Vagheit und Neutralität

Begriffe sind oftmals vage: was fällt alles unter einen Begriff und was nicht mehr? Stellt ein Brett auf zwei Steinen einen Tisch dar? Die Antwort kann Ja oder Nein sein, je nach Kontext. Die Vagheit sprachlicher Ausdrücke ist immer dann ein Problem, wenn Begriffe exakt sein soll, zum Beispiel in der Wissenschaft oder der Rechtsprechung. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Gerichte manchmal damit beschäftigen müssen, ob ein bestimmer Begriff etwa irreführend gebraucht wird. Dies ist insbesondere im Marektingkontext der Fall: Darf Firma A Bezeichnung XY wirklich verwenden oder täuscht sie damit die Verbraucher?

Das Begriff ‚klimaneutral‘ war kürzlich Gegenstand eines juristischen Urteils des Landgerichts Karlsruhe (hier nachzulesen). Konkret gibt es um sogenannte ‚klimaneutrale Seife‘ des Discounters dm. Der Vorwurf gegenüber dm: es werde zwar das Labek ‚klimaneutral‘ verwendet, CO2-Emissionen werden jedoch kaum eingespart. Stattdessen nimmt dm sogenannte Klimakompensationen, also die Investition in bestimmte Typen von Klimaschutzprojekten – etwa Aufforstungsmaßnahmen – vor. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe, deren Pressemitteilung zur Klage hier zu finden ist.

Das Urteil des Landgerichts war – knapp zusammengefasst- , dass dm die hinter dem Label ‚klimaneutral‘ stehenden Maßnahmen nur intransparent darstellt, kaufrelevante Informationen nicht geliefert werden würden und Waldschutz nicht dasselbe wie Klimaschutz ist. An dieser Stelle fing es nun an, dass mich das Thema interessierte. So hatte ich doch kürzlich Kontakt zur Firma GLS, die auf einem alten Verbrenner die Werbeaufschrift „100% klimaneutral“ fahren ließ. Mein Beitrag dazu ist hier zu finden. Was laut Homepage von GLS unter ‚Klimaneutralität‘ zu verstehen ist – insbesondere auch hier Kompensationsmaßnahmen – , hatte ich in dem Beitrag diskutiert. Der Beitrag hatte jedenfalls eine Reaktion seitens GLS bewirkt.

In einer Nachricht an mich hieß es, dass GLS die Werbung auf dem fotografierten Fahrzeug entfernen ließ und nach weiteren ähnlichen Fahrzeugen mit solcher Werbung im Bestand suchen würde, damit auch dort die Werbung entfernt werden würde. Das ist schon einmal ein guter Schritt, finde ich.

Weiterhin wurden mir aber auch weitere Informationen zu den Maßnahmen, die GLS zum Erreichen der Klimaneutralität umsetzt, zugeschickt. Zudem hatte ich die Möglicheit weitere Nachfragen zu stellen. Damit ergibt sich ein etwas dezidiertes Bild bezüglich der von GLS durchgeführten Maßnahmen, die sich hinter dem Begriff ‚klimaneutral‘ verbergen.

Auf der letzten Meile, also dem abschließenden Paketzustellen, setzt GLS vermehrt auf alternative Zustellmöglichkeiten und Antriebe. Unter alternativen Zustellmöglichkeiten sollen unter anderem Lastenräder zu verstehen sein, unter alternativen Antrieben sind vor allem batteriebetriebene und Brennstoffzellenfahrzeuge zusammengefasst. Auf der Homepage der Firma heißt es dazu, dass bereits 600 Elektrofahrzeuge eingesetzt werden würden. Der Strom für die Elektrofahrzeuge soll zu 100% aus Wasserkraft stammen. Die Umstellung der Fahrzeuge erfolgt sukzessive, sodass noch nicht alle Fahrzeuge auf der letzten Meile klimaneutral unterwegs sind.

Für die weiteren Strecken plant GLS den Umstieg auf andere Antriebsmodelle, die sind – so Aussage der Firma – aber noch nicht marktreif. Ich verstehe dies so, dass in diesem Bereich somit noch die klassischen Verbrenner unterwegs sind. Die dabei entstandenen Emissionen, wurde mir gesagt, sollen zu 100% kompensiert werden. Kompensation ist aber einzweischneidiges Schwert. Die CO2-Emissionen erfolgen punktuell, Neupflanzungen nehmen CO2 im Laufe ihren Lebenszyklus auf. Die Emissionen werden damit nicht zum Zeitpunkt ihrer Emission ausgeglichen.

Im Urteil des Landesgerichts Karlsruhe steht: „Der Claim der Klimaneutralität des Produkts geht nämlich prinzipiell über das hinaus, was mittels CO2-Zertifikaten aus Waldschutz erreichbar ist. Der Verbraucher erwartet, dass eine Kompensation von Emissionen, die im Ergebnis zur Klimaneutralität des Produkts führen soll, diese auch tatsächlich bewirkt. Das produktbezogen emittierte Treibhausgas muss also dauerhaft bilanziell neutralisiert worden sein. CO2 besitzt jedoch in der Atmosphäre eine Verweildauer, die weit über die Laufzeit der Waldschutzprojekte hinausgeht. Wald bindet und speichert CO2 demgegenüber nur vorübergehend. Wenn ein Baum gefällt wird und vermodert oder auch abbrennt, setzt er das gespeicherte Treibhausgas wieder frei. Erreicht wird durch – erfolgreiche, korrekt aufgesetzte – Waldschutzprojekte sicherlich, dass mehr Wald für längere Zeiträume erhalten wird, wodurch in den entsprechenden Zeiträumen die CO2-Speicherkapazität des geschützten Waldes höher ist als im hypothetischen Szenario ohne das Projekt. Dies ist allerdings ein völlig anderer Effekt als der, den der Verbraucher aufgrund des Klimaneutral-Claims erwartet. Die produktbedingten, anthropogenen, zusätzlichen CO2-Emissionen sind hunderte oder tausende Jahre nachweisbar, gebunden und gespeichert wird die entsprechende Menge an CO2 durch das konkrete Waldschutzprojekt nur für Jahrzehnte. Danach ist die vorübergehend ausgeglichene CO2-Bilanz des Produkts wieder unausgeglichen. Um sie dauerhaft auszugleichen, müssten kontinuierlich – auch in 100 oder 1000 Jahren – weitere entsprechende Waldschutzbemühungen unternommen werden“.

Zwei der vier Klimakompensationsprojekte, die GLS laut eigener Homepage unterstützt, sind ebenfalls Waldschutzprojekte. Damit gilt für GLS wie auch für dm, dass das Label ‚klimaneutral‘ irreführend ist.

Sprachliche Begriffe müssen eine gewisse Vagheit aufweisen, damit wir Sprache auch flexibel verwendet können. In manchen Bereichen ist Vagheit aber ein großes Problem, da Begriffe auch – neutral gesprochen – manipulierend oder – negativ gesprochen – irreführend gebraucht werden können. Gerade im Hinblick auf Klimaschutz ist es wichtig, dass Begriffe wie ‚klimaneutral‘ sehr präzise gebraucht werden, sodass sie keinen Spielraum für Greenwashing erlauben, sondern deutlich machen, wo echte CO2-Reduktion erfolgt und wo nur kompensiert wird. Urteile wie die des Landesgerichts Karlsruhe sind wichtig, damit solche Begriffe in bestimmten Kontexten – hier Marketing – präziser verwendet werden und Verbraucher*innen, die sich bewusst für ein klimaneutral agierendes Unternehmen entscheiden, am Ende auch das bekommen, was sie unter ‚klimneutral‘ verstehen: nämlich ein Unternehmen, dessen CO2-Bilanz neutral ist und nicht eines, das weiterhin CO2 emittiert.

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