung seit 2018; Seite 5)

Aktuell wären damit geschriebene Formen wie Schüler*innen ein Verstoß gegen die orthografische Norm. Daher muss Herr Ploß gar nicht fordern, dass an den Schulen die Verwendung des Gendersterns verboten werden sollte. Die amtliche deutsche Rechtschreibung, die für Schulen gilt, setzt das Gendersternchen sowieso außerhalb der Norm.

Normen heute müssen nicht die Normen morgen sein

Herr Ploß kann also beruhigt sein, kein Kind muss gendergerechte Sprache in der Schule verwenden. Aber – der Rechtschreibrat sagt es deutlich – , der Sprachgebrauch soll beobachtet und die Rechtschreibregeln eventuell angepasst werden. Legt der Sprachgebrauch eine Akzeptanz der Formen nahe, wird sich der Rechtschreibrat in der Notwendigkeit sehen, dies auch in den Rechtschreibregeln zu kodifizieren. Eigentlich totla demorkatisch, wenn dem Volk so auf’s Maul (oder auf die Schreibung) geschaut wird.

Sprache ist sowieso eine ziemliche demokratische Sache, denn sie gehört niemandem. Sprecher*innen verwenden Sprache so, wie sie es mögen. Das können sie machen, denn wer will es ihnen verbieten? Sprache passt sich im Gebrauch den Bedürfnissen der Sprecher an. Wer das verkennt, verkennt ein wesentliches Element von Sprache: sie ist nicht starr, sondern dynamisch. Wie jeder Studierende im ersten Semester lernt: Sprache verändert sich. Nur tote Sprachen verändern sich nicht mehr.

Sprache ist auf eine gewisse Weise aber auch entblößend. Durch die eigene Sprachverwendung sagt Sprecher*in einiges über das eigene Weltbild aus. Sprecher, die auf geschlechtergerechte Sprache achten, zeigen, dass ihnen dieses Thema wichtig ist. Dass es ihnen auch wichtig ist, keine Person auf Grund des Geschlechts auszugrenzen oder zu diskriminieren. Sprecher*innen, die keine geschlechtergerechte Sprache verwenden, zeigen, dass ihnen dies nicht wichtig ist. Demokratisch ist, dass Sprecher*innen wählen können, entblößend ist, dass sie durch ihre Wahl ihre Weltsicht offenlegen.

Grammatik ist nicht gleich Rechtschreibung

Herr Ploß spricht davon, dass an deutschen Schulen die deutsche Grammatik gelten soll. Er spricht nicht von deutscher Rechtschreibung, sondern von Grammatik. Die Rechtschreibregeln, die der Rechtschreibrat festlegt, regeln die Zuordnung von Lauten zu Buchstaben, die Getrennt- und Zusammenschreibung, Verwendung von Bindestrichen, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung. Geregelt ist der Bereich der RechtSCHREIBUNG. Die Grammatik der deutschen Sprache ist davon nicht betroffen. Für diese gibt es auch kein Norminstanz, die sagt, dies ist ein Verstoß gegen eine offizielle Grammatikregel. Eine solche Regel könnte etwa sein, dass das Komparandum bei Komparativen mit als und nicht mit wie eingeleitet wird (Mein Hund ist größer als mein Goldfisch und nicht Mein Hund ist größer wie mein Goldfisch). Eine amtliche deutsche Grammatik gibt es aber nicht.

Die Gleichsetzung von Orthografie und Grammatik ist ein häufiger laienlinguistischer Fehler. Laienlinguistik ist hier das wichtige Stichwort.

Genderideologie

Unter einer Ideologie wird ein in der Regel recht starres Weltanschauungssystem. Verfechter geschlechtergerechter Sprache werden gerne als „Genderideologen“, so auch Herr Ploß, bezeichnet. Umgekehrt lässt sich aber treffend sagen, dass die eigentlichen Genderideologen diejenigen sind, die geschlechtergerechte Sprache mit aller Vehemenz bekämpfen. Sie wollen, dass Menschen sich einer bestimmten Sprachnorm fügen. Sie wollen, dass Sprache sich nicht wandelt, sondern sprachlich ein konservatives Wertesystem reflektiert wird. Die christliche Familienideologie – zwei Geschlechter und der Mann ist der Chef der Familie – unterliegt dem Sprachsystem, das mit aller Vehemenz verteidigt werden soll. Welche Argumente werden dafür hervorgebracht? Ehrlich gesagt sind die Argumente zweifelhaft und in aller Regel vor allem eines, nämlich nicht sprachwissenschaftlich. Solche „Argumente“ finden sich etwa auf den Seiten des Vereins für deutsche Sprache. Unter anderem heißt es, dass ‚Gendern unwissenschaftlich sei‘, wobei Jahrzehnte sprachwissenschaftlicher Forschung zu dieser Thematik geflissentlich ignoriert werden. Auch die Idee, dass ‚Gendern grundgesetzwidrig sei‘, kann durch nichts gedeckt werden. Diese Argumente stammen in aller Regel von Laienlinguisten, was auch sehr gut erklärt, warum sie keine linguistischen Argumente sind.

Wenn mir mein 80jähriger Nachbar rät, dass ich mir ein totes Eichhörnchen um die Brust binden sollte, wenn ich keine Luft kriege, sollte ich das tun? Mein Nachbar könnte sich darauf berufen, dass er Laienpneumologe ist, da er seit 80 Jahren erfolgreich atmet. Aber ganz ehrlich, reicht das? Ich würde dann doch lieber einen echten Pneumologen aufsuchen und meine Atemprobleme vom Experten behandeln lassen. Warum sollte wir dann den Laienlinguisten in Bezug auf geschlechtergerechte Sprache vertrauen? Nur weil sie sprechen können? Die Fähigkeit grammatikalisch wohlgeformte Sätze zu bilden macht niemanden zu einem Linguisten.

Abschließend eine Bitte an Herr Ploß und andere Politiker, die sich mit Sprache beschäftigen wollen: Wissenschaft ist keine Ideologie, sondern liefert intersubjektiv nachvollziehbare Daten und deren Interpretation. Vertrauen Sie also denen, die Ahnung haben und nicht dem schrulligen Nachbarn, der nicht mehr vorweisen kann als schon Jahrzehnte erfolgreich gesprochen zu haben.

Abschließender Hinweis: Wer glaubt, dass das Gendern unwissenschaftlich sei, sollte einmal das Einführungsbuch Genderlinguistik von Damaris Nübling & Helge Kotthoff (Narr Verlag) lesen.

P.S. Wann sprechen wir eigentlich von Rechtschreibfehlern und wann bewegen wir uns im recht(schreib)freien Raum? Wie auch immer: Dies ist kein Text aus Schule, Verwaltung oder Rechtspflege, daher steht er eigentlich außerhalb des Zwangs der amtlichen deutschen Rächtsschraibung.

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