Was muss bei ‚erneuerbaren Energien‘ eigentlich erneuert werden?
Der Satz Das Problem ist lösbar bedeutet, dass ein bestimmtes Problem gelöst werden kann. Wenn Wasser trinkbar ist, dann kann es getrunken werden. Es gibt noch viele weitere Adjektive, die mittels -bar von einem Verb angeleitet sind. Die Bedeutung ist immer grob als ‚das, was das Verb bedeutet, kann gemacht werden‘ (trinkbar = kann getrunken werden, essbar = kann gegessen werden, lösbar = kann gelöst werden). Durch das –bar wird, vereinfacht gesagt, die Möglichkeit eine Handlung auszuführen, ausgedrückt. Was bedeutet es aber dann, wenn wir von erneuerbaren Energien sprechen? Erneuerbare Energien müssten Energien sein, die erneuert werden können. Unter die sogenannten erneuerbaren Energien fallen Solarstrom, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme.
Laut dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache bedeutet erneuern: ‚etwas Altes durch etwas Neues auswechseln, neu werden‘. Der Duden führt ein paar weitere, damit verwandte Bedeutungen an: ‚Altes/ Verbrauchtes gegen Neues auswechseln‘, ‚wiederherstellen‘, ’neu werden/ neue Kraft gewinnen‘ oder ’neu beleben‘. Wir können erneuern also ganz grob verstehen als ein Prozess, bei dem etwas Altes, bzw. Verbrauchtes durch etwas Neues ersetzt wird. Ein solcher Prozess hat zwei Akteure: den, der erneuert und das, was erneuert wird.
Wenn wir über essen reden, dann gibt es auch zwei Akteure: den, der isst und das, was gegessen wird. Mit essbar bezeichnen wir eine Eigenschaft dessen, was gegessen wird. Ebenso bezieht sich erneuerbar auf eine Eigenschaft dessen, was erneuert werden kann. Somit ist eine erneuerbare Energie eine Energie, die erneuert werden kann. Aber wer erneuert diese Energien? Gibt es jemanden, der Windkraft, Sonnenenergie oder Erdwärme erneuert? Daran schließt die Frage an, ob Windkraft, Sonnenenergie und Erdwärme überhaupt erneuert werden müssen? Bevor ich darauf antworte, will ich erst einmal einen kurzen Blick darauf werfen, mit welchen Nomen erneuerbar zusammen verwendet wird.
Sucht man im Deutschen Referenzkorpus DeReKo (Archiv W) nach ‚erneuerbar‘, gibt es deutlich fast 200000 Treffer. Schaut man sich von diesen eine Zufallsauswahl von 100 Treffern an, dann dominiert erneuerbar in Kombination mit Energie (88x). Insgesamt wird erneuerbar vor allem im Energiekontext verwendet, andere Nomen, die aus diesem Kontext vorkommen, sind: Energiequelle (1x), Energieträger (3x), Quelle (5x, verwendet im Sinne von Energiequelle), Strom (1x). Das Nomen Ressource tritt ebenfalls auf, aber auch hier im Energiekontext. Als letztes Nomen kommt Technologie noch einmal vor, aber auch im Kontext der erneuerbaren Energien. Im aktuellen Gebrauch scheint erneuerbar sehr stark auf den Energiekontext bezogen zu sein.
Die Bezeichnung Erneuerbare Energien wird häufig im Kontrast zu fossilen Energien gebraucht, wie der Kohle- und Gasverstromung. Auch wenn der Zeitraum, der zur Bildung von Kohle gebraucht wird, sehr lang ist, kann man Kohle doch als ‚erneuerbar‘ (im strikten Sinne des Wortes) bezeichnen. Würde man die relevanten Prozesse ungehindert laufen lassen, dann würde sich (über lange Zeiträume hinweg) wieder Kohle bilden. Das ist aber gerade nicht, was mit erneuerbar im Zusammenhang mit Energie gemeint ist. Vielleicht steht erneuerbar dafür, dass etwas wiederholt nutzbar ist, ohne dass es erneuert werden muss. Bei der Nutzung von Windkraft wird der Wind nicht verbraucht, er wird genutzt. Der Wind treibt ein Windrad an und weht danach unbeirrt weiter. Das Antreiben des Windrades braucht den Wind nicht auf. Vielmehr kann ein und derselbe Wind – was auch immer Identitätskriterien für Wind seien mögen – wieder und wieder genutzt werden, jedenfalls solange er weht. Dadurch können zahlreiche Windräder angetrieben werden.
Es gibt also anscheinend zwei Verwendungen des Begriffs erneuerbar. Einmal kann es, wie in dem Beispiel in (1) unten, bedeuten, dass etwas erneuert werden kann. Das ist die Bedeutung, die sich ganz regulär auf Grundlage unseres Verständnisses von bar-Ableitungen ergibt. Dann, wie im Kontext der Energiedebatte, kann es bedeuten, dass etwas gar nicht erneuert werden muss, da es nicht verbraucht wird. Beide Bedeutungen finden sich auch im DWDS für erneuerbar: (i) so beschaffen, das man es erneuern kann und (ii) nachwachsend, sich erneuernd, unbegrenzt zur Verfügung stehend. [Unbegrenzt zur Verfügung stehen bedeutet nicht, dass der Energieträger zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort zur Energieerzeugung verwendet werden kann, sondern nur, dass er nicht aufgebraucht wird.] Für die zweite Verwendung gibt das DWDS an, dass sie in fachsprachlichen Kontexten (Technik, Energiewirtschaft) vorkommt. Aber auch das DWDS ist nicht ganz sicher, wie erneuerbar in diesem Kontext zu verstehen ist, denn ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ wird nur als ein Aspekt der Bedeutung aufgelistet. Damit hat erneuerbar zwei gegensätzliche Bedeutungen, was, zumindest nach meinem Verständnis, die Interpretation des Ausdrucks erneuerbare Energie nicht leicht macht.
(1) Ein Hohlraum in der Mitte unserer geschmierten Kegelventile enthält ein Dichtmittel, das sich in Richtung der radialen Löcher bewegt und beim Betrieb eine erneuerbare Dichtung zwischen Kegel und Gehäuse erzeugt.
(https://de.dombor.com/product-item/lubricated-plug-valves-collection/)
Um es noch einmal deutlich zu machen: Problematisch an dem Ausdruck erneuerbare Energie ist, dass erneuerbar erst einmal suggeriert, dass etwas überhaupt erneuert werden müsste. Dass es ein technisches Verständnis von erneuerbar im Sinne von ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ gibt, ist nicht immer unmittelbar evident. Wäre ein passender Begriff im Rahmen einer Marketingkampagne gesucht worden, hätten die erneuerbaren Energien vielleicht eine andere Bezeichnung bekommen. Vielleicht wäre eine treffendere und direkter zu verstehende Bezeichnung gewählt worden: ‚unbegrenzt verfügbare Energien‘ oder ‚Energien, die nicht erneuert werden müssen‘?
Elisabeth Wehling geht in ihrem Buch Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht auch auf den Ausdruck erneuerbare Energie ein. In ihrem Buch beschreibt sie, wie Sprache sich auf unser Denken über bestimmte Themen auswirkt. Meine obige Auseinandersetzung mit demBegriff erneuerbar setzt auf Wehlings Diskussion dieses Begriffs auf. Sie hat bereits dieselben Argumente vorgebracht und schreibt: „Das Wort ‚erneuerbar‘ macht die Nutzung unerschöpflicher Energiequellen in unseren Köpfen anstrengend. Und es impliziert zugleich, dass Wasser, Sonne, Erdwärme und Wind verschleißen, indem wir ihre Energie nutzen. Denn was erneuert werden muss, ist vorher abgenutzt worden.“ (S. 189) Durch die Bezeichnung erneuerbar werden (schnell) falsche Vorstellungen geweckt. Und vermutlich sind diese falschen Assoziationen auch der Grund, warum im DWDS ‚unbegrenzt zur Verfügung stehend‘ als nicht wirklich transparente Bedeutung für erneuerbar aufgeführt ist, denn immerhin sind Sonne, Wind und Wasser im eigentlichen Sinne keine erneuerungsbedürftigen Energieträger.
Und die Konsequenz? Der Ausdruck erneuerbare Energie ist im Sprachgebrauch fest verankert und wäre sicherlich nicht leicht durch einen anderen Begriff zu ersetzen. Nötig wäre dies auch nur, wenn es durch die Verwendung des Begriffs erneuerbare Energie zu Konfusion und Missverständnissen in der (öffentlichen) Debatte über Wind-, Sonnen-, Wasserkraftenergie kommt. Ob dies so ist, muss erst noch untersucht werden, zumindest sind wir diesbezüglich keine Arbeiten bekannt. Zumindest zeigen Tweets wie der von Hubert Aiwanger, dass erneuerbar Energie durchaus auch im Sinne von ’nachwachsender Energieträger‘ verstanden werden kann. Aber es ist klar, dass Holz genauso wenig eine unbegrenzt zur Verfügung stehende Ressource ist wie Kohle oder Gas. Das Beispiel zeigt schön, dass die Begriffe nicht ’neutral‘ sind, sondern, wie auch Wehling es schreibt, immer einer Perspektivierung mit sich bringen. Erneuerbar bringt (häufig) eine Perspektivierung mit sich, die für Energieträger wie Wasser, Sonne oder Wind unpassend ist.
Nachtrag 17.09.2022: Holz ist in nachwachsender Energieträger, der aber nur begrenzt zur Verfügung steht. Ohne Aufforstung, kein (ausreichend) neues Holz. Mit der Frage, ob Holz als Energieträger eine Alternative zu Öl, Gas oder Kohle ist, befasst sich der BR schön übersichtlich auf dieser Seite.
Lektüreempfehlung: Elisabeth Wehlings Buch Politisches Framing ist eine leicht verständliche Einführung in die Thematik der politischen/ öffentlichen Sprache und macht sehr schön deutlich, warum es nicht egal ist, wie wir über bestimmte Themen (z.B. die Klimakrise) sprechen, sondern warum unser Sprechen Auswirkung auf unsere Wahrnehmung von und damit Einstellung gegenüber dieser Thematik haben. Das Buch ist zwar schon ein paar Jahre alt und könnte problemlos aktualisiert werden, weniger lesenswert ist es dadurch aber nicht.