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Aus Aktivisti werden Aktivistis

Rivalisierende geschlechtsneutrale Formen

In verschiedenen Texten zur Klimaschutzbewegung – über die Bewegung und von Aktivisten der Bewegung – findet sich die Form Aktivisti. Diese Form hatte ich in einem anderen Beitrag als Gender-neutrale Pluralform beschrieben, da man Beispiele wie das folgende finden kann:

Dennoch wurden die drei Pressevertreter*innen nacheinander abgeführt. „Die haben uns teilweise schon vor den Aktivisti mitgenommen“, erzählt Fotojournalistin Doneck.

(T20/AUG.01825 die tageszeitung, 26.08.2020, S. 25; Mitgegangen)

Im Satzkontext wird eindeutig klar, dass Aktivisti eine Pluralform ist, den in der Präpositionalphrase ist hier eindeutig eine pluralische Kongruenzform. Damit wäre -i eine sprachliche Form, die Pluralität ausdrückt, dabei bei belebten Referenten aber keine Spezifizierung des Sexus verlangt und ein Ersatz für (z.B.) Aktivist*innen darstellt.

In letzter Zeit bin ich ein paar Mal über die Form Aktivistis gesteuert, also Aktivisti mit einer Pluralmarkierung. Das folgende Beispiel belegt diese Form:

Kleiner Kulturschock bei den Aktivistis

(Kolumne: Mein erstes Mal Mein erstes Mal als Aktivist)

Was ist hier passiert? Das -i wurde als Singularform reinterpretiert und damit als Bestandteil des Stamm aufgefasst. Der Stamm Aktivisti referiert damit auf aktivistische Person, deren Geschlecht unspezifiziert ist. Durch die Reinterpretation ist eine Numerusmarkierung im Plural nötig, weshalb hier der schöne Defaultplural (-s) auftritt. Ich gebe zu, dass die gerade skizzierte Analyse voraussetzt, dass die Entwicklung ihren Ausgang von Aktivisti nahm. Das wäre aber eigentlich erst noch zu zeigen.

Die Form Aktivistis findet sich auch im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo; Archiv W) und kommt dort sieben mal vor. Interessant ist, dass sich die Vorkommen nicht auf die TAZ beschränken, sondern zweimal auch die Berliner Zeitung und einmal die Süddeutsche Zeitung diese Form verwenden.

Was sich die Aktivistis aber erhoffen, ist, von der Politik und der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.

(B19/OKT.00854 Berliner Zeitung, 12.10.2019, S. 12; „Wie peinlich, dass sie das tun müssen“)

Fridays-for-Future-Sprecherin Luisa Neubauer hingegen schreibt auf Twitter: Olympia kann und soll die wichtige Arbeit von Aktivistis nicht ersetzen.

(U19/NOV.03088 Süddeutsche Zeitung, 26.11.2019, S. 5; Fridays for 29,95 Euro)

Medial ist die Form Aktivistis weiter verbreitet als das pluralische Aktivisti, da ich für pluralisches Akivisti nur Belege aus der TAZ im DeReKo fand. Aktivistis scheint zudem einen weiteren Anwendugskontext zu haben als das pluralische Aktivisti, denn Aktivistis tritt nicht nur im Zusammenhang mit der Klimaschutzbewegung auf, sondern auch im Zusammenhang mit antifaschistischen Aktivistis:

Es gab mal eine Zeit, da bedeutete antifaschistische Aktion selbst bei den Aktivsten unter den Aktivistis eine zwar wichtige, mitunter stressige und auch gefährliche Beschäftigung – aber zumindest eine für den Feierabend und das Wochenende.

(T21/OKT.01290 die tageszeitung, 19.10.2021, S. 23; Planungssicherheit für Antifas)

Interessant ist, dass in den Daten aus dem DeReko keine singularische Verwendung von Aktivisti vorkommt. Das heißt aber nicht, dass diese Form nicht irgendwo anders belegt ist. Ihr Vorkommen würde ich zumindest erwarten.

Ganz spannend finde ich, dass es gegenwärtig zwei Tendenzen in der Bildung Sexus-neutraler Pluralformen für Aktivist gibt und es lohnt sich zu beobachten, ob sich eine dieser Formen über längere Sicht durchsetzen wird und wenn ja, welche. Diese Formen erlauben es uns Sprachwandel direkt zu beobachten und geben Einblick in die von Sprechern bewusst gesteuerte Entwicklung geschlechtsbewusster Sprachformen.

Aktivisti

Geschlechtsneutraler Plural in der Klimaschutzbewegung

In den letzten Tagen wurde das Thema ‚Gendern‘ wieder heiß diskutiert. Anlass war ein Aufruf einiger Sprachwissenschaftler gegen geschlechterbewusste Sprache. Es gab allerlei Kritik an diesem Aufruf, eine gute und sachliche Kritik aus der Mitte der aktiv zu diesem Thema forschenden Sprachwissenschaft hat Damaris Nübling in einem Interview in der FAZ formuliert.

Von Kritikern des Genderns, bzw. der Verwendung einer geschlechterbewussten Sprache werden unterschiedliche Kritikpunkte hervorgebracht. Einige der Kritikpunkte betreffen explizit die sprachliche Sichtbarmachung der Geschlechter mittels Gendergap (Aktivist_innen), Binnenmajuskel (AktivistInnen), Doppelpunkt (Aktivist:innen) oder Genderstern (Aktivist*innen). Unter anderem kann man lesen, dass diese Formen nicht durch die amtliche Rechtschreibung gedeckt seien. Stimmt, aber an die amtliche Rechtschreibung sind lediglich der Schulunterricht sowie Beamte und Angestellte bei Bund und Ländern gebunden. Außerhalb dieser Kontexte kann jede und jeder schreiben wie er will. Desweiteren liest man häufig, dass die oben genannten Formen ’sprachfremd‘ seien und künstlich in das (Schrift)Deutsch eingeführt werden würden. Außerdem heißt es, diese Formen seien unpraktisch oder unästhetisch. Die letzten beiden Punkte sind Fragen des persönlichen Geschmacks. Die ‚Sprachfremdheit‘ der Formen finde ich dagegen schwerer zu bewerten. Aber sei’s drum, denn es gibt eine geschlechtsneutrale Form, die von keinem dieser Kritikpunkte betroffen ist: der Plural Aktivisti.

Bei Aktivisti wird -i als Sexus-neutraler Pluralmarker verwendet. An den Stamm Aktivist wird also ein -i gehängt. Mit dieser Form, die nicht für Sexus spezifiziert ist, können somit alle Geschlechter gemeint sein, die Form ist für kein Geschlecht spezifisch. Diese Form ist nicht ’sprachfremd‘, wie es manchmal den Formen mit Genderstein oder Gendergap vorgeworfen wird. Das -i tritt beispielsweise in der Bildung von Koseformen (Papi, Mami, Omi, Opi) auf, aber auch in gekürzten Formen wie Stasi (von Staatssicherheitsdienst, bzw. Ministerium für Staatssicherheit) oder Ami (von Amerikaner). Im Unterschied zu Aktivisti stellen aber weder Papi noch Stati geschlechtsneutrale Plurale dar. Eine solche Pluralform ist mir bislang nur in mit dem Stamm Aktivist begegnet. Im Deutschen Referenzkorpus (Archiv W) habe ich sieben Belege für Aktivisti gefunden, die allesamt aus der TAZ stammen und aus den Jahren 2020, bzw. 2021 datieren. Die sieben Beiträge haben allesamt mit der Klimaschutzbewegung zu tun, wie zwei der Beispiele belegen. Interessant an dem ersten Beispiel ist, dass die TAZ zwei Sexus-neutrale Formen nebeneinander verwendet: Aktivisti im ersten Satz und Aktivist:innen im dritten.

Auf einem davon, in etwa zwanzig Meter Höhe, steht Feda, einer der Aktivisti vor einer zweistöckigen Holzkonstruktion, an der er selbst mitgebaut hat. „Pfuschbau“ heißt das Baumhaus auf der alten Eiche. Unter ihm am Boden haben Aktivist:innen von Ende Gelände in weißen Maler:innen-Anzügen Barrikaden aus Baumstümpfen und Zweigen um das Barrio errichtet und Tripods aufgestellt. 

(T20/DEZ.00465 die tageszeitung, 07.12.2020, S. 8; Abschied)

Das Schicksal des vom Abriss bedrohten Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier ist weiter ungewiss. Laut Koalitionsvertrag sollen die Gerichte über die Zukunft des Dorfs entscheiden – was bei BewohnerInnen und Aktivisti auf Unverständnis stößt.

(T21/NOV.01661 die tageszeitung, 26.11.2021, S. 8; Lützerath in der Hand der Justiz)

Sucht man im Internet, finden sich weitere Belege für Aktivisti. Unter anderem kommtdas Wort in einem Bericht auf der Homepage des Goethe-Instituts in Belgien vor. Auch in diesem Artikel geht es um die Klimaschutzbewegung. Da die Pluralform Aktivisti meistens – oder immer? – im Klimaschutzkontext vorkommt, ist es naheliegend, dass die Form aus der Klimaschutzbewegung kommt. Aktivisti ist eine Form des Sprachgebrauchs, die sich jedoch bislang noch keine weitere Geltung verschaffen konnte. Auch in der TAZ, wie oben schon erwähnt, alterniert diese Form mit zum Beispiel Aktivist:innen. Es wäre interessant zu wissen, ob Aktivisti die einzige auf diese Weise gebildete Sexus-neutrale Pluralform ist. Es wird auperdem interessant sein zu sehen, ob sich diese Bildungsweise zu einem Muster entwickelt, das zur Bildung weiterer Sexus-neutraler Plurale dient.

Nachtrag (11.08.2022): Eine Pluralbildung mit –i gibt es für aus dem italienischen entlehnte Worte im Deutschen, zum Beispiel Tempo vs. Tempi. Ich bezweifel aber, dass der i-Plural in Analogie zur Pluralbildung entlehnter italienischer Worte entstand. Vieleicht ist hier eher der Umstand relevant, dass das -i im Deutschen sowieso vermehrt als Suffix auftrifft, etwa auch in Hambi und Lützi, zwei weitere Wörter aus der Klimaschutzbewegung.