Fünf Dörfer am Tagebau Garzweiler gerettet

Die Presse erklärt Dörfer als gerettet, obwohl sie es noch nicht sind. Und was soll es eigentlich heißen, dass ein Dorf gerettet ist?

Für den Rheinischen Braunkohletagebau mussten bereits einige Dörfer weichen, aktuell sind vor allem die Bemühungen zur Rettung von Lützerath bekannt. Lützerath, das zum sogenannten zweiten Umsiedlungsabschnitt gehört, steht eventuell kurz davor abgebaggert zu werden. Die letzten Grundstücke sind Anfang September 2022 in den Besitz von RWE übergegangen. Neben Lützerath droht aber noch weiteren zu Erkelenz gehörenden Dörfern der Abriss. Dies sind die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts. Die Namen der Ortschaften, die wahrscheinlich Wenige kennen, sind Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath. Ob diese Dörfer aber wirklich abgebaggert werden, ist gar nicht so klar. Mehrere Medien haben dieses und letztes Jahr davon berichtet, dass die Dörfer gerettet seien.  Die Rheinische Post hat die Rettung der Dörfer im November 2021 verlauten lassen. Das Heinsberg-Magazin titelte im selben Monat genauso. Die NRZ schrieb im Januar 2021, dass die Braunkohledörfer gerettet seien und das Leben in sie zurückkehren soll. Andere, bzw. dieselben Medien sind (manchmal) vorsichtiger und sprechen von der Rettung der Dörfer nur als einer Absicht und nicht als ein Fakt. Beispielsweise schrieb die NRZ im Dezember 2021, dass die Dörfer gerettet werden soll. Die Rettung wird als Absicht und nicht als Fakt dargestellt. Damit bietet die Zeitung eine andere Darstellung als noch rund 12 Monate zurvor. Zuletzt schrieb die Rheinische Post am 23. Juni 2022 sehr optimistisch: „Schwarz-Grün rettet Erkelenzer Tagebaudörfer“.  Darin findet man den Satz: „Damit haben die Bewohnerinnen und Bewohner der fünf Dörfer nun endlich Gewissheit, wie es mit ihnen beziehungsweise mit ihrer Heimat weitergeht“.

Die Rheinische Post erweist sich als zu voreilig. Die Stadt Erkelenz hat auf schriftliche Nachfrage bestätigt, dass es bislang noch keine rechtliche Vereinbarung gibt, gemäß der die Dörfer von RWE nicht abgebaggert werden würden. Die zukünftigen Tagebaugrenzen, so die Stadt, sind noch nicht fixiert. In der ‚Leitentscheidung Braunkohle – Neue Perspektiven für das Rheinische Revier‘ , herausgegeben vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, hieß es am 23. März 2021 noch, dass die Umsiedlungen bis 2028 abgeschlossen sein sollen.

Worauf gründet dann die frohe Botschaft der Rheinische Post? Erst einmal nur auf einer Absichtserklärung, die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung zu finden ist. Dort heißt es, dass alle Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts erhalten bleiben sollen. Dies ist aber bislang nur eine Absichtserklärung, noch gibt es keine Einigung mit RWE bezüglich des Erhalts der Dörfer. ‚Gewissheit‘, wie die Rheinische Post schreibt, können die Menschen in den Dörfern noch nicht haben. Aber Hoffnung!

In aller Voreiligkeit hat die Rheinische Post einen wesentlich Punkt benannt: Die Rettung der Dörfer wird eine Rettung für die Landfläche sein – also den Grund und Boden – , nicht aber eine Rettung für die dörfliche Infrastruktur, das dörfliche Leben, eben das, was eine ‚Landfläche‘ zu einem Dorf macht.

Die Umsiedlung der Dörfer des Umsiedlungsabschnitts begann im Dezember 2016. Laut der oben so genannten Leitentscheidung Braunkohle hatten sich bis zum 31. Januar 2021 „bereits rd. 86 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner mit der Bergbautreibenden über den Verkauf des Grundeigentums geeinigt“ (S. 33) und 61% der Einwohner hatten bis dahin die Altorte bereits verlassen. Zu Beginn der Umsiedlungsmaßnahmen 2016 lebten laut Wikipedia 830 Personen in Keyenberg. Der Bevölkerungshöchststand lag bei 882 Personen im Jahr 2008. Für Dezember 2020 führt die Internetseite der Stadt Erkelenz nur noch 265 Bewohner an. Im Zuge der Umsiedlungsmaßnahmen sind schon zahlreiche Bewohner aus Keyenberg, dessen Umsiedlung 2023 als erstes abgeschlossen sein soll, weggezogen. Das Aktionsbündnis ‚Alle Dörfer bleiben‚ teilte mir auf Anfrage mit, dass momentan noch rund 120 Menschen in Keyenberg wohnen, hinzu kommen dort untergebrachte Geflüchtete aus der Ukraine und Mitarbeiter von RWE. Die Geflüchteten sowie die RWE-Mitarbeiter sind dort wohl nur vorübergehend untergebracht, die anderen 120 Menschen werden eventuell bleiben können, wenn sie noch nicht an RWE verkauft haben. Da bislang nicht mehr als eine Absichtsbekundung zur Rettung der Dörfer besteht, geht der Umsiedlungsprozess, wie mir die Stadt Erkelenz mitteilte, momentan auch noch weiter.

Bis es eine politische Entscheidung und schließlich eine Einigung mit RWE gibt, werden die Umsiedlungen wohl noch fortgesetzt werden. Was bleibt den Menschen, die bereits verkauft haben, also übrig? Die Aussicht auf den Erhalt der Dörfer nimmt aber den Druck zu verkaufen, oder? Vielleicht, aber die Zukunft der Orte ist alles andere als klar. Wenn bereits Anfang 2021 86% der Einwohner an RWE verkauft hatten, dann besitzt RWE bereits einen Großteil der Gebäude. Ein Rückkaufsrecht haben die Menschen nicht. Bislang sind keine Pläne bekannt, was aus den Dörfern werden soll, wenn das Land nicht abgebaggert wird. Plant RWE eine Wiederbelebung der Ortschaften? Wenn ja, wie soll das aussehen? Lässt RWE zu, dass die Orte durch ihre Bewohner wiederbelebt werden? Gegen den Willen von RWE wird wenig laufen können, da RWE das Meiste aufgekauft hat. Sicherlich wird über die weitere Zukunft der Dörfer zwischen RWE und der Landesregierung verhandelt werden.

Kann man nun sagen, dass die Dörfer gerettet sind? Einerseits ist noch nichts in trockenen Tüchern. Noch liegen die Dörfer im geplanten Abbaugebiet. Anderseits scheint es eine Perspektive zum Erhalt der Dörfer zu geben. Aber was wird es bedeuten, wenn man in Dörfern lebt, von denen 86% der Einwohner ihr Eigentum bereits verkauft haben? Die Menschen, die jetzt noch da leben, wissen bereits, wie es ist, wenn man so lebt. Die Frage die für mich stellt ist, ob die Menschen, die bleiben können, auch sagen würden, dass die Dörfer gerettet sind. Oder ist, wie die Rheinische Post schreibt, nur die Landfläche gerettet? Möglicherweise ist die Aussage, dass die Dörfer gerettet sind (oder sein werden), also etwas euphemistisch. Aber das müssen die betroffenen Bewohner – die noch da sind und die, die bereits umgesiedelt sind –  entscheiden.

RWE wirbt damit, dass die Tagebaurestlöcher zu einem Naherholungsgebiet entwickelt werden sollen (darüber habe ich hier geschrieben). Die Löcher sollen mit Rheinwasser geflutet werden, so will es der 1995 verabschiedete Braunkohlenplan Garzweiler II. In schicken Broschüren wirbt RWE schon mit Bildern von Segelbooten, die ein zukünftiges Freizeitvergnügen im ehemaligen Tagebau suggerieren. Die Verfüllung der Tagebaurestlöcher wird, wenn es denn alles klappen wird, noch Jahrzehnte dauern. Aber RWE ist schon jetzt im Gebiet vieler Grundstücke, die sich in der Nähe der zukünftigen Seen befinden. Wer weiß, welche Entwicklungsideen bereits vorhanden sind? Ferienparks? Hotel? Eigenheime in Seenähe? So oder so, wenn dort wirklich ein Naherholungsgebiet entstehen wird, dürfte der Grundstückswert beträchtlich – vor allem im Vergleich zu jetzt – steigen.

In den Dörfern gibt es aber auch ehemalige Kirchen, die mittlerweile nicht mehr genutzt werden und unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Vor allem letztere dürften, wenn die Dörfer nicht abgebaggert werden, nicht so einfach abgerissen werden. Es wird interessant sein zu sehen, wie RWE mit diesen Gebäuden verfahren wird.  

Zurück zum Anfang: Liest man die eingangs erwähnten Zeitungsberichte unkritisch – oder vielleicht auch nur ihre Überschriften – , wird der Eindruck erweckt, dass die Menschen in den vom Tagebau bedrohten Dörfern einen Sieg errungen haben. Noch ist es aber kein Fakt, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden. Und selbst wenn, die Umsiedlungen laufen schon seit Jahren. Viele Menschen haben ihr Zuhause bereits an RWE verkauft und die, die es noch nicht getan haben, leben in den Resten von Dörfern, deren Zukunft alles andere als entschieden ist. Die Frage ist also: was wird eigentlich gerettet sein, wenn denn mal beschlossen wird, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden. Für das Klima wird es gut sein, wenn die Kohle im Boden bleibt, aber ein Dorf ist mehr als Boden und Landfläche. Was bleibt wirklich von den Dörfern?

Mir kommt an dieser Stelle die Redewendung Die Kirche im Dorf lassen in den Kopf. Damit ist gemeint, dass man einen Sachverhalt ruhig bewertet und nicht übertreibt. Sicherlich kann man sagen: Lass doch mal die Kirche im Dorf, die Absicht zur Rettung der Tagebaudörfer ist im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, also werden die schon gerettet. Aber das Sprichwort trifft es sehr genau, denn die Kirchen wurden nicht in den Dörfern gelassen. RWE hat die Kirche in Keyenberg 2019 gekauft. Als Kirche hat sie damit keine Funktion mehr, als Gebäude droht ihr der Abriss.

Ergänzung (11.09.2022): Wie ich eingangs schrieb, werden die Tagebaudörfer in einigen Medien als ‚gerettet‘ bezeichnet. Unabhängig davon, ob nur Dörfer oder nur die Landfläche gerettet wird, die Berichterstattung stellt die Rettung als einen Fakt dar. Soweit ist es aber noch nicht. Das Problem, das von einer solchen Darstellung ausgeht, ist, dass sich in den Köpfen der Leser*innen festsetzt: ‚Alles in Ordnung, die Dörfer sind gerettet‘. Das Ziel, das einige Menschen eventuell haben, die Rettung der Dörfer, scheint damit erreicht zu sein. Die Situation ist vergleichbar mit der einer Marathonläuferin, die aufhört zu laufen, sobald sie die Ziellinie sieht. Das Ziel ist erst mit Überquerung der Linie erreicht und die Dörfer sind erst gerettet, wenn es eine neue Leitentscheidung gibt, die rechtsverbindlich festlegt, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden!

Literaturtipp: Wer sich dem Thema Tagebaudörfer literarisch nähern will, kann einmal zu Ingrid Bachérs Roman „Die Grube“ greifen, der das Thema sehr anschaulich und gut lesbar behandelt.

Danksagung: Ich möchte mich gerne bei der Stadt Erkelenz und dem Aktionsbündnis ‚Alle Dörfer bleiben‘ für die schnelle und ausführliche Beantwortung meiner Fragen bedanken.

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